Mittwoch, 21. September 2022
Leise sitze ich auf einem der Stühle, meinen Mantel nahe an mich gedrückt. Das Wetter hier in Polen ist leicht kalt – nicht eisig, aber auch nicht sonderlich warm. Es ist September, und der Herbstwind streift ab und an mal mein Gesicht. Wir haben uns heute hier getroffen, um unsere eingravierten Fußabdrücke zu bewundern und auch, um Zertifikate entgegenzunehmen. Jetzt sitze ich hier, während die Vorstände und eingeladenen Mitglieder ihre Texte vorlesen, kann mich allerdings nicht auf das Gesagte konzentrieren. Mein Blick schnellt immer wieder zu einer Person in meiner Nähe. Der braunhaarige mit den eisblauen Augen ist gerade in ein Gespräch vertieft, merkt also meine Blicke nicht, die ihn seit einer Stunde immer wieder treffen. Das hoffe ich zumindest, erwidert hat er sie mal nie.
Mein Wiedersehen mit dem Polen war härter als erhofft. Beziehungsweise habe ich heute auf der Fahrt erst erfahren, dass sich unsere Wege nun wieder kreuzen werden, obwohl mir das eigentlich klar sein hätte sollen. Robert ist eine polnische Legende, die Person, zu der alle polnischen Jungs hochsehen. Eine Ikone, ein Held. Jeder polnische Junge, der Interesse an Fußball hat, will er sein. Will irgendwann an seiner Stelle stehen.
Ich war Robert gekonnt die letzten Jahre aus dem Weg gegangen, genauer gesagt seit seinem Transfer nach München. Ich konnte ihm nicht gegenüberstehen, nicht, wenn genau sein Transfer das war, was meine heile Welt im Jahr 2014 zerstört hat. Er hat unsere Beziehung hingeschmissen, als wäre sie nichts gewesen, und hat sich für die Bayern entschieden. Für einen Neustart. Für einen Neustart ohne mich. Bei jedem Klassiker war ich die erste Person, die wieder in der Umkleide war. Die einzige Person, die nie ein Interview gab und nie die Mitspieler der gegnerischen Mannschaft umarmt hat. Und das ging auch eigentlich echt gut immer. Der Großteil meiner Mitspieler, vor allem die Neuen, hat sich zwar immer gefragt, wieso ich das tue, allerdings haben Marcel und Marco sie dann aufgeklärt. Das vermute ich zumindest, denn es wurden nie irgendwelche Fragen gestellt, und beim nächsten Klassiker trafen mich dann auch keine verwirrten Blicke mehr.
Leise seufzend wende ich den Blick ab. Die ganze Sache ist jetzt schon über 8 Jahre her. Robert war in der Zwischenzeit wieder gewechselt, nach Spanien, und ich hatte meine Karriere als Profifußballer an den Nagel gehängt. Mittlerweile spiele ich in einem kleinen, polnischen Verein, nur noch aus Spaß. Die Zeiten waren vorbei.
Mein Blick trifft Roberts Frau Anna, die neben ihm steht. Er hatte sie damals schon, war sich nie klar darüber, ob er jetzt mich liebt, oder sie. Ob er schwul ist, oder nicht. Eine Zeit lang war es sicher, da war ich alles für ihn, da galt seine Liebe nur mir. Da war er kurz davor, seine Beziehung mit ihr zu beenden, sich voll mir hinzugeben. Wir haben in der Zeit über gemeinsame Kinder gesprochen, über eine mögliche Hochzeit nach dem Karriereende. In der Zeit habe ich mich von meiner damaligen Frau getrennt, naiv in dem Glauben, dass das zwischen Robert und mir wirklich etwas Ernstes werden könnte. Doch dann kam sein plötzlicher Wechsel zu den Bayern ohne jegliche Erklärung, und seine Trennung in Form eines Briefes in meinem Briefkasten. Ob es mich überhaupt schockiert hat, dass er plötzlich gewechselt ist, kann ich heute nicht mehr sagen. Irgendwie hatte ich es gespürt. Das, was mich schockiert hat, ist, dass er nicht einmal persönlich unsere Beziehung, oder was auch immer wir beide hatten, beendet hat. Nein, ich habe einen mehrseitigen Brief bekommen, auf welchem er bedauert, dass die „Sache", wie er sie so schön genannt hatte, nun so abrupt endet, aber er einen Neustart benötigt, und Fußballer ja eh nicht schwul sind. Vor allem, keine polnischen Fußballer, denn bei uns war es eine Todsünde, dasselbe Geschlecht zu lieben. Dass das alles nur ein Ausrutscher ist, der jetzt beendet werden muss. Dass er Anna liebt, und sich mit ihr eine Zukunft wünscht. Der letzte Satz des Briefes lautete „Ich wünsche dir alles Gute für deine Zukunft, Robert". Nicht einmal ein „dein Robert". Nein, ein Autogramm, wie es ein Fan bekommt.
Ich wende meinen Blick von den beiden ab und schaue auf meine Hände. Marcel hatte mir vorhin geschrieben, ob alles Gut bei mir ist, und wie ich mit dem Zusammentreffen klarkomme. Super, denke ich mir ironisch. Ich komme super mit dem Wiedersehen mit meinem Ex klar, der mir für Jahre die Möglichkeit gestohlen hat, je wieder jemandem zu vertrauen. Denn das ist die Wahrheit. Seit der Trennung habe ich mich mit niemandem mehr auf ernster Basis getroffen. Einmal Sex da, einmal Knutschen da, aber nichts mehr auf ernster Basis. Ein Teil meines Vertrauens wurde an dem Abend gestohlen, und wird vermutlich nie gefunden werden.
Eine Gänsehaut trifft meinen gesamten Körper, jede Ader und jedes Haar, als ich das Lachen höre. Sein Lachen. Das Lachen, das eine Zeit lang das schönste Geräusch in meinem Leben war, ich konnte mir mit dem Klang seiner Stimme nichts Schöneres vorstellen. Doch dieses Lachen galt dieses Mal keinem Witz, dem ich ihm erzählt habe oder keiner lustigen Trainingsgeschichte. Er legt dabei auch nicht seine Hand auf meinen Arm, wie er es immer tat, wenn er gelacht hat. Nein, das Lachen galt in keiner Weise mir, sondern seinem Gegenüber, irgendeinem polnischen Vorstandsmitglied.
Mein Blick trifft wieder ihn. Meine Augen durchforsten sein Gesicht, jede Falte seines Gesichtes. Sein Lachen, seine Zähne, seine Augen. Dieses Gesicht, das ich so oft schlafend, wie auch wach beobachtet habe, wenn er neben mir lag. Die Augen, die so oft gestrahlt haben, wenn ich ihn geküsst habe, oder wenn er irgendwas im Training geschafft hat. Die braunen, leichten Locken, die so unfassbar weich waren, und in denen meine Hände immer einen Platz zum Ausruhen gefunden haben. Sind sie immer noch so weich, wie sie es damals waren? Mein Blick wandert weiter, zu seinem Mund. Der Mund, aus dem die schönsten Worte kommen konnte, die Lippen, die ich so oft auf meinen gespürt habe. Der Mund, aus dem so oft mein Name gestöhnt wurde.
Ich spüre etwas nasses und warmes, das meine Wange runtergleitet. Eine einzelne Träne hatte sich seinen Weg aus meinen Augen gesucht und auf meiner Wange das Ziel gefunden. „Reiß dich zusammen Lukasz", denke ich mir. Ich kann doch nicht in der Öffentlichkeit über etwas altes heulen, was ich eigentlich schon lang abgeschlossen hatte. Und vor allem kann ich nicht schon wieder ihm nachheulen, denn er hat keine weitere Träne von meiner Seite verdient. Ich streiche mit dem Handrücken über meine Wange, unauffällig, damit es ja niemand mitbekommt. Doch dann merke ich einen Blick auf mir. Eisblaue Augen starren in meine Augen, verwirrt und überrascht, und doch auch sanft und scheu, wie ein junges Reh.
----- Authors Note -----
Jaaa, ich lebe noch, überraschend, ich weiß. Ich habe heute mal ein kurzes und relativ emotionales Kapitel zu einem Paar, dass ich eher underrated finde, und zu dem es leider auch nicht so viele Geschichten gibt. Ich hoffe, euch gefällt der Teil!
Ich hätte eine Idee für einen zweiten Teil dieses Kapitels, hätte jemand Interesse daran? Der OS ist nicht überlesen und korrigiert worden, also die Fehler am besten einfach akzeptieren :)