31 | Vergessen

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Eine Woche später

Ich saß auf der cremefarbenen Couch in der Studierendenwohnung meiner Schwester und starrte abwesend auf die Glasfigur in meiner Hand. Murano. Venedig. Italien.

Die grüne Schnecke mit dem rot-gelb gestreiften Gehäuse und den Kulleraugen kam mir mittlerweile kindisch, fast schon lächerlich vor. Aber sie erinnerte mich an Julian. Und auch eine Woche nach unserer Trennung in Las Vegas blieb mir bei dem Gedanken an ihn die Luft weg. Ich war müde, ausgelaugt. Alles fühlte sich schwer an. Ich hatte es noch nicht einmal geschafft, irgendjemandem außer meiner Schwester zu sagen, dass ich zurück war. Die Wahrheit war, ich fühlte mich nicht bereit, sie wiederzusehen. Meine Eltern nicht, und auch Anna nicht. Doch welche Wahl hatte ich?

Lena stellte ein Glas Wasser auf den Holztisch vor mir und setzte sich neben mich auf die Couch. Sanft fuhr sie mir über den Rücken, aber das machte die Enge in meiner Brust nur schlimmer. Ich wusste, dass sie es gut meinte. Doch ich hasste, dass sie mich so sah; ich hasste, dass ich ihr in meiner Verzweiflung alles erzählt hatte. Dass sie nun wusste, was ich immer gefürchtet hatte wie das Monster im Schrank, das einen als Kind nachts nicht schlafen gelassen hatte.

»Warum vermisse ich ihn?«

Nachdem er mich beklaut und hintergangen hatte.

»Warum denke ich ständig an ihn, wenn es Anna ist, an die ich denken sollte?«

Lena ließ ihre Hand sinken und atmete tief ein. »In eurem ersten Jahr warst du vernarrt in sie. Aber Dinge ändern sich. Beziehungen ändern sich. Und manchmal findet man eben... jemand anderen.«

Ich versuchte mich an die ersten Monate mit Anna zu erinnern, doch mein Kopf war leer; als würde ein schwarzes Loch an der Stelle klaffen, an der sich meine glücklichen Erinnerungen befinden sollten.

»Warum ist es nicht mehr wie am Anfang?«, fragte ich und drehte die Schnecke in meinen Händen. Ihr gläsernes Grinsen war schwer auszuhalten.

»Weil Verliebtheit nun mal eine chemische Reaktion ist, die der Körper nicht ewig aufrechterhalten kann. Das wäre viel zu stressig für uns.«

Ein Schmunzeln schlich sich auf meine Lippen, wenigstens für einen Moment. »Ich wollte nicht die biochemische Erklärung.«

»Ich wollte damit nur sagen, dass es normal ist, dass du ihn vermisst und nicht sie.«

Also war es Liebeskummer, was ich nun fühlte, seit ich nicht mehr neben Julian einschlief, neben ihm aufwachte, mit ihm aß, mit ihm durch heiße, volle Touristenstädte lief? Ich kniff die Augen zusammen, während meine Augen feucht wurden. Bitte nicht.

Wenn es nur Verliebtheit war, die ich für Julian empfunden hatte, dann hieß das auf der anderen Seite, dass ich ihn vergessen konnte, wenn ich nur lang genug wartete. Ich blinzelte mehrfach und legte die Glasschnecke auf dem Tisch ab. In einem Anflug von Energie stand ich auf und ging in Richtung Wohnungstür.

»Was machst du?«, fragte Lena, als ich gerade meine Schuhe aus dem Schuhschrank holte, über dem die Jacken hingen.

»Du hast recht«, sagte ich und zog mir die Schuhe an. »Ich muss es nur aussitzen.« Als ich fertig war, drehte ich mich zu ihr und nickte. »In ein paar Wochen wird Julian aus meinem Kopf sein und dann ist alles wieder in Ordnung mit Anna.«

Lena hob die Augenbrauen und öffnete den Mund. Einige Sekunden starrte sie mich an, als hätte ich den Verstand verloren. Und gewissermaßen fühlte ich mich auch so.

»David, deine Beziehung war auch davor nicht in Ordnung

Ich kniff die Augenbrauen zusammen. »Du hast doch keine Ahnung.«

Zwischen den Welten - Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt