Sonntag, 13. März 2022 - 15:30 Uhr, BayArena
Panik.
Schmerz.
Verzweiflung.
Panik, Schmerz, Verzweiflung.
Ich glaube die drei Worte beschreiben meine Lage gerade am besten. Heute steht das Derby gegen den 1. FC Köln, meine alte Mannschaft, an. Das Spiel läuft noch nicht lange, Spielstand zum jetzigen Zeitpunkt 0-0. Leise und etwas verzerrt höre ich die Stimmen um mich herum, ebenfalls leicht panisch rufend, dass eine Trage hergeholt werden soll. Mitkriegen tu ich das alles nicht so wirklich, der Schmerz überwiegt stark.
Schmerzverzerrt sitze ich vor dem Kölner Tor und halte mein linkes Bein fest. Ich flehe darauf, dass sich die Sanitäter beeilen. Das linke Knie schmerzt – und das in einem unnormalen Ausmaß. Ich bin normalerweise keine Memme, echt nicht. Mit Schmerzen komme ich klar, sonst wäre ich wohl kaum Fußballer geworden. Schmerzen kann man verkraften, man kann die Zähne zusammenbeißen und sich zusammenreißen, aber das hier, das sind keine Schmerzen. Keine von normalem Ausmaß zumindest. Ich spüre schnelle Schritte auf dem Gras welche sich mir nähern. Sehe leicht einen Sanitäter, der mich mit mitleidigem Blick mustert. Bringt mir ja jetzt total viel, dieses Mitleid, bring mich lieber hier weg.
Auf der Liege versuche ich, meine Augen zu schließen. Auszublenden, dass mich hier mehrere tausend Menschen sehen, wie ich den Tränen nahe auf der Liege bin. Richtig mickrig vor Schmerzen leide. Ich versuche auszublenden, dass meine Familie hier im Stadion ist und sich vermutlich mega Sorgen macht. Ich versuche die Kölner Fans auszublenden, welche darüber jubeln, dass ich mich gerade verletzt habe: ob vor Schadenfreude, weil ich sie verlassen habe, oder einfach nur aus Asozialität ist mir dabei eigentlich egal. Und vor allem versuche ich auszublenden, dass ich mir vermutlich gerade mein Kreuzband gerissen habe. Eine Verletzung, die jeden Fußballer aus der Bahn reißt. Eine Verletzung, die mir meine gesamte Zukunft verbauen könnte, und mir vermutlich auch die Chance, bei der Weltmeisterschaft in Qatar aufzulaufen, raubt.
Im Krankenhaus angekommen, sind die Blicke der Ärzte eigentlich schon Antwort genug. Meine Vermutung wird kurz darauf auch bestätigt – Kreuzbandriss im vorderen, linken Knie. Ausfall für mehrere Wochen. Operation. Rehabilitation.
Ausfall.
Operation.
Rehabilitation.
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Ausfall.
Operation.
Rehabilitation.
Diese Worte schweben durchgehend in meinem Kopf. Ich habe all die Unterstützung, die ich brauche, ich weiß. Meine Eltern weichen nicht von meiner Seite. Meine Schwester, Juliane, auch nicht. Trotzdem ist in mir eine Leere. Zuhause angekommen verkrieche ich mich in mein Zimmer. Ich hatte in der ganzen Zeit zwischen Verletzung, Behandlung und Fahrt nicht auch nur einmal auf mein Handy geschaut. Diese ganzen mitleidigen Nachrichten, dieses fake Mitleid, kann ich echt nicht gebrauchen. Dieses gelogene „Es tut mir so leid".
Vielleicht bin ich auch zu streng, zu verletzt, zu deprimiert. Vielleicht meinen die Menschen es so wie sie es schreiben. Allerdings bin ich einfach nur fertig mit den Nerven.
Also liege ich eine Weile nur in meinem Bett rum, starre die Wand an. Die Fotos an meiner Wand, meine Einrichtung, bis ich mich dazu entscheide, dass es so nicht weitergehen kann. Also greife ich seufzend nach meinem Handy, welches neben mir im Bett liegt, und entsperre dieses. Sofort kommen mir die zahlreichen Nachrichten entgegen. Die Anrufe, die E-Mails, die Nachrichten. Ob Twitter, Instagram, WhatsApp, ..., auf jeder möglichen Plattform haben sich Nachrichten angesammelt. Dabei nicht nur Nachrichten von Fans, von meinen Geschwistern oder von Mitspielern und Freunden, sondern auch vom Trainerteam – und ein Anruf von Hansi Flick, dem deutschen Nationaltrainer.
Schluckend starre ich den entgangenen Anruf eine Weile lang an, bis ich mich dazu entscheide, dass zurückrufen vermutlich klüger ist, als nur blöd den Namen anzustarren. Hansi ist total lieb. Er spricht mir zu, macht mir Hoffnungen, tut die Hoffnung, in Qatar auflaufen zu können, nicht ab. Spricht mir Unterstützung zu, meint, ich könne das locker schaffen. Am Ende des Anrufes stehen mir Tränen in den Augen, und ich bin definitiv keine Person, die einfach weint. Aber dieser Zuspruch, diese Unterstützung, obwohl es so viele gute Spieler in Deutschland gibt, trifft mich einfach.
Nach dem Anruf scrolle ich weiter durch mein Handy, überfliege viele Nachrichten, außer den Chat, welchen ich auf WhatsApp angepinnt habe. Ich habe in der ganzen Emotionalität, in der ganzen Panik vergessen, meinem Freund zu antworten, oder auch nur seine unzähligen Nachrichten zu öffnen. Da es wohl einfacher ist, ihn anzurufen als auf seine Nachrichten zu antworten, drücke ich auf den kleinen Hörer und lasse mein Handy klingen. Ein paar Sekunden später erscheint schon das Gesicht meines Freundes im Handy, besorgt und säuerlich.
„Wie zum Teufel geht es dir, Florian?!", keift mir Karim schon fast ins Ohr. Ich seufze leise und entschuldige mich, dass ich mich nicht bei ihm gemeldet habe. Ich erzähle ihm von der Verletzung, von der Behandlung und der Diagnose. Erzähle ihm von meiner Gefühlslage und von meinem Anruf mit Hansi. Ich rede anscheinend so schnell, dass mir Karim nur leicht folgen kann, und zwischendurch nur ein „Hm", „Oh" oder „Ja" antwortet. Am Ende des Anrufes höre ich nur ein leichtes Seufzen, und Karims Versuch, mir Mitleid zuzusprechen. „Tu das ja nicht, oder ich lege auf", ist meine einzige Antwort darauf.
„Soll ich zu dir fahren? Ich machs, ich schwör. Ich schwänz das Training, mir egal". Seufzend schüttle ich den Kopf. Ich konnte nicht erwarten, dass Karim jetzt von Salzburg nach Leverkusen fährt. Das wird alles in der nächsten Saison, wenn sein eventueller Wechsel zu Dortmund fix ist, einfacher. Dann leben wir nur noch eine Stunde auseinander, und nicht in verschiedenen Ländern. Aber jetzt leben wir noch so weit auseinander, über 7 Stunden trennen uns. Nach meiner Operation, welche in Innsbruck stattfinden wird, ist es einfacher, zu Karim zu fahren. Da ich danach eh eine Zeit lang Ruhe benötigen werde, kann ich auch einfach eine Woche nach Salzburg fahren – wenigstens eine gute Sache hat das ganze.
Wir reden noch eine Weile übers Telefon. Karim will mir heute aufjedenfall beistehen, merkt, das ich nicht in der Laune bin, zu meiner Familie zu gehen. Und wenn es anders nicht geht, steht er mir halt übers Telefon bei. Wir reden über Karims heutiges Spiel gegen Sturm Graz, welches Salzburg knapp gewonnen hat. Er versucht, mich abzulenken, was auch irgendwie funktioniert. Wir reden über die anstehende Operation in Österreich, meine Fahrt zu ihm und was wir da geplant haben. Wir reden über meine Chancen, im Jahr 2022 wieder auflaufen zu können und auch über meine panische Angst. Und auch wenn ich nicht immer freundlich antworte, bleibt Karim am Telefon und antwortet mir normal, als wäre ich nicht gerade das größte Arschloch.
Als es dann immer später wurde, und beide von uns schon ständig am Gähnen waren, haben wir uns dazu entschieden, die Telefone zur Seite zu legen, um Schlafen zu gehen. Allerdings haben wir nicht aufgelegt, sondern den Anruf einfach weiterlaufen lassen. Karim ist der Meinung, dass er dann direkt bei mir sein kann, wenn irgendwas ist, und er auch den ersten Flug zu mir nehmen kann. Schon halb am Schlafen höre ich nur ein leises „Ich liebe dich, Flo", welches ich mit einem noch leiseren „Ich dich auch", beantworte.
Ich habe sehr viel Unterstützung und irgendwie wird es möglich sein, diese Verletzung zu bekämpfen, auch wenn es ein langer und schmerzvoller Weg wird. Und ich kann nicht dankbarer sein, so eine tolle Familie, und so einen unfassbaren Freund an meiner Seite zu haben.
- Authors Note -
Hoffe euch gefällt das Kapitel, hab bisschen zu viele Ideen zu Youngsters momentan -> irgendwie haben die bisschen mein Herz geklaut.