𝚎𝚛𝚍𝚋𝚎𝚋𝚎𝚗

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𝚔𝚊𝚙𝚒𝚝𝚎𝚕 𝟼: 𝚎𝚛𝚍𝚋𝚎𝚋𝚎𝚗




𝐌𝐄𝐈𝐍𝐄 𝐌𝐔𝐓𝐓𝐄𝐑 𝐇𝐀𝐓𝐓𝐄 𝐄𝐈𝐍𝐌𝐀𝐋 𝐆𝐄𝐒𝐀𝐆𝐓, dass wenn man etwas wirklich wollte, man ganz fest daran glauben musste.
Ein naheliegender Rat.
Ich wollte wirklich nicht ohnmächtig werden und deshalb krallte ich meine Fingernägel in das ranzige Holz des Tisches und nutzte die Atemtechniken, die mir mein Therapeut für das Auftreten von Panikattacken gezeigt hatte.

Aber jedes tiefe Luftholen das ich ausführte half nur halbherzig dabei, nicht zu hyperventilieren.
Vielmehr war es so, als wehrten sich Lunge und Kreislauf gemeinsam gegen die Beruhigung, die ich so bitterlich ersehnte.
Es war eine flächendeckende Ungläubigkeit die Besitz von mir ergriff.
Ein giftiger Wespenstich aus Unverständnis und Argwohn.
Was für ein Spielchen spielten sie mit mir?
Als ob das plötzliche Verschwinden eines Menschen nicht grässlich genug war?
Ein Mensch, der für ein Monster gehalten wurde, das er niemals hätte sein können.

„In Anbetracht der Tatsache, dass die Hälfte eurer Stadt aus Schutt und Asche besteht, ist das echt der König unter den makabren Scherzen.", gab ich mitsamt eines nervösen Lachen, dass aus meinen spröden Lippen kroch, von mir.
Ein verzweifelter und wenn nicht sogar lächerlicher Versuch seine Aussage als Unwahrheit abzutun.
Die erste Stufe der Trauer. Leugnung.

„Rebekah..." Steve war mittlerweile aufgestanden und einen Schritt auf mich zugekommen.
Um Abstand zu halten, hielt ich abwehrend meine Hände vor seine männliche Statur und sah ihn nur einmal flüchtig an.
Ich konnte und wollte ihn nicht einmal verbessern, weil er mich bei meinem vollen Namen genannt hatte.
Weil es ohnehin bedeutungslos war.
Ohne Belange, wenn man bedachte was er mir zuvor anvertraut hatte.

Eddie sollte tot sein?
Hatte die Hetzjagd nach ihm Früchte getragen und ihn in sein Verderben gestoßen?
Warum wurde davon nichts in den Nachrichten erwähnt?
Waren die Schuldigen noch auf der Flucht? War der Hass der Angehörigen seiner vermeintlichen Opfer so allmächtig gewesen, dass sie mit Heugabeln nach ihm gesucht hatten?
Ihm einer mittelalterlichen Jagd ausgesetzt hatten?

Quälend langsam wanderte mein trübes Augenpaar zu Steve hinauf.
Ich hatte immer noch große Mühe Luft zu holen, geschweigendem nicht wie Espenlaub zu zittern.
In diesem Moment konnte ich nichts, außer bloß zu existieren. Und allein das verlange meine gesamten Ressourcen.
Ich hatte Schwierigkeiten meine Stimme wiederzufinden, sog sich doch mein gesamter Rachen mit quälend bittersalziger Flüssigkeit voll.
Dieser flüchtige Hauch eines Augenblickes kurz bevor man weinte.
Die Galle bahnt sich ihren Weg durch den ausgetrockneten Hals, die Augen sammeln heiße Nässe an und dann - das typische Brennen der Wangen, weil Träne um Träne an ihr herunterläuft
Ein Marathon des Kummers.

„

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„..nicht.", hauchte ich kraftlos.
Sag mir, dass das nicht stimmt, dachte ich. Bitte sag es, Steve.
Ich wollte, dass er endlich was sagte.
Und gleichzeitig wollte ich, dass er nie wieder sprach.
Alles was er bisher von sich gegeben hatte, hatte mich in einer Schockstarre zurückgelassen.
In einer mit Dornen versehenen Umfassung aus Verstörung.
Ich sah nur verschwommen, wie er schluckte, weil sich dabei sein Adamsapfel markant bewegte.
Doch bis seine Worte durch mich durchgedrungen waren, dauerte es eine weitere Unendlichkeit.

„..ein schlimmes Erdbeben. Er hatte keine Chance."
Mein azurblauer Blick fiel qualvoll langsam in den Seinen.
Seine Worte hallten in mir nach wie durch einen Tunnel gesprochen. Laut und doch von Nichtverstehen geplagt.
„Er ist bei dem Erdbeben gestorben?", wisperte ich und rieb mir mit der linken Hand den rechten Oberarm, als könnte das meine Gänsehaut verschwinden lassen.
Die Kälte hatte mich umfangen wie ein weinendes Kind die tröstende Umarmung seiner Mutter.
Als Antwort darauf zitterten meine Lippen als ich erneut zu sprechen begann.

Meine Stimme war weiterhin nichts als ein raues Flüstern, gefangen in dem Versuch klar und deutlich zu sprechen.
„Hat er gelitten?"
Gott, wenn es dich gibt, lass ihn nicht gelitten haben.
Steve sah mich mitleidig an und schüttelte dann in Zeitlupenähnlicher Geschwindigkeit seinen Kopf.
„Nein, ich meine ich war nicht dabei. Aber Dustin war es. Ein Freund von uns. Er...er sagte Eddie wäre bei dem Versuch diese Stadt zu retten, gestorben. So hat er es doch gesagt, oder, Robin?"
Hilflos wanderten seine Augen zu Robin, die mittlerweile nicht mehr auf der Matratze saß, sondern sich in geringem Abstand zu mir an die Eingangstür gelehnt hatte.

Sie nickte zustimmend. „
Er hat eine Stadt schützen wollen, die ihn gehasst hat."
Ihre Worte zerbrachen mir das Herz.
Stück für Stück zerfiel es zu Asche, bis es durch den nahenden Ostwind davongetragen werden würde.
Eine Stadt, die ihn gehasst hat.
So gedankenschwer ihre Aussage auch erwählt worden war, wenn man sie in ihre Kernaussage zerlegte, war sie nur eines : Schmerzhaft.
Zu meiner tiefen Trauer über sein Ableben gesellte sich erster Zweifel, weil ich nicht verstehen konnte wie er die Stadt vor etwas retten wollte, dass natürlich und ohne jegliche Vorwarnung entstanden war.

„Wie..", stotterte ich.
„Wie hat er die Stadt vor einem Erdbeben schützen wollen? Gegen eine Naturkatastrophe kann niemand etwas ausrichten. Auch ein Eddie nicht.", hinterfragte ich ihre Schilderung der Geschehnisse.
Und dann war sie da.
Eine alles bedrückende Stille, in der den beiden die Hilflosigkeit ins Gesicht geschrieben war, deren Lettern rot und glühend in ihren Augen und auf ihren Mündern tanzten.
Sie hatten keine Antwort auf meine Frage und nicht das erste Mal seit meiner Ankunft in Hawkins hegte ich den Verdacht, dass man nicht mit offenen Karten spielte.

Außerdem blieb es mir ein Rätsel, wie sie den Tod von Eddie so schnell verkraftet haben wollten.
Das Erdbeben lag erst wenige Tage zurück.
Möglicherweise steckten sie selbst noch in der Leugnungsphase und wollten einfach nicht wahrhaben, dass ihr Freund gestorben war.
Das zumindest wäre die einzige logische Erklärung.
Ich hatte es selbst erlebt, nachdem meine Mutter gestorben war.
Es hatte viel Zeit und Kraft gekostet, bis ich endlich dazu bereit gewesen war, zumindest die meisten Stücke von ihr wegzugeben.

Noch bevor ich meine Überlegungen zu Ende bringen konnte, erhob Robin ihre Stimme.
Sie sprach hektisch und gedrungen, als würde sie der Situation ein schnelles Ende bereiten wollen.
„Bekah, entschuldige uns vielmals. Aber wir müssen los. Wir verteilen Spenden an die Wohnungslosen und Bedürftigen. Pack deine Sachen zusammen, ja? Wir holen dich nachher ab und dann kommst du mit zu mir.", sprach Robin und setzte sich sogleich in Bewegung.
„Bis später.", murmelte Steve und ging, ohne mich noch eines einzigen Blickes zu würdigen.

Zurück blieb mein bebender Körper, der sich nach Ruhe sehnte, die ihm in den letzten 24 Stunden verhöhnend verwehrt geblieben war.
Und mit ihm mein dämmriger Blick, der sich auf dem verdreckten Linoleum festbrannte.
Wieviel von dem, was sie mir erzählt hatten konnte ich für bare Münze nehmen?
Und viel wichtiger, was verheimlichten sie mir?

𝐖𝐎 𝐃𝐀𝐒 𝐆𝐄𝐒𝐓𝐄𝐑𝐍 𝐍𝐈𝐂𝐇𝐓 𝐌𝐄𝐇𝐑 𝐒𝐄𝐈𝐍 𝐊𝐀𝐍𝐍【𝚔𝚊𝚜】Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt