Mit dem Kopf auf der Brust meines Freundes liege ich auf eine der Sitzgelegenheiten des Hotels in Ibiza. Es ist Sommer und Jude hat endlich Sommerpause, weshalb wir es uns nicht nehmen lassen, haben, zusammen in den Urlaub zu fahren, da die Zeit zu zweit schon gering genug ist. Wir sind in das typische Urlaubsziel für Fußballer geflogen, und zwar Ibiza, und haben dort auch schon einige seiner Freunde und Mitspieler getroffen, unter anderem auch die Neuzugänge Schlotterbeck und Adeyemi. Das meine Eifersucht überwogen hat und ich mich zusammenreißen musste, als Jude Adeyemi umarmt hat, ignorieren wir jetzt mal. Denn Jude hat mich nicht als sein Freund vorgestellt, seinen festen Freund, um genau zu sein, sondern als seinen Kumpel aus England.
Dieses Prozedere ist mir schon bekannt – Fußballer sind öffentlich alle hetero, haben großartige und sexy Models als Freundinnen und sind nicht schwul. Definitiv nicht schwul. Fußball ist maskulin, ein wahrer Männersport. Da kann man sich doch nicht denken, dass irgendein schwuler Typ in der Umkleide ist – zwischen all den Männern! Und schwule sind sowieso schwach, feminin, bla bla bla ... Was hatte ich nicht alles zu dem Thema schon gelesen.
Damals beim Outing des australischen Fußballers gab es einen Riesenaufschrei – Vereine, die ihren Zuspruch verkündet haben. Doch sind wir mal ehrlich – keiner dieser Vereine würde es auch nur im Geringsten erlauben, dass ihre Spieler sich outen. Zu groß wäre die Angst, dass ihr Ansehen bei den tollen Fußballfans zerbröckelt. Aber es sind nicht nur die Fans und die Vereine, sondern auch die Mitspieler, und ich glaube, vor denen hat Jude am meisten Angst. Er hat sich vor keinem einzigen seiner Mitspieler geoutet, ob Nationalmannschaft oder Verein, keiner weiß, dass Jude nicht „von der geraden Seite" stammt. Nicht einmal sein bester Freund, Jamal Musiala.
Ob diese Angst gerechtfertigt ist, das kann ich selbst wahrscheinlich am wenigsten beurteilen. Auf mich wirken seine Mitspieler offen und freundlich, allerdings kann das gut auch nur eine Fassade sein. Vielleicht sind sie weltoffen und würden Jude unterstützen – vielleicht aber auch das Gegenteil, und sie sind die homophobsten Schweine, die es auf dieser Welt gibt – und die Judes Leben zerstören könnten. Und meins. Denn seit zwei Jahren ist der englische Nationalspieler mein Freund – und mein Leben.
Ich atme tief aus. Mein Freund öffnet seine Augen durch die Sonnenbrille und mustert mich überlegend. „Ist was los?", höre ich den britischen Akzent sanft in mein Ohr sprechen, ehe er auch schon durch meine Haare streicht. Ich seufze leise aus und drehe mich so, dass wir nun Oberkörper an Oberkörper liegen, und ich ihm direkt in die Augen sehen kann, so gut es durch die Sonnenbrille halt geht. Jude mustert mich sanft, aber ich merke auch die leichte Besorgnis in seinem Blick. Wir haben extra ein Hotel gebucht, welches sich nicht wirklich viele leisten können, wodurch wir auch eine große Menge an Privatsphäre bekommen. Die einzigen Personen, die sich hier noch aufhalten, sind weitere Fußballer oder andere reiche Menschen, die einfach nur ihren Frieden von der Welt haben wollen.
Durch diese Mengen an Privatsphäre kann ich mich auch nach vorne lehnen und meine Lippen auf die meines Freundes legen. Das überraschte Stöhnen meines Freundes und seine Hand in meinem Nacken, welche mich etwas mehr zu sich zieht, deutet an, dass Jude von dieser Idee definitiv nicht abgeneigt war. Der Kuss dauerte noch eine Weile, zu sehr liebe ich es, wie unsere Lippen miteinander funktionieren, bis wir uns beide leicht keuchend lösen und ich meinen Kopf in seinen Nacken lege.
„Ich würde das am liebsten immer machen, ohne irgendwas zu verstecken. Dich einfach in der Öffentlichkeit an mich ziehen und küssen. Gott", flüstere ich leise gegen Judes Nacken und spüre seine Hände auf meinem Rücken und seine Stimme in meinem Ohr, welche mir zustimmt, als ich plötzlich etwas Helles sehe. Aufgrund meiner Liegesituation ist meine Sicht zwar stark von dem Arm meines Freundes verdeckt, allerdings erkenne ich den plötzlichen Lichtblitz in unsere Richtung.
Irgendwer in der Richtung muss ein Foto gemacht haben. Es gibt keine andere Erklärung dafür. Ich schrecke auf, beginne total panisch zu atmen. Ich spüre Judes verwirrten Blick auf mir, als ich ihn auch schon an der Hand ziehe. „Wir müssen hier weg, sofort", flüstere ich, total panisch in der Angst, die Karriere meines Freundes hiermit beendet zu haben. Die Bilder sind eindeutig, da kannst du nichts drehen. Da kannst du nicht sagen, das sind zwei beste Freunde. Denn bekanntlich küssen sich zwei beste Freunde eigentlich nicht, während der eine auf dem anderen liegt.
Nur in Badehosen bekleidet kommen wir einige Zeit später im Hotelzimmer an – ich panisch, Jude einfach nur verwirrt. Durch seinen Blick geradeaus und die Sonnenbrille wird er den Kamerablitz kaum bemerkt haben. War es ein Fan? War es ein Paparazzo? Vermutlich die BILD. Die sind ja dafür bekannt, auf die Privatsphäre von Personen zu scheißen. Aber wie konnte das überhaupt passieren? Wie können hier überhaupt Menschen hin? War es jemand, der auch hier im Hotel wohnt? Oder ein Angestellter? Wird Jude jetzt erpresst? Wegen meiner Dummheit?
Ich spüre die Panik immer mehr aufsteigen und auch, wie sich langsam eine Panikattacke entwickelt. Jude drückt mich sanft aufs Bett, flüstert mir immer wieder zu, dass ich mich doch bitte beruhigen soll und was denn los sei. Breite Arme ziehen mich an sich und streichen mir liebevoll über den Rücken, in der Versuchung, mich zu beruhigen. Nach einer Zeit, es können Minuten aber auch Stunden gewesen sein, habe ich mich langsam wieder beruhigt und sacke gegen Judes Brust. „Ich habe deine Karriere zerstört. Es tut mir so leid Jude, bitte glaub mir. Ich sag auch, dass es meine Schuld war, dass ich das wollte, dass ich dich erpresst habe oder sowas. Es tut mir so-...„
Weiter komme ich nicht, denn ich spüre sanfte Lippen auf meinen, die mich von einer erneuten Panikattacke abhalten wollen. „Was ist denn passiert?", flüstert Jude sanft und zwingt mich mit seinen Händen, ihn anzusehen. Schluckend berichte ich ihm von den Geschehnissen am Pool, von dem Foto. Jude schluckt stark, deutlich merkbar, doch als ich mich noch einmal bei ihm entschuldigen will, drückt er mich nur an sich. „Dann sollen sie es öffentlich machen. Ich habe damit kein Problem, du schon?".
Verwirrt hebe ich meinen Blick und schaue in Judes braune Augen. Was sagt er denn da? Egal? Kein Problem? Jude schmunzelt leicht. „Dann machen sie es öffentlich, dann bin ich eben der erste große Fußballer, der geoutet ist. Dann ist es so. Irgendjemand muss mal den ersten Schritt machen. Fand die Idee von Qatar von Anfang an beschissen. Solang du bei mir bleibst ist alles okay" schmunzelt der Brite, kurz bevor er mich wieder in einen Kuss zieht. Ein Kuss, in dem auch eine leichte Note von Erleichterung steckt.
- Authors Note -
> Naaa, ich hoffe euch hat der kurze OS gefallen. Heute mal in einem etwas anderen Format, ihr könnt euch gerne ein Bild von Judes unbekanntem Freund ausdenken. Mögt ihr Geschichten mit unbekannten Charakteren oder lieber welche mit zwei bekannten?
Können wir uns bitte zwei männliche Hände vorstellen, wär super lieb... Und ja, der OS ist sehr kitschig, wie gefühlt das ganze Buch - Ups 😬😇