Kapitel 5

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Er klingelte pünktlich um elf Uhr an unserer Haustür, was von einem Musterschüler nicht anders zu erwarten war.

Ich saß bereits seit dem Frühstück am Küchentisch, hatte meinen Schreibblock und Mäppchen vor mir liegen und war gerade in einem Level von Candy Crush auf meinem iPad verwickelt, als ich das Gedudel hörte. Mein Vater hatte Frühschicht, war deshalb seit sechs Uhr auf dem Revier, also musste ich aufstehen und die Tür öffnen.

Er stand auf der vorletzten Stufe und lächelte mich schüchtern an, als hätte er Angst ich würde ihn angreifen. »Hey.«

»Hey«, sagte ich und ließ ebenfalls ein kleines Lächeln zu, damit er nicht davonrannte. »Ich beiß dich nicht, keine Sorge.«

Er lachte. »Also heute kein Morgenmuffel?«

Ich tat so, als würde ich überlegen. »Hmm, nein, sieht nicht so aus. Jetzt komm endlich rein, bevor die Nachbarn anfangen zu glotzen.«

Er stellte seine Schuhe ordentlich neben meine und folgte mir ins Esszimmer, aus dem die Candy Crush Musik zu hören war. Schnell stellte ich das iPad auf stumm und übersprang die Infos, die mir das Mädchen über irgendeinen Booster vermitteln wollte.

»Ich dachte, das spielen nur Mütter über vierzig«, sagte Hicks mit einem belustigten Grinsen im Gesicht. Leider stand er zu weit weg, um ihn zu boxen.

»Sehr dünnes Eis«, sagte ich stattdessen, während ich die Hülle über den Bildschirm legte. »Du kannst dich übrigens hinsetzen. Nur nicht am Kopfende.«

Er zog den Stuhl neben meinem nach hinten. »Darf ich fragen warum?«

Ich schaute mit dem Gewicht von hundert Steinen im Magen auf ihren Platz. »Dort hat meine Mutter immer gesessen.«

»Oh«, machte er und legte seinen Block nieder, den er gerade aus seinem Rucksack geholt hatte. »Verstehe. Tut mir leid, wenn dir das zu nahe ging.«

Ich versuchte mich an einem Lächeln, merkte aber, dass es eher wie eine Ich-glaube-ich-muss-gleich-kotzen-oder-weinen Grimasse aussah, also ließ ich es. »Alles gut. Du wusstest es nicht, und der Mensch ist ein neugieriges Wesen.«

Er nickte. »Also, damit die Stimmung nicht noch weiter sinkt als die Titanic«, das war wahrscheinlich der mieseste Witz aller Zeiten, aber er wirkte, denn ich fühlte mich nicht mehr ganz so elend, »wie schlägst du vor, fangen wir an?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Ich dachte, das würdest du mir sagen.«

Seine Mimik war die Definition von ›Ist das dein ernst?‹. Man würde wahrscheinlich ein Bild davon im Duden finden.

»Was denn? Du bist der Musterschüler, der Schlaue von uns beiden. Ich dachte, du hättest das schon total durchgeplant und arbeitest nur noch alles mit mir ab.«

Er seufzte mit einem Blick zur Decke, als könne er nicht glauben, dass das die Wirklichkeit war. »Wie soll ich einen Plan erstellen, wenn ich keine Ahnung habe, wo du in welchem Fach liegst?«

Da hatte er allerdings recht.

»Das«, sagte ich, »ist ein guter Aspekt, an den ich vorher nicht gedacht habe. Aber ich bin auch die Dumme von uns beiden.«

Er kniff seine Augenbrauen zusammen. »Du bist nicht dumm.«

»Woher willst du das wissen?«

»Ich weiß es einfach.«

»Und woher?«

Er rollte mit den Augen. »Du bist es nicht. Glaub mir, wenn ich manchmal die Jungs aus dem Footballteam reden höre, frage ich mich, wie sie es so weit geschafft haben. Du bist ein Genie gegen die.«

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