Kapitel 16

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»Hey. Ich habe dich gar nicht beim Mittagessen gesehen.« Alex kommt in den Trainingssaal. Ich sitze bereits auf den Matten und übe schon wieder an meinem Luz-Ball. Schon drei Tage lang übe ich daran, den Ball in meiner Hand zu kontrollieren, aber das ist wirklich verdammt schwer.
»Ich habe mir nur schnell ein Sandwich geholt. Ich konnte mich nicht von diesem coolen Zaubertrick losreißen«, sage ich starre verliebt auf die golfballgroße Kugel, die zwischen meinen Handflächen flackert. Sie sieht noch ziemlich unsicher aus und verpufft im nächsten Moment schon wieder.
»Wow, du hast ja gelernt dein Luz einzusetzen.« Alex schmunzelt und kommt langsam auf mich zu. Mit Leichtigkeit beschwöre ich einen neuen Mini-Ball in meine Hände.
»Ja, Mary hat es mir vor einigen Tagen gezeigt, aber ich bekomme es einfach nicht richtig hin«, ärgere ich mich, als der neue Ball schon wieder vor mir verpufft. »Meinen Schutzschild beherrsche ich auch schon. Jo meint, ich sei ein Naturtalent. Aber bei diesem Ball habe ich so meine Schwierigkeiten. Ich schaffe es einfach nicht, ihn länger als ein paar Sekunden zu halten. Und zum Schießen bin ich auch noch nicht gekommen«, meckere ich. »Dabei würde ich das so gern mal ausprobieren!«
Immerhin beherrsche ich meinen Schutzschild mittlerweile. Zumindest eine Sorge weniger. Jo meint, dass ich bereit bin, nach draußen zu gehen. Das bedeutet, ich darf meinen Dad und Martha sehen am Wochenende. Schon seit Jo mir diese Nachricht überbracht hat, freue ich mich darauf. Meine Augen heften sich auf das kleine Lichtbündel in meiner Hand, in der Hoffnung, dass ich es stabilisieren kann. In dem Moment wird die Tür aufgerissen und kracht so laut hinten an die Wand, dass ich fast einen Herzinfarkt bekomme. Vor lauter Schreck stolpere ich zurück und pfeffere meinen Luz-Ball aus Versehen nach vorne. Cora kreischt und duckt sich im letzten Moment, um nicht von meinem Ball erwischt zu werden. Er kommt einige Meter hinter ihr am Boden auf und verpufft augenblicklich mit einem zischenden Geräusch. Zum Glück ist dort draußen kein Holzboden, sonst hätte ich gerade ein Loch hineingebrannt.
 »Hey!«, kreischt sie und sieht mich vorwurfsvoll an.
»Ups...«
Alex lässt sich stark lachend neben mir auf die Matten plumpsen.
»Es ist verboten, in Innenräumen mit dem Luz zu trainieren!«, ruft Cora, als sie sich von dem ersten Schock erholt hat, und verschränkt die Arme vor der Brust. »Alex!«
»Hey, ich bin auch eben erst gekommen«, verteidigt er sich und hält sich immer noch den Bauch vor Lachen. Ich werfe ihm einen genervten Blick von der Seite zu, den er gekonnt ignoriert.
»Tut mir leid, Cora. Das wusste ich nicht«, sage ich kleinlaut. Es hat mir niemand gesagt, dass ich in Innenräumen nicht mit meinem Luz trainieren darf. Zwar ist es irgendwie logisch, da der Ball alles und jeden verbrennen kann, aber darüber habe ich vorhin nicht nachgedacht. Zumindest nicht bis Cora gekommen ist.
»Naja... egal. Ich wollte eigentlich nur nach dir sehen. Du warst nicht beim Essen.«
»Hab mir nur ein Sandwich geholt«, erkläre ich auch Cora.
»Oh okay. Was hast du jetzt vor?«
»Sie hat die große Ehre mit mir zu trainieren, wenn du es unbedingt wissen musst«, sagt Alex und steht auf.
Cora verdreht schmunzelnd die Augen und wendet sich wieder an mich. »Darf ich zusehen?«, fragt sie freudig.
»Nein!«, rufen Alex und ich wie aus einem Mund. Ich schaue ihn schmunzelnd an, als er grinsend den Kopf schüttelt.
»Okay, dann eben nicht.« Cora hebt kapitulierend die Arme und wendet sich zum Gehen. »Dann wünsche ich noch viel Spaß«, sagt sie bevor die Tür hinter ihr ins Schloss fällt.
»Du hättest mir ruhig sagen können, dass das verboten ist!«, schnauze ich Alex an und stehe auf.
»Was hätte das gebracht? Du hättest doch ohnehin nicht auf mich gehört.« Da ist was Wahres dran. »Und so hatte ich auch ein bisschen Spaß«, fügt er noch hinzu und grinst.
»Ja sehr viel Spaß! Ich hätte Cora fast in die Luft gejagt!«
»Jetzt sei mal nicht so dramatisch, Hale. Mit dem kleinen Mini-Luz hättest du sie höchstens ein wenig verbrannt, mehr nicht«, neckt er mich und zeigt in die Richtung, in die mein Ball geflogen ist.
»Hey! Kein Wort gegen meine kleine Kugel! Sie ist bezaubernd!«, schimpfe ich und nehme die Fäuste vors Gesicht, um mich auf unser bevorstehendes Training vorzubereiten.
»Ja ist sie. Nur kannst du damit keine Dämonen besiegen«, stichelt Alex weiter. Ich kneife die Augen zusammen und versetze ihm einen harten Schlag ins Gesicht, der ihn ins Wanken bringt.
»Die bekommen davon nur einen kleinen Stromschlag«, macht er weiter. Ich greife noch einmal an, diesmal laufe ich um ihn herum, schlinge meinen Arm um seinen Hals und drücke fest zu, sodass er keine Luft mehr bekommt. »Vielleicht kitzelt dein Luz sie ein wenig«, krächzt er und geht in die Knie. Ein stilles Triumph-Grinsen schleicht sich in mein Gesicht, als ich Alex in die Knie gezwungen habe. Doch plötzlich lehnt er sich mit Schwung nach vorne und wirft mich in hohem Bogen über seine Schulter. Ich lande hart auf der Matte und verziehe das Gesicht.
»Oder, was am wahrscheinlichsten ist, sie spüren deinen Angriff gar nicht«, fügt Alex mit einem schadenfrohen Grinsen hinzu und beugt sich zu mir herunter. »Tja, Hale. Es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber du hast keine Chance gegen mich.«
So plötzlich, dass Alex es nicht kommen sieht, werfe ich mein Bein nach oben und knalle es ihm mit solchem Schwung an den Kopf, dass er nach hinten kippt und ebenfalls auf der Matte landet. Mit einem geschickten Sprung bin ich wieder auf den Beinen. Jetzt ist es an mir auf ihn herabzusehen und zu lachen.
»Was hast du gerade gesagt?«
»Nicht schlecht, Hale«, gibt er zu und setzt sich stöhnend auf. »Das hat ganz schön wehgetan.«
»Tut mir leid«, murmle ich und hole ihm sein Wasser. Als ich wieder zu Alex zurückgehe, überkommt mich auf einmal ein heftiger Schwächeanfall. Ich halte meine Hand an die Stirn und blinzle einige Male. Das fühlt sich fast so an, wie damals, als ich in die Wüste gezogen wurde. Meine Beine geben unter mir nach und ich lande unsanft neben Alex auf der Matte.
»Was ist los?«, fragt er besorgt und betrachtet mich eingehend.
»Ich weiß nicht...«
»Wie lange hast du mit deinem Luz geübt?«, will er wissen. Alex streicht mir behutsam eine Strähne aus dem Gesicht und hilft mir, mich aufzusetzen.
»Ein paar Stunden«, gebe ich zu und schmunzle. »Ich konnte einfach nicht mehr aufhören.«
»Hm... du musst dich hinlegen. Dein Luz ist zwar deine größte Waffe, aber leider schwächt es dich auch, wenn du es verwendest. Vor allem, wenn du noch nicht daran gewöhnt bist«, sagt er leise. Ich kneife meine Augen zusammen und halte mich mit zitternden Händen an Alex fest, damit ich nicht noch einmal umkippe.
»Verdammt«, murmle ich und versuche, ruhig zu atmen.
»Wie schlimm ist es?«
»Ich fühle mich, als hätte ich zwei Tage lang durchgefeiert.«
Alex gluckst und rutscht ein Stück näher, um mich besser stützen zu können. »Das klingt ja gar nicht so schlimm«, sagt er und erinnert mich daran, als ich ihn völlig betrunken aus der Bar geholt habe und dann neben ihm eingeschlafen bin. Ich öffne die Augen und schaue ihn unsicher an. »Was mache ich jetzt?«
»Das haben wir gleich, Hale. Halt dich an mir fest«, sagt Alex und bedeutet mir, meine Arme um seinen Nacken zu legen. Mit dem linken Arm fährt er unter meine Beine und der andere stützt meinen Rücken. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern oder zu wackeln, steht er auf und hebt mich hoch. Wäre ich nicht so erledigt gewesen, hätte ich über seine unglaubliche Kraft gestaunt. Ich schlinge meine Arme ein wenig fester um seinen Nacken und lege den Kopf bequem auf seine Schulter. Sein unvergleichlicher Moschus-Geruch steigt mir angenehm in die Nase, als ich mein Gesicht an ihn schmiege. Ich fühle seine stetigen Atemzüge und lasse zu, dass mir die Augen zufallen. Alex fährt seine wunderschönen Flügel aus und hebt mit mir im Arm ab. Nur kurze Zeit später sind wir vor meinem Zimmer.
»Lucy«, flüstert er, »ich brauche deinen Schlüssel.«
Ich nicke und fahre mit meiner Hand von oben in mein Shirt. Alex runzelt die Stirn und schaut mich fragend an, als ich den kleinen Schlüssel aus meinem Sport-BH ziehe.
»Und ich dachte, du kannst mich nicht mehr überraschen«, merkt er an und lacht leise.
»Tja... du hast mich eben falsch eingeschätzt«, hauche ich und kuschle mich wieder an ihn. Alex sperrt umständlich die Tür auf und trägt mich in mein Zimmer, wo er mich aufs Bett sinken lässt.
»Schlaf dich aus.« Er streicht mir zum Abschied noch zärtlich über den Kopf, dann lässt er mich alleine. Binnen weniger Sekunden bin ich eingeschlafen.

Flügel und SchlagWo Geschichten leben. Entdecke jetzt