ZWEI
Eine Woche war vergangen seit dem letzten Aufeinandertreffen mit Eser im Restaurant. Der Samstag, der 16. Februar, begann mit einem grauen Himmel und einem leichten, kalten Nieselregen, der die Straßen glänzen ließ. Ich hatte mir vorgenommen, den Tag ruhig anzugehen, doch meine Pläne wurden durch einen Anruf von Fulya durchkreuzt. „Süße, ich brauche deine Hilfe heute im Salon. Eine unserer Auszubildenden ist krank geworden," hatte sie gebeten. Und wie immer, wenn meine Schwester etwas brauchte, konnte ich nicht Nein sagen. So fand ich mich um zehn Uhr morgens inmitten des geschäftigen Friseursalons wieder, den Besen in der Hand, während Fulya konzentriert die Haare einer älteren Dame schnitt. Ihre Hände bewegten sich mit der Präzision und Eleganz eines Künstlers, und ich konnte nicht anders, als ihre Fertigkeiten zu bewundern. Fulya war nicht nur meine Schwester, sie war eine Meisterin ihres Handwerks. Nach einer halben Stunde war sie mit der Kundin fertig, und nachdem die ältere Dame bezahlt und zufrieden den Salon verlassen hatte, widmete ich mich den frisch gewaschenen Handtüchern.
Der Duft von frischem Shampoo und Desinfektionsmittel lag in der Luft, während das Geräusch von Haartrocknern und die leisen Gespräche der Kunden den Raum füllten. Gerade als ich die letzten Handtücher zusammenfaltete, kam Fulya zu mir. „Süße, wasch mal bitte die Haare des nächsten Kunden," bat sie, ohne den Blick von ihren Vorbereitungen für die nächste Kundin zu nehmen. Ich nickte knapp und ging zum Waschraum, den ich fast blindlings betrat – nur um dann abrupt stehen zu bleiben. Da war er, mitten im Raum, als ob er dort hingehörte. Eser. Er stand dort mit der gleichen selbstsicheren, fast überheblichen Haltung, die ich schon im Restaurant gesehen hatte. Seine dunklen Augen musterten mich kurz, doch er sagte kein Wort. Die Spannung in der Luft war greifbar, und mein Herzschlag beschleunigte sich unwillkürlich. Also begann ich wortlos mit meiner Aufgabe, wusch ihm die Haare, wobei ich versuchte, mich auf die mechanischen Bewegungen zu konzentrieren und nicht auf das nervöse Flattern in meinem Magen.
Eser hatte weiches, dichtes Haar, das sich mühelos durch meine Finger zog. Es war das Haar eines Mannes, der wusste, wie er sich um sich selbst kümmerte – kein Spliss, kein Anzeichen von Vernachlässigung. Ich biss mir auf die Lippe, um meine Nervosität in Schach zu halten, doch meine Hände zitterten leicht, als ich den Schaum ins Haar einarbeitete. Ein kleiner Fehler, und der Schaum landete direkt auf seinem Gesicht. „Pass doch auf!" schnauzte er, und sein Ton war alles andere als freundlich. „Es tut mir leid," murmelte ich mit zitternder Stimme, während ich hektisch den Schaum abwusch. „Sollte es auch!" Seine Arroganz war fast greifbar, und ein Funke von Ärger flammte in mir auf. Wer glaubte dieser Kerl, wer er war, dass er so mit mir reden konnte? Die Wut kochte in mir hoch, und bevor ich es verhindern konnte, schmierte ich ihm absichtlich noch mehr Schaum ins Gesicht.
„Autsch! Du tust mir weh," zischte ich leise, als er plötzlich meine Handgelenke packte und fest zudrückte. Der Griff war schmerzhaft, und ich konnte das Brennen in meinen Gelenken spüren. Doch anstatt sich zu entschuldigen, sah er mich nur wütend an. „Geht man so mit einem Kunden um?" fragte er, und seine Stimme war so kalt wie Eis. „Ja, wenn der Kunde so unhöflich ist, dann schon!" schoss ich zurück, mein Blick funkelte vor Trotz. „Schon mal den Spruch gehört: Kunde ist König?" Sein Ton war voll von sarkastischem Spott. „Ja, Pascha!" Ich versuchte, meine Hand zu befreien, und nach einem Moment des Zögerns ließ er mich endlich los. Der Schmerz in meinen Handgelenken hallte nach, während ich den restlichen Schaum aus seinem Haar spülte. „Spülung?" fragte ich, bemüht, meine Stimme ruhig zu halten. „Ja," war seine knappe Antwort. Ich nahm die Spülung und begann, sie sanft in seine Kopfhaut zu massieren. In meinem Kopf tobte ein Sturm aus widersprüchlichen Gefühlen. Wie konnte jemand so arrogant und doch so attraktiv sein? Meine Finger glitten durch sein Haar, und ich spürte eine unerwünschte Hitze in mir aufsteigen.
Doch bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, unterbrach eine weibliche Stimme meine Gedanken. „Sehr attraktiv." Die Stimme gehörte einer blonden Frau, die plötzlich in der Tür stand. Sie war elegant gekleidet, mit einem Lächeln auf den Lippen, das sowohl warm als auch besitzergreifend wirkte. Sie trat näher an Eser heran und musterte ihn mit offensichtlicher Bewunderung. Eser blickte auf und grinste. „Das habe ich dir zu verdanken," erwiderte er, seine Stimme triefte vor Selbstzufriedenheit. Was? War das sein Ernst? Was hatte SIE denn damit zu tun? Die Frau lachte leise und legte ihre Hand auf seine Schulter, ihre Finger glitten zärtlich über seinen Nacken. „Ich wusste nicht, dass du heute hierher kommen würdest," sagte sie, ihre Stimme sanft, fast vertraut. „Das Gleiche kann ich nur zurückgeben," antwortete er ebenso höflich, nahm ihre Hand und drückte einen flüchtigen Kuss auf ihren Handrücken. Ich konzentrierte mich darauf, die Spülung auszuwaschen, doch konnte nicht verhindern, Zeuge der intimen Geste zu werden, als sie ihn auf die Wange küsste. Die Situation fühlte sich surreal an, fast wie eine Szene aus einem schlecht geschriebenen Liebesfilm. Hallo? Wo war ich hier gelandet? Mitten in einem Flirt oder was?
„Çiğdem," rief Fulya plötzlich vom Salon aus, und die Frau löste sich lächelnd von Eser. „Annecim, lass deine Haare nicht zu kurz schneiden," rief sie, während sie aus dem Raum trat. Entsetzt weiteten sich meine Augen. „Wie bitte? Sie ist deine Mutter?" johlte ich fasziniert, als ich ihm das Handtuch um den Kopf band. Doch Eser schenkte mir keine Antwort, sondern verließ den Waschraum, als ob nichts gewesen wäre. Dieses verdammte Arschloch! Aber es stimmte. Er hatte seine Attraktivität wirklich seiner Mutter zu verdanken. Während Eser von einer anderen Friseurin die Haare geschnitten bekam, machte ich mich daran, den Salon zu säubern und bot den Kunden Tee an. Nebenbei beobachtete ich Fulya, die Esers Mutter die Haare braun färbte. Diese Frau, Çiğdem, war wirklich eine Schönheit. Ihr Teint war makellos, ihre Gesichtszüge sanft und doch ausgeprägt. Man hätte sie eher für seine ältere Schwester halten können, nicht für seine Mutter. Ich konnte es einfach nicht glauben. „Eser Schatz, lass die Haare bitte nicht zu kurz schneiden!" forderte sie ihn erneut auf, als die Friseurin den Rasierer zur Hand nahm. „Schon gut," beruhigte die Friseurin sie und rasierte die Seiten nur leicht weg, sodass am Ende ein schicker Boxerschnitt entstand. Eser sah mit dieser Frisur einfach umwerfend aus – gefährlich und doch verführerisch.
Er strahlte eine Mischung aus Selbstbewusstsein und Arroganz aus, die mich gleichermaßen anzog und abstieß. Als er meinen prüfenden Blick bemerkte, hob er eine Augenbraue und warf mir einen kritischen Blick zu. „Sieht gut aus," brachte ich schließlich hervor, während ich mich wieder meiner Arbeit widmete. Gott, warum brachte mich dieser Typ so aus dem Konzept? Eine halbe Stunde später bezahlte Çiğdem, und die beiden verließen zusammen den Salon. Für Außenstehende könnten sie leicht wie ein Liebespaar wirken. Er war groß und kräftig gebaut, während sie zierlich und elegant war, weit jünger wirkend, als sie tatsächlich war. "Er hat eine sehr junge Mutter,", bemerkte ich beeindruckt und schaute zu Fulya hinüber. „Ja, das stimmt," antwortete Fulya, während sie ihre Utensilien wegräumte. „Çiğdem ist eine tolle Frau. Sie hat ihren Ehemann kennengelernt, als sie gerade mal sechzehn war, und sie kam kurz nach der Hochzeit nach Deutschland. Mit Ende achtzehn wurde sie dann schwanger. Aber sie hat es geschafft, hier Fuß zu fassen und leitet mit ihrem Mann gemeinsam ein türkisches Restaurant. Sie ist jetzt Mitte vierzig." „Ehrlich? Sie sieht eher aus wie Ende zwanzig," sagte ich erstaunt und arbeitete weiter, während ich über Fulyas Worte nachdachte. Den Rest des Tages verbrachte ich damit, im Salon auszuhelfen und die Kunden zu betreuen.
Als es schließlich fünf Uhr abends war, schlug Fulya vor, dass ich für heute Schluss machen sollte. Der Salon leerte sich langsam, und die Hektik des Tages wich einer angenehmen Ruhe. „Geh nach Hause, Süße" sagte sie lächelnd, während sie einen letzten Blick auf die Kundentermine für den nächsten Tag warf. „Ich werde noch bis sechs Uhr hierbleiben. Du hast genug geholfen." „Bist du dir sicher?" fragte ich, auch wenn ich insgeheim froh war, den anstrengenden Tag hinter mir lassen zu können. „Ja, wirklich. Ich schaffe das schon," bestätigte sie mit einem warmen Lächeln, das mir versicherte, dass sie die Lage im Griff hatte. „Geh schon, ruh dich aus." Ich nickte, verabschiedete mich mit einer Umarmung von Fulya und winkte den anderen Angestellten zum Abschied zu, bevor ich den Salon verließ.
Die frische Abendluft schlug mir entgegen, als ich auf die belebten Straßen trat. Es war mittlerweile dunkel geworden, und die Lichter der Stadt spiegelten sich in den nassen Pflastersteinen wider. In meiner Tasche vibrierte mein Handy, aber als ich es herauszog, sah ich, dass es keine neuen Nachrichten oder Anrufe gab, nur Werbung. Ein leises Seufzen entwich mir, als ich das Display ausschaltete und das Gerät wieder in die Tasche steckte. Plötzlich sah ich vor mir eine Gruppe junger Leute, die lachend und redend am Straßenrand stand. Es waren vier Typen und drei Mädchen, und in ihrer Mitte erblickte ich ihn – Eser. Mein Herz setzte einen Schlag aus, als ich ihn erkannte. Er hatte einen Arm um die Schultern einer Brünetten gelegt und unterhielt sich gleichzeitig mit einer Blondine, die ununterbrochen kicherte. Einige in der Gruppe rauchten, und der Geruch von Zigaretten stieg mir in die Nase. Gerade als ich an ihnen vorbeigehen wollte, hörte ich einen der Typen, einen Blonden, sagen: „Hey Eser, lass uns endlich los." Eser, der das Kommando über die Gruppe zu haben schien, drehte sich zu ihm um. „Man, wir haben noch Zeit. Wart doch mal!" Seine Stimme war fest und bestimmend. Doch als er sich umdrehte, entdeckte er mich.
Sein Blick traf mich mit einer Intensität, die mich für einen Moment innehalten ließ. Die Dunkelheit um uns herum machte seinen durchdringenden Blick noch eindringlicher, und ich spürte, wie sich meine Nerven anspannten. „Was ist?" fragte er plötzlich scharf, und seine Stimme ließ mich zusammenzucken. Mein Verstand kämpfte darum, sich zu beruhigen. „Irem, lass dir nichts anmerken! Sei stark!" befahl ich mir selbst, bevor ich ihm mit erhobenem Kinn und einem herablassenden Blick antwortete: „Du hast dich erst vor kurzem von deiner Ex getrennt und flirtest hier schon mit anderen? Ist das nicht etwas erbärmlich?" Seine Augen weiteten sich vor Überraschung, und dann verfinsterte sich sein Gesichtsausdruck. Er ließ von der Brünetten ab und machte zwei schnelle Schritte auf mich zu. Plötzlich stand er direkt vor mir, und ehe ich reagieren konnte, legte er seine Finger fest um mein Kinn und zwang mich, ihm in die Augen zu sehen. „Was ich mache, geht dich einen feuchten Dreck an," zischte er, seine Stimme ein gefährliches Flüstern.
Ich riss mein Kinn aus seinem Griff und starrte ihn an, meine Wut kochte über. „Lass mich los!" schrie ich, meine Stimme bebte, doch meine Augen ließen nicht von seinen ab. Ich würde mich ihm nicht unterwerfen. Er lächelte kalt. „Fulya sagt viel, wenn der Tag lang ist!" „Sie hat überhaupt nichts gesagt!" konterte ich scharf und nahm meine Schwester in Schutz, während ich mir vor Wut auf die Lippen biss. Eser ignorierte meine Worte, als hätte ich nichts gesagt, und drehte sich stattdessen wieder zu seiner Gruppe um. „Kommt schon, lasst uns gehen," schlug er vor, als wäre nichts gewesen. Ich blieb wie erstarrt stehen, während er und seine Freunde langsam davonspazierten. Die Wut in mir tobte, doch ich konnte nichts tun, außer ihnen nachzusehen. „Oh mein Gott, was bildet sich dieser Trottel überhaupt ein? Wer ist er, dass er sich so ein Benehmen leisten kann?", schrie mein Verstand voller Zorn, während ich schließlich wütend nach Hause ging.
Dort angekommen, warf ich meine Tasche auf den Boden und ließ mich erschöpft auf mein Bett fallen. Meine Eltern waren geschäftlich in der Türkei, das Haus war still und leer. Der Stress, den ich den ganzen Tag über verspürt hatte, kroch mir unter die Haut. Schlafen – das war das Einzige, was mir jetzt noch helfen konnte. Ich schloss die Augen, in der Hoffnung, dass der Schlaf mich von den quälenden Gedanken und Gefühlen befreien würde.
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Braune Augen [Irem ♥ Eser] *NEUE VERSION*
Literatura Kobieca"Manchmal frage ich mich, wie ein Mensch so schön und gleichzeitig so unerträglich sein kann. Eser ist wie ein Rätsel, das ich lösen will, obwohl ich weiß, dass es mich nur in den Wahnsinn treiben wird." Irem über Eser „Irem hat eine Art, die mich v...