Eins

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Liebe Leser:innen,

herzlich willkommen in der Welt von Irem und Eser! Ich freue mich, dass ihr den Weg zu meiner Geschichte gefunden habt. 💕📚

Vielen Dank, dass ihr dabei seid – eure Unterstützung bedeutet mir sehr viel!

Herzliche Grüße

Eestone


An einem grauen Mittwoch Nachmittag, während meine Kommilitoninnen und ich uns auf den Weg zur Mensa machten, klingelte plötzlich mein Handy. Ein schneller Blick auf das Display verriet mir, dass es meine zwei Jahre ältere Schwester Fulya war. Mit einem entschuldigenden Lächeln hielt ich meine Freundinnen kurz zurück. "Mädels, wartet mal kurz, ich muss das schnell klären," sagte ich, während ich den Anruf entgegennahm. "Hey, alles okay?" fragte ich. "Hey Schatz," klang Fulya am anderen Ende der Leitung, ihre Stimme lebhaft wie immer. "Ich mache jetzt Pause. Wie wäre es, wenn wir uns spontan in unserem Lieblingslokal treffen? Ein bisschen italienisch essen, wie früher?" Einen Moment lang zögerte ich, dann erinnerte ich mich daran, wie sehr ich diese gemeinsamen Mittagessen genoss, besonders wenn ich dem Unistress kurz entkommen konnte. "Klar, bis gleich," antwortete ich schließlich, meine Stimmung hob sich sofort. Ich wandte mich an meine Freundinnen. „Leute, meine Schwester hat angerufen. Ich treffe mich jetzt mit ihr. Wir sehen uns später." Sie lächelten verständnisvoll und ich machte mich auf den Weg Richtung Stadtzentrum. Meine Universität lag nur zehn Minuten entfernt von dem kleinen, gemütlichen italienischen Restaurant, das wir schon seit Jahren regelmäßig besuchten.

Als ich das Lokal in der Ferne entdeckte, sah ich auch Fulya schon. Sie stand da, in ihrem schicken, aber zugleich praktischen Friseur-Outfit, das ihre schlanke Figur betonte. Ihr langes, seidiges, schwarzes Haar wehte leicht im Wind, während sie mir mit einem breiten Lächeln zuwinkte. Fulya war immer die Elegantere von uns beiden, mit einer natürlichen Anmut, die sie in alles, was sie tat, einfließen ließ. Wir begrüßten uns mit Wangenküssen, eine kleine Tradition, die wir nie abgelegt hatten, und gingen zusammen hinein. Drinnen umfing uns sofort der vertraute Duft von frisch gebackenem Brot und Knoblauch, begleitet von dem leisen Gemurmel der anderen Gäste. Der Charme des kleinen Restaurants lag in seiner einfachen, aber liebevoll gestalteten Einrichtung: dunkle Holztische, bunte Fliesen an den Wänden und Fotos von italienischen Landschaften, die an längst vergangene Urlaube erinnerten.

Kaum hatten wir uns hingesetzt, kam ein junger Mann auf uns zu. Er war groß, schlank, mit einem kecken Lächeln und lockigem, braunem Haar, das ihn ein wenig jünger erscheinen ließ, als er wahrscheinlich war. Seine dunklen Augen funkelten freundlich, als er uns begrüßte. „Ciao, io sono Matteo, aber ihr könnt mich gerne Teo nennen. Was kann ich für die zwei Damen bringen?" fragte er, sein italienischer Akzent ließ jedes Wort fast wie Musik klingen. Fulya, die sofort ein wenig aufblühte, lächelte ihn an. "Ciao Teo, Io sono Fulya. Piacere. Come va?" Ihre Worte waren so fließend und selbstbewusst, dass ich fast vergessen hätte, dass sie nie länger als zwei Wochen in Italien gewesen war. „Molto bene, grazie. Bin beeindruckt," erwiderte er mit einem breiten Grinsen, während er sich etwas über sie beugte, als wollte er ein Geheimnis teilen. „Hätte nicht gedacht, dass du so gut Italienisch sprichst." Fulya zuckte nur leicht mit den Schultern, ihr Lächeln unverändert. „Was soll ich sagen, ich mag Sprachen." Sie blickte auf die Speisekarte, auch wenn ich wusste, dass sie ihre Entscheidung längst getroffen hatte. „Tagliatelle Funghi für mich, per favore. Und zwei Mal hausgemachten Eistee." Matteo tippte schnell in sein kleines Gerät, dann wandte er sich mir zu. „Und was darf es für dich sein?" Ich zögerte kurz, ließ meinen Blick über die Speisekarte gleiten, obwohl ich schon wusste, was ich wollte.„Pizza Verdure, bitte. Mit extra Mozzarella," entschied ich schließlich, stellte mir die knusprige Pizza vor, die mit frischem Gemüse belegt war. „Kommt sofort," antwortete Matteo mit einem charmanten Lächeln und einem Hauch von Versprechen in seiner Stimme, bevor er uns mit einem freundlichen Nicken alleine ließ. Als er gegangen war, lehnte sich Fulya zurück, ihr Blick folgte ihm für einen Moment, bevor sie sich mir wieder zuwandte. Sie stützte ihr Kinn auf ihre Handfläche, ihre Augen blitzten schelmisch. „Ist er nicht süß?" fragte sie verschwörerisch. Ich schmunzelte. „Vielleicht ein wenig," gab ich zu, konnte aber nicht verhindern, dass mein Blick ebenfalls kurz in Richtung Matteo glitt.

Er hatte etwas an sich, das ich schwer in Worte fassen konnte – vielleicht war es seine unaufdringliche Freundlichkeit oder einfach der Akzent, der alles ein wenig aufregender machte. Dennoch blieb ich ruhig, während Fulya sichtlich amüsiert schien. „Erzähl, wie war dein Tag?" fragte sie schließlich, und ihre lebhaften Augen fokussierten sich wieder auf mich. Ich seufzte leicht und rieb mir die Stirn, um die letzten Reste von Müdigkeit zu vertreiben. „Ganz okay, kann mich nicht beklagen. Ich hatte seit acht Uhr Vorlesungen und mein Kopf fühlt sich dem Explodieren nahe an. Bin froh, jetzt erst einmal eine Pause zu haben, bevor es dann bis 18 Uhr weitergeht." Dienstags war mein längster Tag, und ich spürte, wie die Erschöpfung langsam Besitz von mir ergriff. Fulya nickte verständnisvoll und legte ihre Hand sanft auf meinen Arm. „Glaub mir, ich kenne das Gefühl. Heute war im Salon die Hölle los. Und weißt du, was das Schlimmste war?" Ihr Ton wurde ernster, und ich konnte die Spannung in ihrer Stimme hören. „Was denn?" fragte ich, auch wenn ich wusste, dass sie die Antwort nicht wirklich von mir erwartete. „Ein wirklich hübsches Mädchen kam heute zu uns. Sie hatte so lange, gesunde Haare, die bis zur Hüfte reichten. Und was tut sie? Sie lässt sich einen Kurzhaarschnitt verpassen, weil sie sich von ihrem Freund getrennt hat und eine Veränderung brauchte!" Fulya hob ihre Stimme unbewusst an, und ich konnte spüren, wie einige der anderen Gäste neugierig zu uns hinüberblickten. „Es ist okay, beruhig dich," sagte ich leise und legte meine Hand beruhigend auf ihre. „Du kannst jetzt auch nichts mehr daran ändern." Fulya seufzte tief und ließ ihre Schultern ein wenig sinken. „Ja, du hast Recht. Aber Irem, ich bitte dich, welches Mädchen würde sich von ihren tollen Haaren wegen irgendeinem Kerl trennen?" Ihre Augen suchten meine, als ob sie in meinem Gesicht eine Erklärung finden wollte. Ich schluckte schwer und überlegte kurz, bevor ich antwortete. „Ein verletztes Mädchen." Meine Worte hingen in der Luft, schwer von der Wahrheit, die sie enthielten. Fulya schien mit meiner Antwort nicht zufrieden zu sein und schüttelte traurig den Kopf. „Immer diese Männer!" murmelte sie verärgert.

Gerade als Matteo zurückkehrte und unsere Gerichte auf den Tisch stellte, hellte sich Fulya wieder auf. „Grazie," bedankte sie sich, ihre Stimmung besserte sich sofort, als sie das duftende Essen vor sich sah. Ich lächelte leicht, als ich meinen ersten Bissen von der Pizza nahm, spürte, wie die Anspannung des Tages langsam von mir abfiel. Fulya legte eine Hand auf meinen Kopf und strich mir durch mein Haar. „Lass mich am Wochenende deine Haare schneiden. Ich habe eine neue Idee." Ich lächelte dankbar. „Okay," stimmte ich zu, froh, dass das Gespräch eine leichtere Richtung nahm. Ihre Vorschläge für neue Haarschnitte hatten mich noch nie enttäuscht, und ich vertraute ihr in solchen Dingen blind. Die Zeit verging wie im Flug, und als Fulya einen Blick auf ihr Handy warf, sprang sie plötzlich auf. „Oh mein Gott, nur noch zehn Minuten!" rief sie erschrocken aus. Ich lachte leise und legte beruhigend eine Hand auf ihre Schulter. „Ist doch gut, das ist doch sowieso hier um die Ecke." „Ja, stimmt schon, aber trotzdem," entgegnete sie, während sie hektisch nach dem Kellner Ausschau hielt, um die Rechnung zu begleichen.

Genau in diesem Moment bemerkte ich einen jungen Mann am Tisch gegenüber von uns, der sich plötzlich umdrehte und direkt zu meiner aufgeregten Schwester blickte. Er hatte dunkelbraune, fast schwarze Augen, die im schwachen Licht des Restaurants wie Edelsteine funkelten, und sein Blick haftete fest auf Fulya. Ein leichtes Unbehagen stieg in mir auf, als ich bemerkte, wie seine Miene hart wurde, als er auf uns zukam, gefolgt von einem blonden Freund, der eher unbeteiligt wirkte. Als Matteo eintraf und Fulya die Rechnung nannte, trat der junge Mann näher. Er war groß, breitschultrig, mit einem selbstbewussten Auftreten, das deutlich machte, dass er sich seiner Wirkung auf andere bewusst war. „Na Fulya, alles klar?" fragte er, seine Stimme war weich, aber in ihr lag eine Spannung, die ich nicht überhören konnte. Fulya, die sonst so lebhaft war, erstarrte kurz, bevor sie ihn kühl begrüßte. „Hallo Eser, ja." Es war sofort klar, dass sie nicht gut auf ihn zu sprechen war, und ich konnte spüren, wie sich die Atmosphäre zwischen ihnen verhärtete. Dennoch ließ sich Eser nicht beirren und fragte weiter, als ob er ihre Abweisung nicht bemerkte. „Wie läuft die Arbeit? Ich komme diese Woche zu dir zum Haare schneiden." „Gut. Mach das," erwiderte Fulya knapp und wandte sich sofort an Matteo, der geduldig wartete. „Wie viel macht das?" fragte sie mit einer Stimme, die die vorherige Wärme völlig verloren hatte. „36,50 €," antwortete Matteo sachlich, diesmal ohne den Hauch von Flirt, der seine Stimme zuvor begleitet hatte. Vielleicht spürte er die Spannung, die Eser mitbrachte. Fulya kramte in ihrer Tasche und zog zwei zwanzig Euro Scheine heraus, den sie Matteo reichte. „Hier, passt so," sagte sie und nickte knapp, bevor sie ihre Lederjacke anzog. „Grazie," sagte Matteo und machte sich schnell wieder an die Arbeit. Eser stand noch immer da, sein Blick ruhte unverändert auf Fulya, die ihn schließlich direkt ansah und fragte: „Willst du noch was?" Ihre Stimme klang abweisend, fast feindselig, und ihre Hände waren zu Fäusten geballt.

Eser hielt ihren Blick einen Moment lang fest, dann schüttelte er den Kopf. „Nein, alles gut. Man sieht sich." Mit diesen Worten drehte er sich um und verließ das Restaurant mit seinem Freund im Schlepptau. Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, wandte ich mich meiner Schwester zu, die sichtlich aufgewühlt war. „Wer war das?" fragte ich, neugierig und besorgt zugleich. Fulya seufzte tief und schloss für einen Moment die Augen, bevor sie antwortete. „Niemand Besonderes. Vergiss ihn." Doch ich ließ nicht locker. „Sag es doch einfach. Du bist selten so genervt wegen anderen Menschen." Sie öffnete die Augen und sah mich ernst an. „Das war Eser, der verfluchte Ex-Freund von Yağmur. Weißt du, wie scheiße es Yağmur wegen diesem Idioten geht? Sie liebt ihn immer noch." Yağmur war eine gute Freundin meiner Schwester. Ich kannte sie nur flüchtig, wusste aber, dass sie ein wirklich süßes, aber auch sehr naives Mädchen war. Es tat mir weh zu hören, dass sie unter dieser Trennung so litt. „Er hatte bestimmt zu dieser Zeit auch andere Frauen am Start," fügte Fulya hinzu, ihre Stimme bebte vor unterdrücktem Zorn. „Dem traue ich wirklich alles zu. Sie hat es mir sowieso erst nach der Trennung erzählt, dass sie was miteinander hatten. Ich wusste nichts davon!"

Fulya erhob sich schließlich, nahm ihre Umhängetasche und verabschiedete sich hastig. „Wir sehen uns heute Abend." Und damit war sie auch schon aus der Tür, bevor ich noch etwas sagen konnte. Mein Blick folgte ihr, während ich alleine am Tisch zurückblieb, die warme, sonnige Luft des Nachmittags durch die geöffnete Tür spürte und dennoch eine eigenartige Kälte in mir verspürte. Ein letztes Mal ließ ich meinen Blick über den Raum schweifen, bevor er an Eser und seinem Freund hängen blieb, die draußen auf dem Gehweg verschwanden. Trotz allem konnte ich verstehen, warum Yağmur an ihm hing. Er war atemberaubend schön, mit diesen tiefbraunen Augen, den vollen Lippen und dem gut gebauten Körper. Er wusste sicher genau, wie er mit Frauen umgehen musste, um sie um seinen Finger zu wickeln. Aber Schönheit allein kannte die Wahrheit nicht – das erkannte ich in diesem Moment nur zu gut.

Braune Augen [Irem ♥ Eser] *NEUE VERSION*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt