Nachdem wir mit dem Auto die österreichisch-deutsche Grenze passiert hatten, fühlte ich mich, als hätte ich mir einen Rucksack voller Steine aufgesetzt. Blinzelnd starrte ich auf die Autobahnstraße, die vor mir zu verschwimmen drohte, je mehr meine Gedanken abdrifteten. Als Fahrer konnte ich mir das allerdings nicht leisten. Nachdem ich einen kurzen hilfesuchenden Blick zu Julian warf, fing er an, mich in unverfängliche Gespräche zu verwickeln. Er stellte mir Fragen über mich, meine Interessen, meine Ziele. Ich erzählte ihm von meiner Zeit in der Jugend von Borussia Dortmund; wie das Training abgelaufen war, wie oft wir gespielt hatten und welche Positionen ich bekleidet hatte. Geduldig hörte er meinen Erzählungen zu, obwohl es ihn vermutlich nicht einmal im Detail interessierte. Ich erklärte ihm, dass ich rechter Mittelfeldspieler gewesen war, aber immer davon geträumt hatte, irgendwann als Zehner spielen zu dürfen. Bei einem kurzen Blick zur Seite bemerkte ich seinen fragenden Gesichtsausdruck und lachte. »Der Zehner ist der Spielmacher. Also in der Offensive.«
Zwar nickte er, aber mich beschlich das Gefühl, dass er damit nicht viel mehr anfangen konnte. Stattdessen tippte er auf meinem Navi herum und kurz darauf verschwand unsere Route, die uns noch etwa eine Stunde Fahrt angezeigt hatte. Julian tippte den Namen eines großen Sportgeschäfts ein und wählte ein Ziel in München aus. Ich wollte ihn fragen, was er nun schon wieder vorhatte, aber ich entschloss mich, es gar nicht erst zu versuchen. Er würde es mir ohnehin nicht erzählen.
Erleichtert stieg ich aus meinem Auto aus, als wir endlich unser Ziel erreicht hatten und auf dem Parkplatz vor dem Sportgeschäft standen. Die restliche Fahrt hatte mich mehr geschlaucht, als ich zugeben wollte.
»Und was genau machen wir hier?«, fragte ich und starrte zum großen Gebäude hinauf, das einer riesigen Halle glich, die sich über zwei Etagen strecken musste. Es war bereits früh am Abend; die Sonne näherte sich zwar noch nicht dem Horizont, aber die Wolkendecke war auch über München noch so dicht, dass sich ein grauer Schleier über die Stadt legte. Willkommen zurück in Deutschland, dachte ich. Auch hatte ich noch nicht verstanden, warum Julian in einem Sportgeschäft shoppen wollte, anstatt sich nach einem Schlafplatz umzusehen. Wonach suchten wir hier? Wanderkleidung? Fahrräder? Mehr Badekleidung?
Wir betraten das Sportgeschäft, das auch von innen lediglich eine riesige, helle Halle war. Im Eingangsbereich kamen wir direkt an den Kassen vorbei; dahinter waren auf einer beachtlichen Fläche Fahrräder aufgestellt, vom normalen Alltagsfahrrad über Mountainbikes bis hin zum E-Bike. Dahinter befanden sich sämtliche hohe Regale mit unterschiedlicher Sportkleidung oder anderweitigem Sportzubehör. Zwischen den Regalen war alles sehr weitläufig, sodass man sich selten mit anderen Kunden in die Quere kam. Ich folgte Julian schweigend, da er offensichtlich nach etwas Bestimmten suchte und ich ihm dabei nicht helfen konnte, wenn er wieder so ein Geheimnis daraus machte. An den ersten Regalen liefen wir rasch vorbei, weil sie insbesondere Bade- und Laufkleidung beinhalteten. Auch an der Abteilung für Sportarten wie Fußball, anderen Ballsportarten und Reiten gingen wir vorbei, ohne auch nur einen Blick auf die Regale zu werfen.
Auf dem Obergeschoss kamen wir in den Bereich für den Outdoorbedarf und das war der Zeitpunkt, an dem ich misstrauisch wurde. Vorbei an Wanderschuhen, Wanderkleidung und Trekking-Rucksäcken blieben nicht mehr allzu viele Optionen, die für Julians Idee in Frage kamen. Als Julian endlich stehenblieb und die Hände in die Hüften stemmte, rieb ich mir mit einer Hand über die Stirn und seufzte tief. »Das ist nicht dein Ernst, oder?«
Wir standen vor der Abteilung für Campingbedarf – Zelte, Schlafsäcke, Isomatten und Zubehör wie kleine Grille, Kocher, Kühlboxen oder Lampen. Julian drehte sich zu mir um und grinste unschuldig. »Ich dachte, wir könnten mal was anderes machen.«
Ich verschränkte meine Arme vor der Brust und musterte Julian mit einem schiefen Blick. »Du willst campen?«
»Ja. Hier in der Region sind ein paar schöne Seen mit Campingplätzen und – «
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Zwischen den Welten - Band 1
Romance»Seine Flucht vor dem Alltag wird zu einer Flucht vor sich selbst.« Aus Unzufriedenheit mit seinem Leben flüchtet sich David kurzerhand in die Stadt seiner Jugendträume: Madrid. Gerade als ihn der Mut verlässt und er die Heimreise antreten möchte, s...