17 | Albtraum

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Wir waren an diesem Abend nicht lange in Venedig geblieben, damit wir in Ruhe unsere Reisetaschen für den nächsten Tag packen konnten. Kaum traten wir durch die Tür ins Hotelzimmer, entledigte sich Julian allerdings seiner Schuhe und seiner Hose und warf sich ins Bett. Er lag auf dem Bauch und hatte die Augen bereits verschlossen; keinen Murks gab er von sich. Ich glaubte beinahe, dass er sofort eingeschlafen war.

»Julian?«, fragte ich. Ein leises Brummen kam aus seiner Richtung, das mich schmunzeln ließ. »Schläfst du etwa schon?«

Julian murrte, bevor er sich das Kissen über den Kopf legte und ein ersticktes »Nein« ausstieß. Ich gluckste. »Verstanden. Ich lasse dich schlafen.«

Ein weiteres Murren ertönte, diesmal lauter und frustrierter, und dann setzte sich Julian ruckartig auf, blinzelte orientierungslos und rieb sich matt über das Gesicht. »Ich will gar nich' schlafen.«

Er stand auf und hob seine Arme in die Luft, um seinen Körper zu strecken. Daraufhin hockte er sich neben seine Reisetasche auf den Boden und fing an, seine Kleidung ordentlich zusammenzufalten. Seufzend setzte auch ich mich zu meiner Reisetasche, auch wenn meine Lust sich in Grenzen hielt. Dieses ständige Aus- und Einpacken ging mir langsam auf die Nerven.

Ich wurde schneller fertig als Julian, was vermutlich damit zusammenhing, dass ich meine Kleidung und Gegenstände einfach nur in die Tasche stopfte und mit Kraft den Reißverschluss zuzog. Meine Hygieneartikel und übrige Kleidung würde ich einfach so ins Auto schmeißen. Ich stand auf und starrte verloren auf Julian, der gerade seine Unterwäsche in die kleinen Lücken zwischen seiner Kleidung schob.

»Willst du mir jetzt vielleicht sagen, wo wir hinfahren?«, fragte ich und verschränkte die Arme. Julian sah zu mir auf und grinste. »Nö.«

Ich stöhnte frustriert auf. »Bestimmt Süddeutschland, oder?«

Julians Grinsen wurde breiter, bevor er sein letztes Paar Socken in die Tasche legte und den Reißverschluss zur Hälfte zuzog. Die andere Hälfte, auf der er noch Platz freigelassen hatte, ließ er offen.

»München?«, fragte ich weiter.

Nun stand Julian auf und kam auf mich zu. »Nah dran. Aber wär ja langweilig, wenn wir immer das gleiche machen würden.«

Ich schaute ihn mit argwöhnischer Miene an.

»Ich mach mich bettfertig«, sagte Julian und fasste mir im Vorbeigehen an die Schulter, bevor er durch die Tür ins Badezimmer ging. Ich atmete tief ein und ließ mich auf meinem Bett nieder.

Mir war unwohl bei dem Gedanken, dass wir morgen nach Deutschland fahren würden. Es war, als hätte ich in der letzten Woche eine Mauer zwischen mich und meine Familie gebaut; eine Mauer, die mit der Rückkehr nach Deutschland zu bröckeln begann. Es zwickte unangenehm in meiner Brust, als ich an meine Freundin dachte. Ich rieb meine Handballen aneinander und bemühte mich darum, tief durchzuatmen. 600 Kilometer. Es würden immer noch 600 Kilometer sein zwischen mir und meinem Alltag. Zwischen dem, was ich Anna irgendwann beichten musste, und meiner Heimat.

Die Wahrheit war, dass meine Gedanken immer wieder zu den Erinnerungen des gestrigen Abends abdrifteten; ständig dachte ich daran, wie sehr mich die Küsse, die Berührungen berauscht hatten, und erwischte mich bei dem Gedanken, es wiederholen zu wollen. Ich konnte es nicht unterdrücken. Es brodelte in mir wie ein Vulkan, der kurz davor war auszubrechen.

Auszubrechen.

War es nicht das, was ich gewollt hatte, als ich überstürzt nach Madrid gefahren war?

Ich saß noch immer auf dem Bett, als Julian aus dem Badezimmer zurückkam, zu seinem eigenen Bett ging und sich mit dem Rücken zu mir gewandt bis auf die schwarze Unterhose auszog. Meine Augen glitten über seinen Körper, auf seine hervortretenden Schulterblätter, seinen recht schmalen Rücken bis hinunter auf seinen Hintern. Offenbar bemerkte Julian meine Blicke nicht, stattdessen legte er sich auf dem Rücken in sein Bett und starrte an die Decke, die Arme hatte er hinter seinem Kopf verschränkt. Ich lehnte mich mit dem Rücken an die Bettlehne und winkelte meine Beine an. »Julian?«

Zwischen den Welten - Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt