29 | Tiefer Fall

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Auf dem Weg zurück in unser Hotel tauchte die untergehende Sonne den Abendhimmel in ein sattes Orange. Ich versuchte es zu genießen, doch immer mehr wurde mir bewusst, wie müde mich der Trubel der Stadt machte. Offenbar war ich damit nicht der einzige, denn auch Julian lief schweigsam mit den Händen in seinen Hosentaschen neben mir her. Die Sonne war bereits hinter dem Horizont verschwunden, als wir unser Hotel betraten. Bunte Neonlichter fluteten unser Hotelzimmer, woraufhin ich die Vorhänge zur Hälfte zuzog. Ich drehte mich zu Julian um, der verloren im Raum stand und mich nachdenklich ansah; seine Lippen waren zu einer schmalen Linie verzogen, seine Augenbrauen gesenkt.

»Was ist los?«, fragte ich, während sich Fältchen auf meiner Stirn bildeten. Julian zuckte mit den Schultern und wandte den Blick ab. Ich ging einen Schritt auf ihn zu. »Vielleicht wäre es besser, wenn du darüber redest.«

Er atmete seufzend aus. »Ja, vielleicht.«

Mit hängenden Schultern ließ er sich auf das Bett sinken und verknotete die Hände in seinem Schoß. Ich kam auf seine Seite des Raumes und blieb vor dem Bett stehen, unschlüssig, wie ich mit der Situation umgehen sollte. Julian sah zu mir auf. »Es ist nur...« Er atmete tief durch. »Was, wenn das mit uns daran scheitert, dass du Geld hast und ich nicht?«

Ich zog die Augenbrauen zusammen. »Wo kommt das denn plötzlich her?«

»Es war schon immer da, David. Oder glaubst du, ich kann das hier«, er gestikulierte mit seinen Händen zwischen uns hin und her, »einfach so bezahlen?«

Ich stutzte und hielt für einen Moment inne. »Also wird dir die Reise zu teuer?«

»Nein!«, antwortete Julian rasch, »ich meine... ich will nicht, dass du das als Standard siehst.«

»Ich habe auch nicht vor, alle zwei Monate eine Weltreise zu machen.«

Julian seufzte tief und ich biss mir auf die Unterlippe. Was verstand ich gerade nicht?

»Darum geht's auch nicht«, sagte Julian.

»Sondern?«

»Ich hab keine Ausbildung. Keinen Job. Wenn ich nach Deutschland geh, hab ich nichts.«

Tief durchatmend schaute ich mich im Raum um, ehe ich verstehend nickte. Meine Brust wurde schwer, und die Gedanken in meinem Kopf begannen zu rasen, weil ich realisierte, wie viel zwischen uns lag; wie viele Probleme in unserem Alltag auf uns warteten, die wir bisher erfolgreich verdrängt hatten. Angespannt versuchte ich die Gedanken fernzuhalten, damit sie nicht alle auf einmal auf mich hereinprasselten.

Ich ließ mich neben Julian auf dem Bett nieder und atmete tief ein, ehe ich mir ein Lächeln auf die Lippen zwang; ein Lächeln, das sanfter wurde, als ich ihm in die Augen blickte. Sachte legte ich eine Hand auf seine Wange und lehnte meine Stirn gegen seine.

»Wir finden eine Lösung, okay?«, hauchte ich.

Julian löste sich von mir und sah mich einen Moment nur an, bevor er nickte. Eine ganze Weile noch verharrten wir auf dem Bett, ehe ich dem Drang widerstand mich hinzulegen und angestrengt wieder aufstand. Aus meiner Reisetasche kramte ich frische Kleidung, bevor ich tief durchatmete. »Ich bin duschen.«

Julian lächelte schwach. »Okay.«

Kurz überlegte ich, ob ich ihn gerade wirklich allein lassen sollte, aber auf der anderen Seite stank ich gerade mehr nach Schweiß, als mir lieb war. Auf dem Weg zum Bad drehte ich mich noch einmal zu ihm um. »Morgen lassen wir es ruhig angehen, ja?«

»Alles gut, David. Mach dir keine Sorgen um mich«, antwortete Julian lächelnd; aber sein Lächeln erstarb ungewöhnlich schnell. Dennoch nickte ich und verschwand im Badezimmer.

Zwischen den Welten - Band 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt