𝚊𝚗𝚝𝚠𝚘𝚛𝚝𝚎𝚗, 𝚍𝚒𝚎 𝚒𝚗 𝚍𝚎𝚗 𝚔𝚊𝚖𝚙𝚏 𝚏ü𝚑𝚛𝚎𝚗

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Wir verharrten einige Momente lang in einer bedrückenden Stille.
Ich, weil es mir unangenehm war, dass ich immer noch so an der Vergangenheit und meinen damit verbundenen Wunschvorstellungen hing; Steve weil es ihm sichtlich Unbehagen bereitete, dass wieder einmal von meiner Sehnsucht nach Eddie gesprochen wurde und all die anderen, weil sie sacken lassen mussten, was Will uns mitgeteilt hatte.

Sie dachten wohl alle an die letzten Missionen und allen voran an ihren Verlust von Max. Sie steckte in einem komatösen Zustand und ihre Gesundheit war genauso unkenntlich wie das Experiment um Schrödingers Katze.
Keiner von uns wusste, ob sie lebendig oder tot war. Sie war beides und nichts.
Selbst Elfie konnte in Max's Gedanken nicht erkennen, ob sie noch unter uns weilte. Sie befand sich in einer Unendlichkeit aus alles fressender Schwärze.

„Welche Frage stellen wir zuerst?", fragte Robin und riss uns aus der Ruhe, ihre Hände zeigten auf die Lichterketten, die fein säuberlich an der Wand befestigt waren. Jedes Lämpchen stand für einen anderen Buchstaben.
Um Gottes Willen, wann hatten sie das denn getan? Ich war nicht einmal mehr annähernd aufnahmefähig, wenn ich nicht mitbekommen hatte, wie eine verdammte Vielzahl an Nägeln in die Wand gehämmert worden waren.

Wie ich so auf die Wand aus farblosen Lichtern sah, die laienhaft dort angebracht worden waren, wurde mir wieder einmal die Absurdität des Ganzen bewusst.
Ich war vor nicht einmal einer Woche hierhergereist, um einen vermissten Eddie zu finden. Nicht, um in einer Gruppe aus Kindern und Heranwachsenden ein übernatürliches Wesen zu bekämpfen.
Ich vergrub das Gesicht zwischen meinen Händen und seufzte fassungslos auf.

„Frag ihn, ob er ein Vampir ist." nuschelte Dustin, woraufhin wir alle unseren Blick unverzüglich auf ihn richteten.
„Du kannst doch nicht einfach jemanden fragen, ob er ein Vampir ist!", stellte Steve klar und warf – wie so oft – seine Hände in die Luft.

„Was sollen wir denn sonst fragen? Hallo Eddie, bist du vielleicht nicht ganz so tot und lebst als unsterblicher Mensch weiter?", entgegnete Dustin ihm und sah ihn dabei mit zusammengekniffenen Augen an.
„Nun, streng genommen ist ein Vampir kein Mensch mehr.", warf Robin ein.
„Das kannst du auch nicht sagen. Das klingt einfach bescheuert.", meckerte Steve.
„Du bist bescheuert, Harrington!", maulte Dustin und streckte ihm die Zunge raus. Robin quittierte das mit einem genervten Augenrollen.

Die anderen folgten stumm dem Schauspiel, das ihnen geboten wurde. Allen voran hatte Elfie damit zu kämpfen, all das was gesagt wurde, zu verstehen. Immer wieder warf sie Mike verstohlene Blicke zu. Dieser zuckte nichtsahnend mit den Schultern, er wusste selbst nicht so richtig, was er davon halten sollte.
Mein Blick wanderte wie ein Tischtennisball zwischen ihnen hin und her, ich hatte nichts beizutragen, ich war ehrlicherweise auch genug damit beschäftigt, das Gesagte zu verarbeiten.

„Frag ihn, ob er ein Schwert bei sich trägt.", sagte Will und als seine Stimme ertönte, verstummte jegliches Gespräch schlagartig.
Mit offenen Mündern sahen wir zu ihm, ich schüttelte verständnislos den Kopf.
Ein Schwert?
Will nahm mit einem fragenden Lächeln das Buch aus meinem Schoß, suchte eine Unendlichkeit lang eine bestimmte Seite, schlug diese dann auf und hielt sie in die Höhe.
„Kas' Schwert. Es wurde von Vecna erschaffen und enthält selbst einen Bestandteil von ihm. Wenn-"

„Wenn wir ihn damit töten, zerstört er sich selbst.", schlussfolgerte Mike fieberhaft und unterbrach dadurch Will. Er war Mike nicht böse, er nickte sogar bekräftigend und in seinen Augen erkannte ich eine erste Spur von Aufregung. Immerhin besser als die Zerrissenheit, die ihn sonst fest umschlungen hielt.
„Frag ihn.", befahl Elfie.
Ich sah zu ihr und erkannte auch in ihrem Blick eine Regung. Sie sah ernst und nachdenklich aus, bereitwillig in den Kampf zu treten.

Weil keiner Anstalten machte sich zu bewegen, ging Robin schließlich zu der Lichterkettenwand und ich kam nicht drumherum mir vorzustellen, dass sonst vielleicht Nancy diejenige war, die solche Aufgaben ausführte.
Nach allem was ich von ihr gehörte hatte, schien sie ein wichtiges Bindeglied zu sein und meist das Sagen zu haben. Ich war mir sicher, dass Robin genauso zielstrebig und sicher handeln konnte, wie viele der anderen auch. Dafür brauchte es nicht zwangsläufig Nancy, oder?

War ich irgendwie eifersüchtig? Anders konnte ich mir meine Gedankengänge nicht erklären. Ich kannte diese Frau gar nicht und war trotzdem feindselig ihr gegenüber. Das wiederum kannte ich nicht von mir.
Ich wischte mein Gedankengebäude beiseite und versuchte mich wieder auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren.
„Bist du...Eddie?", fragte Robin zögerlich und starrte auf die vielen Lämpchen, in der Hoffnung eine von ihnen würde erleuchtet werden. Wir alle hofften das.

Eine Ewigkeit lang passierte überhaupt nichts. Wir waren schon entmutigt, da flimmerte plötzlich eine der Lampen auf.
„J.", sagte Steve.
Und noch eine.
„A.", setzte Robin nach.
Wir sahen uns an, erst völlig erstarrt und erschrocken über die alleinige Tatsache, dass zwei der Lampen geleuchtet hatten, dann klatschten wir aufgeregt in die Hände und lachten erleichtert auf.
„Es funktioniert!", rief Dustin aufgeregt und sein zahnloses Grinsen erwiderte ich mit einem strahlenden Lächeln meinerseits.

„Was jetzt?", fragte Robin erstaunt und sah immer wieder zu den Lampen, die wieder ihre Leuchtkraft verloren hatten.
„Ist Vecna bei dir?", fragte ich laut.
Die Blicke der anderen ruhten ängstlich auf mir.
Ob ein einzelner gläubig von uns war oder nicht, wir alle beteten, dass dem nicht so war.
„N."
„E."
„I."
„N."
Ein weiteres Mal atmeten wir erleichtert auf. Doch, wenn Vecna nicht bei ihm war, war er dann schon unterwegs zu uns?
„Das Schwert.", sagte Elfie. „Frag ihn."

Robin schluckte schwer, stimmte dann aber nickend zu .Sie drehte sich zurück zu der mit Lichterketten behangenen Wand und atmete tief durch.
"Hat er dir ein Schwert gegeben?", fragte sie.
Nichts passierte. Die Anspannung schwoll zu einer riesigen Wolke aus Angst und Euphorie an, wir warteten auf den Regenschauer der Ernüchterung oder einem neuen Schwall an Hoffnung.
Ich fühlte mich wie in einem Fiebertraum gegangen, während ich gewaltsam versuchte ruhig zu bleiben. Seine Antwort würde unser weiteres Vorhaben markieren, ein einfaches Ja oder Nein würde über unsere Mission entscheiden.
Über unser Scheitern oder die Erlösung all unserer Sorgen.

Entweder blieb er uns eine Aufklärung schuldig oder das was in den nächsten Sekunden geschah, sollte als Antwort von ihm gedeutet werden.
Ein gewaltiges Donnergrollen rollte über uns hinüber, wir alle zuckten vor Schreck zusammen und richteten unsere Blicke augenblicklich nach draußen.
Der Himmel hatte sich stark verdunkelt, die schwärze des Horizons wurde nur durch eine Vielzahl roter Blitze durchbrochen, die auf Hawkins hinabregneten.
Und als wären die bedrohlichen Laute des Donners nicht schon furchterregend genug, brannten innerhalb weniger Sekunden alle Lichterketten durch.
Der Ton, der dadurch erzeugt wurde, ließ mich jedes Mal zusammenzucken.

Weil ich meinen Blick fest in das Spektakel am Himmel gekrallt hatte, hatte ich nicht bemerkt, dass wir alle zueinander gerückt waren.
In einer Insel aus zitternden Körpern waren wir kaum noch einen Meter voneinander entfernt. Jane und Mike hielten Händchen und stierten auf die Scherben der Lampen, die auf dem Boden lagen.
Will und Dustin verrieten einander mit Blicken ihre anschwellende Panik, während Lucas mit zitternden Händen den Brief, den er zuvor vorsichtig abgelegt hatte, anstarrte.
Robin, Steve und ich saßen mittlerweile so nah einander, dass ich ihre Oberschenkel spürte, die gegen meine eigenen drückten.
Nur zu gerne hätte ihre Hände gehalten und mit ihnen meine Furcht geteilt.

An stattdessen stand ich ungelenk auf, brauchte einen Moment, um mein Gleichgewicht wiederzufinden und sah jeden von ihnen eindringlich an.
„Schätze das war ein Ja.", versuche ich ihnen mitzuteilen, dabei war meine Stimme aber nichts als ein raues Flüstern.
Dustin wandte seinen Blick von Will ab, stand auf, stellte sich neben mich und hielt sich die Faust vor die Brust.
„Wir müssen ins UpsideDown. Eddie finden.", befahl er und mitsamt seiner gesprochenen Aussage, reckte er seine Hand in die Höhe.
Er erinnerte mich dabei an einen Militärs Offizier.

Und, obwohl Dustin nicht annähernd so autoritär wirkte, wollte ich seinem Befehl Folge leisten. Augenblicklich.
„Wir gehen.", bestimmte ich. „Wir müssen.", legte ich nach.
Robin sah mich aus glänzenden Augen an, sie hatte furchtbare Angst und mir ging es ja nicht anders.
Ich spürte, dass sie sich am liebsten geweigert hätte. Wer würde das nicht? Wir waren geradewegs unterwegs in unseren sicheren Tod.

„Ich bin dabei.", wisperte sie und holte tief Luft.
Steve stand auf, stellte sich zwischen mich und Dustin und nickte bekräftigend. „Ich auch."
Ihre Bereitwilligkeit mir in den Tod zu folgen, rührte mich, ich spürte die altbekannte Nässe meiner Augen, aber ich weinte nicht.
„Wir gehen zu Max. Vielleicht...vielleicht finde ich sie diesmal.", beschloss Jane.

𝐖𝐎 𝐃𝐀𝐒 𝐆𝐄𝐒𝐓𝐄𝐑𝐍 𝐍𝐈𝐂𝐇𝐓 𝐌𝐄𝐇𝐑 𝐒𝐄𝐈𝐍 𝐊𝐀𝐍𝐍【𝚔𝚊𝚜】Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt