Drei

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DREI

Es war einige Zeit vergangen, seit ich das letzte Mal im Friseursalon meiner Schwester Fulya ausgeholfen hatte. Seit jenem Tag hatte ich Eser nicht mehr gesehen, worüber ich ehrlich gesagt sehr froh war. Seine selbstgefällige Art und die arrogante Haltung hatten mich mehr als einmal aus der Fassung gebracht. Jetzt, da ich in mein Studium vertieft war und die Prüfungen immer näher rückten, konnte ich keine zusätzliche Ablenkung gebrauchen. Die Belastung war groß, und obwohl ich fest entschlossen war, mein Studium erfolgreich abzuschließen, nagte die Angst an mir, dass es doch zu viel sein könnte. Vielleicht wäre es tatsächlich besser gewesen, wenn ich mir mehr Zeit gelassen hätte, um alles richtig zu verarbeiten – aber das war jetzt nicht mehr möglich.

Nach einem anstrengenden Tag an der Universität, wo die Vorlesungen sich endlos hinzogen und meine Gedanken immer wieder um die anstehenden Prüfungen kreisten, machte ich mich auf den Weg zum Kinderheim. Seit meiner pädagogischen Ausbildung hatte ich dort als Werkstudentin gearbeitet. Es war nicht leicht, Studium und Arbeit unter einen Hut zu bringen, aber die Arbeit im Kinderheim erfüllte mich, und es war für mich mehr als nur ein Job. Ich träumte davon, eines Tages selbst ein Kinderheim zu leiten, um noch mehr für Kinder tun zu können, die dringend Unterstützung und Liebe brauchen. Heute war es besonders hektisch. Als ich das Kinderheim betrat, wehte mir der vertraute Geruch von Seife und frischem Brot entgegen. Die kleinen Flure waren mit Zeichnungen und Bastelarbeiten der Kinder geschmückt, die hier wohnten. Einige von ihnen kamen sofort auf mich zugestürmt, als sie mich sahen. „Irem! Irem!" riefen sie begeistert und sprangen um mich herum, ihre kleinen Hände zogen an meinen Kleidern, und ihre Gesichter strahlten vor Freude. „Hallo, ihr Süßen," lachte ich und ließ mich auf die Knie nieder, um sie zu umarmen. Ihre Umarmungen waren herzlich und warm, und für einen Moment schob ich alle Sorgen beiseite. „Irem, du musst dir mein Bild ansehen!" rief ein kleines Mädchen und zog mich energisch in den Aufenthaltsraum, wo die Wände mit Kunstwerken bedeckt waren. Ich betrachtete die Zeichnungen und lobte jedes einzelne Kind für seine Kreativität. Doch im Hinterkopf konnte ich die drückende Last meines Studiums nicht ganz abschütteln. Ich wusste, dass ich bald wieder zurück an meinen Schreibtisch musste, um die Theorien und Konzepte zu durchforsten, die mir manchmal wie eine unüberwindbare Mauer vorkamen.

Nach ein paar Stunden Arbeit im Kinderheim, die mir halfen, den Kopf freizubekommen, verabschiedete ich mich von den Kindern und den anderen Mitarbeitern. Es war bereits dunkel draußen, und die Straßen wurden von den orangefarbenen Laternen erleuchtet, die den regennassen Asphalt in ein warmes Licht tauchten. Statt direkt nach Hause zu gehen, entschied ich mich, noch einen kurzen Abstecher in das kleine Café zu machen, das in der Nähe des Kinderheims lag. Es war eines dieser gemütlichen Cafés, in denen der Duft von frisch gebrühtem Kaffee und warmem Gebäck die Luft erfüllte. Die Tür öffnete sich mit einem leisen Klingeln, und ich trat in die wohlige Wärme ein. „Irem, schön dich zu sehen!" begrüßte mich Herr Schmitt, der freundliche Besitzer des Cafés, der immer hinter dem Tresen stand und seine Gäste mit einem Lächeln bediente. Er war ein älterer Mann mit grauem Haar und einer Brille, die ihm ständig von der Nase rutschte. Ich kannte ihn schon seit meiner Kindheit, und er war immer jemand gewesen, bei dem man sich willkommen fühlte. „Hallo Herr Schmitt," erwiderte ich lächelnd, als ich zur Theke trat. „Ich dachte, ich hole mir noch schnell ein Stück Kuchen, bevor ich nach Hause gehe." „Gute Wahl," nickte er, während er sich umdrehte, um mir ein Stück von meinem Lieblingskuchen einzupacken. „Wie läuft das Studium?" „Anstrengend," gestand ich, während ich die warmen Holzvertäfelungen des Cafés betrachtete, die von alten Schwarz-Weiß-Fotografien und bunten Gemälden geschmückt waren. „Es ist schwer, alles unter einen Hut zu bekommen, aber ich gebe mein Bestes." „Das wirst du auch schaffen," sagte Herr Schmitt mit der festen Überzeugung eines Menschen, der das Leben bereits in all seinen Facetten kennengelernt hat. „Du warst schon immer eine Kämpferin." Seine Worte gaben mir einen kleinen Schub, und ich lächelte dankbar, als er mir das Päckchen mit dem Kuchen überreichte. „Danke, Herr Schmitt. Das bedeutet mir viel." Gerade als ich bezahlen wollte, öffnete sich die Tür des Cafés erneut, und ein kühler Luftzug wehte herein. Ich hörte eine vertraute Stimme hinter mir. „Irem, was für eine Überraschung!" Die Stimme klang fröhlich und vertraut, und als ich mich umdrehte, stand Paulus vor mir, ein breites Lächeln auf den Lippen. Paulus war ein Kommilitone aus der Universität, ein freundlicher und lebensfroher Mensch, der es irgendwie immer schaffte, die Stimmung zu heben, egal wie stressig der Tag war. Er war groß, mit einem sportlichen Körperbau und hellblonden Haaren, die ihm leicht in die Stirn fielen. Seine blauen Augen funkelten vor Freude, als er mich sah. „Paulus! Was machst du hier?" fragte ich überrascht, während er näher trat. „Ich war gerade auf dem Weg nach Hause und dachte, ich hole mir noch schnell einen Kaffee. Und was machst du hier?" „Dasselbe," antwortete ich lachend und zeigte auf das Päckchen in meiner Hand. „Nur mit Kuchen." „Kuchen klingt gut," sagte er, als er zur Theke trat und ebenfalls eine Bestellung aufgab. „Willst du dich zu mir setzen, wenn du ein paar Minuten Zeit hast?" Ich zögerte kurz, dachte an die Stapel von Büchern und Notizen, die zu Hause auf mich warteten, doch dann nickte ich. „Warum nicht? Ein paar Minuten kann ich entbehren."

Braune Augen [Irem ♥ Eser] *NEUE VERSION*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt