36 | Trent Alexander-Arnold

331 24 6
                                    

Achtung: enthält depressive Inhalte, Panikattacken und Selbstmordgedanken

gilded lily - cults

T R E N T

28. Mai 2022, Paris

Ich starre auf die Menge an Spielern in weißen Trikots, die jubelnd über den Rasen rennen. Sich gegenseitig in die Arme fallen, schreien, die den Boden küssen, tanzen. Spieler in weißen Trikots die sich freuen. Und dann sehe ich die Menge an Spielern in roten Trikots. Die Spieler, die mit den Tränen kämpfen - aber nicht mit Freudentränen. Die Spieler, die in den Himmel schauen, der Blick voller Enttäuschung. Die Spieler in den roten Trikots, die auf dem Boden sitzen und ihre Knie anziehen. Ich, im roten Trikot, der mitten auf dem Spielfeld steht und nicht verstehen kann, wie das schon wieder passieren konnte.

Gegeben hatte ich alles, was nur möglich war. Ich habe gekämpft, bis ich irgendwann keine Kraft mehr hatte. Meine Beine sind schwer, mein Kopf tut weh und jedes Gelenk an meinem Körper schmerzt. Aber nichts kommt an den Schmerz heran, der in mir drinnen brodelt. Heute war meine Chance, es allen Kritikern und Hatern zu zeigen. Zu zeigen, dass ich es wert bin. Dass ich es kann, dass ich ein Recht habe, bei Liverpool zu spielen. Dass ich zu den Reds gehöre, dass ich mein Leben für diesen Verein gegeben. Doch mit der heutigen Performance habe ich den Kritikern nur Recht gegeben, und ihnen mehr Stoff für ihre Gespräche geboten.

Mein Blick geht zu meinen Teamkameraden, zu Robertson, welcher auf dem Boden hockt und versucht, sein Gesicht zu verstecken. Zu Virgil, welcher mit den Tränen kämpft, während er in die Tribünen sieht. Ich schaue zu Mo, bei dem ich nicht sehen kann ob er pure Enttäuschung oder pure Wut in sich spürt. Ich könnte ewig so weitermachen. Ewig meine Teamkameraden ansehen, die gerade eine der schlimmsten Sekunden ihrer Fußballkarriere erleben.

Wir hätten das schaffen können. Bis zur 59. Minute war alles perfekt, wir hatten Chancen zum Sieg. Wir hätten besser verteidigen müssen, besser aufpassen müssen. Das Tor entstand aus einem dummen Fehler, und wer hat dabei mal wieder dumm ausgesehen? Natürlich Trent. Natürlich werde ich wieder tausende Nachrichten bekommen, Drohungen, Todesnachrichten, weil ich an diesem Tor beteiligt war. Weil ich meinen Job nicht richtig gemacht habe.

Jeder normale Arbeiter, der einen Fehler in seinem Job macht wird ermahnt. Keiner bekommt Todesdrohungen, weil er einen Fehler macht, von keinem Arbeiter wird die Familie in die Öffentlichkeit gezogen und dort bedroht. Kein Arbeiter wird öffentlich so zerrissen wie ein Fußballer, der einen Fehler macht. Fußball ist ein Hobby, welches wir zum Beruf genommen haben - unser Traum. Doch hätte ich damals gewusst, wie dieser scheinbare "Traum" mich nächtelang schweißgebadet aufwachen lässt, mir den Appetit raubt, mich immer mehr abnehmen lässt, hätte ich mich vermutlich doch eher darauf spezialisiert, ein Lehrer oder sowas zu werden. Dass wir alle nur Menschen sind, Menschen, die Fehler machen, wird so gerne ignoriert und runtergeschluckt, dass es einfach nur weh tut.

Und vor allem verhäuft sich diese Behandlung, wenn du ein Fußballer bist, der eine andere Hautfarbe als die "Norm" hat. Wenn du dann noch einen Fehler machst, der ein Spiel entscheidet, bist du ein gefundenes Fressen. Für Trolls im Internet, aber auch für Moderatoren, Interviewer. Nicht nur für junge Menschen, die es einfach nicht besser wissen, Nein. Du wirst bis auf die Knochen zerfetzt von erwachsenen Menschen, die es besser wissen sollten. Von erwachsenen Menschen, die jedes kleine Detail an dir zerreißen, als wären sie selbst perfekt, obwohl sie selbst entweder noch nie auf dem Platz standen, oder ihre Zeit auf dem Platz schon Jahrzehnte in der Vergangenheit liegt. Trotzdem zerfetzen sie uns, als wären sie die Geier und wir die toten Tiere in der Wüste, anstatt uns Tipps zu geben. Konstruktive Kritik. Anstatt dass sie uns eine Hand auf die Schulter legen und uns den Weg zeigen. Nein, sie zerstören uns in jungen Jahren schon.

Ich beobachte die Zeremonie der Pokalübergabe. Die Spieler in den weißen Trikots, die nicht glücklicher sein könnten. Natürlich nicht, sie haben gerade den höchsten Titel gewonnen, den eine Vereinsmannschaft erreichen kann. Ich sollte mich freuen, wenigstens ein bisschen. Doch das einzige was ich fühle ist Leere. Pure Leere. Leere, die mich von innen auffrisst, mir immer wieder einredet, dass ich nicht genug getan habe. Dass ich nutzlos bin, nicht genug bin. Dass ich sofort ersetzt werden könnte, und das auch bald werde - dass ich nicht mehr hier sein sollte. Ich nur eine Last auf dieser Erde bin, die weggeschafft werden sollte. Das ist doch auch das, was alle wollen, oder nicht? Meinen Tod. Dann kann Liverpool vielleicht auch endlich was gewinnen.

Die Übelkeit steigt in mir auf und ich renne in Richtung der Kabinen. Wir sollen der anderen Mannschaft die Ehre erweisen und ihnen bei ihrem Jubeln zusehen, doch ich kann nicht mehr. Ich kann das nicht mehr. Je länger ich da draußen stehe, je länger ich sehe, dass meine letzte Chance, meine Fans stolz zu machen, zerbricht, desto übler wird mir. Und desto näher bin ich einer Panikattacke. Bei den Toiletten angekommen lasse ich mich auf die Knie fallen und spüre die Panikattacke, die sich eben noch angebahnt hat. Ich kriege keine Luft mehr.

Ich habe das Gefühl, ich ersticke. Das Gefühl, als wäre das jetzt das Ende. Ich habe versagt, und ich habe das alles verdient. Die Tränen, die sich vorhin auf dem Spielfeld gebildet haben, strömen jetzt in einem Wasserfall meine Augen hinunter. Mein Körper bebt, zittert. Die Hand, die sich vorsichtig von hinten auf meinen Rücken legt bemerke ich anfangs nicht. Sie ist so zaghaft, so sanft. Doch dann werde ich in eine tiefe Umarmung gezogen. In eine Umarmung, die mir gerade wohl irgendwie das Leben rettet, die meinen Körper beruhigt. Die beruhigenden Worte, die mir mein schottischer Freund leise zuflüstert die Worte, die mich grad irgendwie aus dem Loch ziehen.

Ohne ihn wäre ich nicht mehr. Wäre er nicht, wäre ich nicht mehr hier. Und das ist keine These oder dummes Gerede, das ist ein Fakt. Würde er mich nicht jedes Mal aus meinem Loch ziehen, mich wieder aufbauen nach einem verlorenen Spiel wäre ich nicht mehr. Schluchzend lege ich meine Arme um den Körper meines Freundes, welcher mir vorsichtig über den Rücken streicht. Mich an sich drückt, als würde alles daran liegen. Und das tut es auch.

"Alles wird gut, Trent. Du kannst nichts dafür, alles wird gut. Wir fahren ins Hotel, okay? Alles wird gut, hörst du. Shhh, ich bin ja hier. Ich lass dich nicht allein", flüstert die Stimme in meine Haare, und ich drücke mich nur noch fester an den Körper.

Haven't I given enough, given enough?
Haven't I given enough, given enough?
Haven't I given enough, given enough?
Haven't I given enough, given enough?

-- Authors Note --

Ich glaube, das ist mit Abstand der heftigste OS, den ich je geschrieben habe. Ich hab richtig geheult beim schreiben (honeybadger26, heute bin ich dran)

Das ist leider ein Thema, welches absolut grauenhaft ist, aber der Wahrheit entspricht. Schaut euch nur mal die Kommentare von Kingsley an, nachdem Frankreich aus der WM geflogen ist - mir wurde so unfassbar übel vor Wut.

Ich hoffe euch hat der OS trotzdem gefallen - wenn euch mehr meiner Storys interessieren, schaut gern bei meinem neuen boyxgirl Buch vorbei.

Ich wünsche euch allen einen guten Rutsch ins Jahr 2023, genießt Silvester mit euren Liebsten! 🤎

Fußball OneShots [boyxboy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt