𝚎𝚗𝚍𝚜𝚝𝚊𝚝𝚒𝚘𝚗

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𝚔𝚊𝚙𝚒𝚝𝚎𝚕 𝟷: 𝚎𝚗𝚍𝚜𝚝𝚊𝚝𝚒𝚘𝚗






»𝐈𝐂𝐇 𝐖𝐈𝐄𝐃𝐄𝐑𝐇𝐎𝐋𝐄 𝐌𝐈𝐂𝐇 𝐍𝐔𝐑 𝐔𝐍𝐆𝐄𝐑𝐍𝐄, 𝐀𝐁𝐄𝐑 𝐇𝐈𝐄𝐑 𝐈𝐒𝐓 𝐒𝐂𝐇𝐈𝐂𝐇𝐓 𝐈𝐌 𝐒𝐂𝐇𝐀𝐂𝐇𝐓. 𝐄𝐍𝐃𝐒𝐓𝐀𝐓𝐈𝐎𝐍.«, murrte eine erschöpfte männliche Stimme und räusperte sich dabei zunehmend ungeduldiger.

Mein Blick krabbelte in Zeitlupe zu ihm nach oben, doch meine Sicht blieb verschleiert.
Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis ich aus meiner Trance erwachte und meinen Fokus auf seine gesprochenen Worte legen konnte.
Langsam nickte ich. Gott, er musste mich für eine Zurückgebliebene halten.

Immer wieder brannten die Bilder des Fernsehers auf mir, ähnlich dem Biss einer Bremse inmitten eines stickig quälenden Sommertages.
Diese Flut an Bildern machten es mir fast unmöglich ihm meine Aufmerksamkeit zu schenken, geschweige dem eine anständige Konversation zu führen.

In mir tobte ein Sturm aus Aufregung und Hoffnung. Gleichzeitig kämpfte ich mit dem Leichtsinn, mit dem ich mich auf den Weg gemacht hatte.
Nachdem ich irrsinnig lange in einem Flieger gesessen hatte, peinigte ich mich weiter mit einer wahnsinnig langandauernden Zugfahrt, um letztendlich in einem Bus, in dem die Luft stand, zu versauern.
Und das ohne die Gewissheit zu haben, dass es überhaupt etwas brachte.

»Okay, klar.«, murmelte ich und klemmte mir die weißblonde Strähne meines sonst kastanienbraunen Haares hinters Ohr.
In einem Anflug des drängenden Verlangens mich verändern zu wollen und dem ein oder anderen Glas Apfelwein zu viel, hatte ich mir die zwei vordersten Strähnen beinahe platinblond gefärbt.

Damals dachte ich, es wäre eine gute Idee, um mein Gesicht einzurahmen.
Der abschätzende Blick des Mannes ließ mich daran zweifeln. Und wenn schon.
Mir musste es ja gefallen. Außerdem hatte die zu enge Uniform, die er trug und die zum Zerbersten gespannte Weste, die nur notdürftig seine Fresssucht verbarg, mit Sicherheit schon ansehnlichere Menschen gekleidet.

𝐔𝐍𝐈𝐅𝐎𝐑𝐌...𝐃𝐄𝐒 𝐁𝐔𝐅𝐀𝐇𝐑𝐄𝐑! 𝐕𝐄𝐑𝐃𝐀𝐌𝐌𝐓.

𝐃𝐄𝐒 𝐁𝐔𝐅𝐀𝐇𝐑𝐄𝐑! 𝐕𝐄𝐑𝐃𝐀𝐌𝐌𝐓

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»Sir. Wie komme ich denn nun nach Hawkins?«
»Hawkins?«, prustete er ungläubig. »Was willst du denn da? Da fährt nichts mehr hin, nur weg. Und das so schnell wie möglich.«

Wieder nickte ich, um ihm deutlich zu machen, dass ich verstanden hatte.
Die Nachrichten, die ich in den letzten Tagen ununterbrochen gesehen hatte, berichteten von einem schweren Erdbeben.
Kein Wunder, dass eine Vielzahl der Bewohner das Weite suchte. Es gab für viele von ihnen nichts mehr, das sie ein Zuhause hätten nennen können.

»Ja..«, nuschelte ich. ».aber ich habe..Familie dort.« Oder zumindest die einzige Person, die auf dieses Wort am ehesten zutraf.
Wenn auch nur für die ersten paar Jahre meines jämmerlichen Daseins. Und auch, wenn ich sie seit sechs verdammten Jahren nicht mehr gesehen hatte. Um Gottes Willen, was tat ich hier eigentlich?
Hatte mich die sengende Sommerhitze dumm gemacht? War es die Langeweile, mit der ich mich in der Einsamkeit meines Lebens malträtierte, die mich dazu gebracht hatte, diese utopische Reise anzutreten?

Weder noch. Wenn ich ehrlich zu mir war, dann gab es nur eine Sache, die mich dazu getrieben hatte: Hoffnung.
Das kleine, schmerzliche Etwas, das so zerbrechlich auf meinen Schultern lastete und von dem ich nicht loslassen konnte.
Das hatte ich in den letzten Jahren nicht und das würde ich fortan auch nicht.
Solange es da draußen den kleinsten Hoffnungsschimmer auf ein Wiedersehen mit ihm gab, würde ich dem nachgehen.

Mein Körper sprühte immer noch vor Adrenalin und Ungläubigkeit, als ich einen ersten Hinweis auf seinen Verbleib erfahren hatte.
Nach so vielen Jahren des stummen Flehens, dass mich doch noch ein Stück Ehrlichkeit von unseren Nachbarn erwartete.

Der Busfahrer sah mich wieder an. Diesmal nicht wertend, dafür aber mitleidig.
»Verstehe..hier wirst du aber nicht weiter kommen. Weit ist es nicht mehr. Eigentlich nur die Straße entlang. Ich würde dir aber nicht dazu raten. Du bist noch so jung, hast dein ganzes Leben vor dir. Wenn ich dir einen Rat geben kann, verschwinde. Und das besser gestern als heute.«

Seine Worte ließen mich einen Moment innehalten. Natürlich, ein Erdbeben war schlimm. Und all die heimatlosen Menschen taten mir unfassbar leid. Aber deshalb die Rede seines Lebens schwingen, um ein fremdes Mädchen davon abzuhalten, die nächstgelegene Stadt zu besuchen?
Weshalb sollte er sich dafür interessieren? War es ihm aufgetragen worden, Einreisende zu warnen? Waren die Trümmer doch schlimmer als erwartet?

Dass Nachrichtensender die Wahrheit verschleierten war nichts Neues.
Allerdings übertrieben sie lieber, als, dass sie etwas herunterspielten. Warum also hatte der Mann ein so großes Interesse daran, mich zu schützen?

»Danke, Sir.«, gab ich flüsternd von mir und schulterte meinen Rucksack, ehe ich die stickige Hölle, in der ich Stunden lang gefangen gewesen war, verließ. Ich warf keinen Blick zurück, sondern setzte mich so schnell ich konnte in Bewegung. In der Abenddämmerung wollte ich sicherlich nicht erst ankommen.

Was bedeutete Ankommen in diesem Zusammenhang überhaupt? War ja nicht so als hätte ich ein Ziel. Um ehrlich zu sein hatte ich nicht die geringste Ahnung, wo ich eigentlich suchen sollte.
Mich erwartete ein elendiger Fußmarsch in eine wage Richtung, in die mich der Mann gelotst hatte, doch mehr wusste ich nicht.
Ich wusste nicht, wo ich die nächste Zeit übernachten konnte, wo ich Verpflegung herbekam und bei wem ich anfangen sollte zu fragen.
War ja nicht so, dass ein Reklameschild mir eröffnen würde, wo ich einen brauchbaren Tipp herbekam.

Und, wenn es wirklich so schlimm war, wie ich mittlerweile vermutete, dann wäre es ohnehin schwer überhaupt eine Person anzutreffen, die mit mir reden konnte.
Viele von ihnen würden beschäftigt damit sein, ihre Sachen zu packen und auszureisen.
Oder damit, Stein für Stein mühsam wieder aufzurichten, um nicht das Obdach zu verlieren.

Obgleich ich bereits unglaublich müde war und mich am liebsten irgendwo zur Ruhe gesetzt hätte, setzte ich einen Fuß vor den nächsten.
Wie viele Blasen ich mir zwischenzeitlich gelaufen hatte, wollte ich mir nicht einmal vorstellen.
Wenn ich die Hirnrissigkeit, die ich im Begriff war zu begehen zusammenfassen sollte, dann wohl mit dem Wort idiotisch.
Ich hatte kaum noch etwas zu trinken übrig, geschweigendem Nahrung und an Blasenpflastern mangelte es mir genauso sehr, wie an einer anständigen Jacke.

Wie war ich so gedankenlos geworden? So unvorbereitet in ein Abenteuer wie dieses gestürzt? Hatte mich die Vergangenheit nicht Selbstständigkeit und Überlebenswillen gelehrt? Wie kam es dazu, dass ich ohne Proviant und einen Plan hier gelandet war?

Ein leises Seufzen verließ meine spröden Lippen und äußerte eine Lawine der Unzufriedenheit. Ich konnte nur hoffen und beten, dass ich ankam und das unversehrt. Ich musste es einfach schaffen.

»𝐄𝐃𝐃𝐈𝐄..«, hauchte ich in die bedrückend heiße Luft hinein. »..ich bin schon auf dem Weg.«

𝐖𝐎 𝐃𝐀𝐒 𝐆𝐄𝐒𝐓𝐄𝐑𝐍 𝐍𝐈𝐂𝐇𝐓 𝐌𝐄𝐇𝐑 𝐒𝐄𝐈𝐍 𝐊𝐀𝐍𝐍【𝚔𝚊𝚜】Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt