Kapitel 18

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Nach 30 Minuten Flugzeit schweben wir vor Hannahs Zimmerfenster. Nachdem ich kurz geklopft habe, streckt sie den Kopf nach draußen und kommt aus dem Staunen nicht mehr raus. Eine Sekunde denke ich, sie beginnt zu kreischen oder kippt um, aber zu meinem Glück schlägt sie sich ziemlich gut. Sie öffnet das Fenster und lässt uns ins Zimmer fliegen.
»Was zum Teufel...?!« Hannah sieht Alex und mich abwechselnd mit offenem Mund und großen Augen an.
»Heilige Scheiße! Was für Special Effects sind das?«, ruft Ruth, der auf Hannahs Bett sitzt und starrt uns genauso überrascht an wie Han.
»Ruth? Du bist hier?«, frage ich wie ein Idiot. Jetzt gibt es gleich drei überraschte Gesichter in Hans Zimmer. Nur Alex steht abwartend da.
»Ja... ich habe ihn angerufen, aber... Lu! Was zum Teufel!«, ruft Han so laut, dass ich froh bin, dass niemand zu Hause ist. Ich seufze und falte meine Flügel zusammen, sodass sie sogleich wieder verschwinden. Als wären sie nie da gewesen.
»War das so eine Art Projektion?«, wirft Ruth ein, der aufgestanden ist und um mich herumgeht.
»Nein Ruth, das waren Flügel. Meine Flügel«, sage ich und schaue Han und Ruth abwechselnd an. Ich denke, ich habe viel vor...
»Hallo. Ich bin Alex«, wirft Alex hinter mir ein und hebt die Hand.
»Oh ja genau, das ist Alex. Matts Bruder«, erkläre ich, doch die beiden scheinen das gar nicht mitzubekommen.
»Lu...?«, fleht Han, die jetzt wirklich so aussieht, als würde sie jeden Moment umkippen. Und Ruth gleich mit.
»Ähm... ich fürchte, ich muss euch etwas sagen.«
»Was du nicht sagst!«, wirft Ruth ein, der Han schnappt und sie behutsam zu ihm aufs Bett setzt.
»Ja... also ich... mit äh mit Alex... und wir wollen... ähm...«, stottere ich herum, was die beiden noch mehr verwirrt. Sie schauen mich an, als hätten sie herausgefunden, dass ihre beste Freundin in Wahrheit Venom ist.
»Ich denke, das solltest du mir überlassen«, flüstert Alex mir zu und macht einen Schritt auf die beiden zu. Ich nicke und lasse mich in den weichen Sessel gegenüber von Hannahs Bett fallen.
»Also Hannah und...«
»Ruth«, werfe ich ein.
»...Ruth. Eure Freundin hat vor Kurzem herausgefunden, dass sie – wie auch ihre Mutter – ein Engel ist. Seit 150 Jahren herrscht ein Krieg zwischen Engeln und Dämonen, den wir versuchen zu gewinnen. Und dafür braucht Lucy eure Hilfe. So, das war die Kurzversion«, erklärt Alex und grinst Hannah und Ruth unheimlich an. Han schluckt und sieht Alex an, als wäre er ein Vergewaltiger. Venom und ein Vergewaltiger, die behaupten Engel zu sein, in Hans Zimmer. Wenn das mal keine Story ist! Ich muss schmunzeln, als ich mich daran erinnere, wie ich Alex angesehen habe, als ich im Krankenflügel bei Mel aufgewacht bin. Da dachte ich auch, er hätte mir irgendwelche Drogen gespritzt.
»Toll gemacht Alex! Besser hätte ich es nicht sagen können«, necke ich ihn und klopfe ihm anerkennend auf die Schulter. Alex zieht eine Augenbraue hoch und sieht mich schmunzelnd an.
»Deine Vorstellung war auch nicht gerade besser!«
Das stimmt leider. Ich nicke widerwillig und wende mich wieder an Han und Ruth. Langsam gehe ich zum Bett und setze mich neben sie. »Es ist wahr, was er sagt. Ich bin ein Engel. Wie ihr ja schon gesehen habt. Meine Mutter war keine Friseurin, die uns verlassen hat. Sie musste weg, weil dieser Krieg herrscht. Und... vor etwa zwei Wochen ist sie gestorben. Ich habe es euch nicht gesagt, weil... ich weiß nicht... ich konnte es nicht. Und dann begann alles. Wisst ihr noch dieser Kerl, den ich gesehen habe? Ihr dachtet, es wäre eine Statue gewesen, aber es war ein Dämon. Einen Tag später hat er mich angegriffen. Ich wäre nicht mehr hier, wenn Alex mich nicht gerettet hätte.« Die beiden schauen mit großen Augen zu Alex, der verlegen grinst. »Kurz darauf haben Dad und Martha mir erzählt, dass meine Mum ein Engel war und... ich habe ihnen nicht geglaubt. Wie könnte ich? Ich meine, es hört sich doch völlig gestört an, oder nicht?«
»Allerdings...«, flüstert Ruth und spielt nervös mit der Decke unter ihm.
»Aber dann hat Alex mich auf diese Schule gebracht. Dort habe ich gelernt, meine Fähigkeiten einzusetzen. Und ich habe auch merkwürdige Träume oder Visionen von meiner Mutter. Nach neun Jahren konnte ich sie wiedersehen und sie sagte mir, dass ich unbedingt verschwinden soll. Anscheinend ist irgendwas im Gange, das wir nicht wissen. Und sie meinte, ich soll über meine Vorfahren recherchieren. Alex und ich wussten nicht, wo wir sonst hin sollten und ich wusste, dass du mich niemals im Stich lassen würdest.«
Hannah sieht mich mit glasigen Augen an, dann wandert ihr Blick zu Alex, der gerade dabei ist, sich in Hans Zimmer umzusehen. Um genauer zu sein, fasst er alles an, was hier rumsteht.
»Okay«, flüstert sie und nickt energisch. »Ich helfe dir. Natürlich helfe ich dir, Lu.«
Ich lache erleichtert und schließe sie in die Arme.
»Hey, was ist mit mir?«, fragt Ruth und kuschelt sich ebenfalls zu uns. Ich kann mich wirklich glücklich schätzen, solche Freunde zu haben.
»Okay«, sagt Han und setzt sich aufrecht hin. Sie sieht schon viel besser aus, nachdem sie den ersten Schock verdaut hat. »Erzähl mir alles!«

Flügel und SchlagWo Geschichten leben. Entdecke jetzt