Achraf Hakimi stellt sich nach vorne auf den Elfmeterpunkt, richtet sich den Ball und schießt – und er trifft. Achraf Hakimi trifft den Elfmeter, und schießt uns somit aus der Weltmeisterschaft. Die Marokanner jubeln. Sie jubeln, weil sie es geschafft haben. Sie sind im Viertelfinale, sie haben die Chance auf den Pokal. Und wir sind raus, wir haben es nicht geschafft.
Wie erstarrt stehe ich immer noch auf dem Spielfeld, immer noch mit Blick auf das Tor. Ich merke zwar, wie sich meine Mitspieler um mich herum entweder auf das Spielfeld setzen, wie sie in die Kabine gehen, mit anderen Spielern sprechen. Ich merke zwar, dass einige von ihnen auch angefangen haben zu weinen. Aber ich kann mich nicht bewegen. Ich starre das Tor an, das uns die Möglichkeit für das Weiterkommen geraubt hat. Nicht ein Elfmeter ist rein gegangen, kein einziger. Aber ich habe nicht das Recht, über die Schützen zu urteilen. Ich habe nicht das Recht, weil ich zu feige war, mich für den Elfmeter zu melden. Schluckend lassen meine Beine langsam nach, und ich setze mich auf den nassen Feldboden. Ich ziehe meine Knie an und sitze einfach nur auf dem Spielfeld, tausende Gedanken, die sich in meinem Kopf herumtreiben.
Hätten wir es geschafft, hätte ich gebeten, einen Elfmeter zu schießen? Wieso habe ich den Ball trotz den Chancen nicht ins Tor bekommen? Wieso hat niemand den Ball ins Tor bekommen? Wir sind doch nicht so schlecht, oder?
Leise merke ich, wie sich vereinzelt Tränen in meinen Augen bilden. Aber das ist mir jetzt egal. Dieses Jahr ist eine absolute Katastrophe, und ich will einfach nur, dass es endet. Ich flehe, dass es endet. Niederlage in Spielen, die wir aufjedenfall gewinnen wollten. Ausscheiden aus der Champions League. Ausscheiden aus der Weltmeisterschaft. Und bei jedem entscheidenden Spiel habe ich gespielt. Bei jeder Niederlage, bei jedem Ausscheiden habe ich eine Rolle gespielt. Überall war ich beteiligt, wenn auch nur indirekt. Aber ich war beteiligt.
Ab und an merke ich eine Hand, die sich kurz auf meinen Rücken legt und kurz zudrückt, im Fußball ein Zeichen der Aufmunterung. Ein Zeichen, dass alles wieder gut wird. Aber es wird nicht alles gut, es kann nicht alles gut werden. Wie kann es sein, dass jede Mannschaft, in der ich spiele, einfach absolut abstürzt? Wie kann es sein, dass alles was ich berühre, irgendwie in tausend Stücke zerbricht? Wie kann es sein, dass ich meine Eltern schon wieder so sehr enttäusche? Sie sind hergeflogen. Sie und mein Bruder sind extra hergeflogen, damit ich sie stolz mache. Und ich enttäusche sie. Ich enttäusche alle drei.
Jetzt fließen die Tränen. Und sie hören nicht auf zu fließen. Sie fließen unkontrolliert. Ich ziehe meine Knie stärker an mich, versuche, mit dem Boden zu zerfließen. Ich will mich vor all den Menschen hier im Stadion, von meinen Mitspielern, meinem Trainer und allen Fans verstecken. Alles Menschen, die ich heute unfassbar enttäuscht habe. Und ich will mich vor ihm verstecken. Denn ihn habe ich am meisten enttäuscht – diese Weltmeisterschaft ist sein größter Wunsch gewesen. Und ich habe ihn ihm zerstört.
Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergeht. Keine Ahnung, wie lange ich schon hier auf dem Boden sitze und mich fühle, als wäre ich innerlich tot. Irgendwann spüre ich zwei Arme, die sich um meinen Körper legen und versuchen, mich hochzuziehen. Versuchen, mir aufzuhelfen. Und ich weiß direkt, wessen zwei Hände das sind, die mich aufziehen, mir helfen zu stehen, und sich dann schlussendlich auf meinem Rücken niederlassen, um mich in Richtung Kabine zu leiten. In der Kabine angekommen, drücken mich diese zwei Hände auf meinen Platz. Leise höre ich, wie die Person, der diese Hände gehören, seufzt, sich dann aber vor mir in einer Hocke niederlässt. Ich spüre eine Hand auf meiner Wange, die kurz und vorsichtig darüberstreicht, und dann sehe ich, wie Pablo aufsteht und zu seinem Platz geht.
Dieses winzige Zeichen von Liebe hat gereicht, um mich aus meiner Schockstarre zu lösen. Dieses winzige Zeichen, dass er mich nicht verabscheut, mich nicht hasst. Dass Pablo mich nicht ekelhaft findet und mir nicht vorwirft, seine Wünsche zerstört zu haben. Nicht mehr in meiner Schockstarre, aber immer noch leicht in Trance, gehe ich mich duschen und ziehe mich dann um. Auf meinem Platz liegt aber nicht mein Pullover, sondern ein Pullover von Pablo, von dem keine Spur zu sehen ist – er muss wohl schon im Bus sein. Leise schmunzle ich, nehme den Pullover und ziehe ihn mir über. Er riecht nach ihm. Und dieser Geruch beruhigt mich gerade so sehr, und gibt mir das Gefühl, dass ich doch nicht komplett versagt habe.
Im Bus angekommen, suche ich nach einem Platz, werde in dem Moment aber schon in einen Platz gezogen. Pablo hält vorsichtig meine Hand, zieht mich seitlich an sich, so dass ich meinen Kopf an seine Schulter lege. Vorsichtig legt Pablo seine Hand auf meine Hand und streicht liebevoll über diese. „Du bist nicht schuld, gar nicht, Pedri", flüstert er mir sanft ins Ohr. Wir schauen uns kurz an, und dann vergrabe ich meinen Kopf wieder in seiner Schulter.
Die ganze Zeit vom Bus ins Hotel lässt mich Pablo nicht allein. Ob das daran liegt, dass er nicht allein sein möchte oder ob er mich nicht allein lassen will, das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass die Schulter, die meine ab und an auf dem Weg streift, mir unfassbar viel Halt gibt – und ich ohne sie wahrscheinlich zerstört wäre. Als wir in unser Zimmer kommen, welches wir uns teilen, lasse ich mich sofort auf ein Bett sinken, ob Pablos oder meins, keine Ahnung. Das einzige, was ich schaffe ist, meine Schuhe auszuziehen.
Ich spüre ein Gewicht neben mir, welches sich auf dem Bett niederlässt, und mich dann vorsichtig an sich zieht. Wieder diese zwei Arme, die sich um mich legen, und mich auf seine Brust ziehen. Pablo zieht mich so an sich, dass ich mit dem Kopf auf seiner Brust liege und ihn ansehe. Er streicht mir vorsichtig und unfassbar liebevoll durch die schwarzen Haare und mustert mich mit einem Blick voller Liebe, den ich so gar nicht verdient habe. „Du bist nicht schuld, Pedri. Es sollte einfach nicht so sein, und es ist jetzt eben so. Du änderst es nicht, indem du dich hier selbst zerstörst. Das macht mich traurig, denn du bist mit Abstand der wichtigste Mensch hier für mich. Und jetzt können wir weg von hier, und wieder wir zwei sein. Keine Angst mehr haben", flüstert mir mein Freund leise zu, ehe er seine Lippen auf meine legt, mit genug Druck, um seinen Worten noch einmal Klarheit zu geben. Nach dem Kuss zieht er mich fest an sich und hält mich einfach nur fest. Und so liegen wir eine Weile einfach nur da. Ich in seinen Armen, seine Stirn auf meinem Kopf, ohne ein Wort zu sprechen. Einfach nur zwei sehr junge Fußballer, die einander in der Dunkelheit eines großen, beängstigenden Landes Halt geben. Zwei junge Fußballer, die gerade so vulnerabel sind, und sich gerade gegenseitig brauchen, um zu überleben.
Vielleicht hat das Leben doch eine positive Seite, und nicht alles ist nur negativ, egal wie beschissen es gerade läuft.
-- Authors Note --
Äh ja, schneller gemeldet als gedacht. Und sogar mit nem relativ langen OS. Aber irgendwie hat mich die Idee gerade gepackt, und ich wollte sie sofort umsetzen.
Ich hoffe sehr, dass euch der OS gefällt und ich würde mich sehr über Feedback freuen!
Die Frage der Woche: gönnt ihr Spanien den Exit?