4 | Sonnenbrand

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Ich öffnete die Augen, blinzelte mehrmals und drehte mich anschließend im Bett um. In die dünne Decke eingekuschelt schloss ich meine Augen wieder und atmete tief durch. Wie ich es vermisst hatte, in einem federweichen Bett zu schlafen. Am liebsten wollte ich das Bett heute nicht verlassen. Mit einem zufriedenen Seufzen schloss ich die Arme um meine Decke. Als ich jedoch ein Räuspern vernahm, fuhr ich wie von der Tarantel gestochen herum. Auf der anderen Seite des Zimmers saß Julian im Schneidersitz auf dem anderen Bett und grinste. In den Händen hielt er ein Handy, das mit den Kopfhörern verbunden war, die er in seinen Ohren trug.

»Guten Morgen«, flötete er.

Ich hatte vollkommen verdrängt, dass er auch hier war, deshalb starrte ich ihn für einige Sekunden an, ehe ich mich zurück ins Bett fallen ließ. Nur für einen kurzen Moment, dann richtete ich mich seufzend auf und setzte mich hin. Kurz nach zehn Uhr, verriet mir ein Blick auf den digitalen Wecker, der auf dem Nachttisch stand. Ich bückte mich nach dem Schultergurt meiner Reisetasche und zog sie näher an mein Bett heran, um darin nach meinem Handy zu suchen. Als ich es in der Hand hielt, fiel mir allerdings ein, dass ich es in den Flugmodus gestellt hatte, damit mich niemand erreichen konnte; und zugegebenermaßen war ich außerordentlich froh darüber. Ich schmiss es zurück in die Reisetasche und verdrängte den Gedanken an die Nachrichten meiner Familie, die ich erhalten würde, sobald ich wieder Netz und Internet hatte.

Gedankenverloren senkte ich den Blick und starrte auf meine Reisetasche, die bereits jegliche Ordnung vermissen ließ. Noch immer konnte ich nicht glauben, was ich hier tat. Ich saß mit einem fremden Mann im Hotelzimmer, weil wir gemeinsam unserem Alltag trotzen wollten. Mittlerweile wusste ich nicht einmal mehr, ob es vielleicht der Schlafmangel gewesen war, der mich diese tollkühne Entscheidung hatte treffen lassen. Es war nicht auszudenken, was meine Familie oder meine Freunde denken würden, wenn sie davon erfuhren.

Eilig schüttelte ich den Kopf, als könnte ich diese elendigen Gedanken abschütteln. Ich wollte nicht an meine Familie denken; nicht an meine Mutter, die den optimalen Plan für mich parat hatte oder an meinen Vater, den ich die meiste Zeit meines Lebens kaum zu Gesicht bekommen hatte. Ob sie sich Sorgen um mich machten? Ich stöhnte frustriert auf und wühlte abermals in meiner Reisetasche, bis ich meinen Kulturbeutel und frische Wechselklamotten in den Händen hielt. »Bin duschen.«

Schnell verschwand ich im kleinen Badezimmer, damit ich für einen Moment meine Ruhe hatte; nur kurz meine Gedanken sortieren, das schlechte Gewissen beruhigen. Während meiner Dusche ließ ich die letzten zwei Tage Revue passieren; allem voran dachte ich an die Entscheidung, die Julian und ich getroffen hatten. Ich dachte an den gestrigen Tag und spürte plötzlich eine Art ... Aufregung. Ich stieg aus der Dusche und blickte in den beschlagenen Spiegel. Mit einer Hand wischte ich den Wasserdampf so weit weg, dass ich mich selbst erkennen konnte. Der Ansatz eines Lächelns schlich sich in mein Gesicht.

Als ich wieder aus dem Badezimmer herauskam, hatte Julian sich bereits umgezogen, saß an dem kleinen Tisch zwischen unseren Betten und aß Butterkekse aus einer spanischen Packung. Er lächelte, als er mich bemerkte. »Willst du auch?«

Ich schüttelte den Kopf. »Das Frühstück haben wir verpasst, oder?«

»Keine Ahnung«, antwortete Julian mit halbvollem Mund.

Ich ging zurück zu meinem Bett und warf den Kulturbeutel in die Reisetasche, bevor ich mich an Julian wandte. »Willst du kein richtiges Frühstück?«

»Wir können uns unterwegs was holen«, antwortete Julian und stopfte sich demonstrativ einen weiteren Keks in den Mund, womit er mir ein Schmunzeln entlockte. Ich setzte mich zu ihm an den Tisch. Augenblicklich schob Julian mir die Packung mit den Keksen hin, doch auch diesmal schüttelte ich den Kopf.

Zwischen den Welten - Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt