Fünfzehn

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In den nächsten zwei Wochen war mein Leben ein einziges Chaos, das sich dennoch irgendwie geordnet anfühlte. Der Februar war Prüfungszeit, und ich hatte mich so tief in meine Bücher vergraben, dass ich kaum Zeit fand, an all die emotionalen Verwicklungen zu denken, die mich sonst so beschäftigten. Zu meiner Überraschung liefen die Prüfungen besser als erwartet, trotz des ganzen Stresses, der auf meinen Schultern lastete. Es fühlte sich an, als hätte ich endlich einen Moment gefunden, in dem ich die Kontrolle über mein Leben zurückerlangen konnte – zumindest in diesem einen Bereich. Fulya und ich sprachen oft über das, was geschehen war, und in einem dieser Gespräche erzählte sie mir, dass Yağmur nach Spanien geflogen sei. „Sie ist bei einer guten Freundin dort, damit die Schwangerschaft noch unbemerkt bleibt," erklärte Fulya, während wir uns in der Küche einen Tee machten. Ich runzelte die Stirn. „Kennst du diese Freundin aus Spanien?" Fulya schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe nie von ihr gehört. Es gibt so viel, was ich nicht über Yağmur wusste. Weder dass sie mit Eser überhaupt eine Beziehung geführt hatte, noch dass sie im vierten Monat schwanger war. Ich dachte immer, sie wäre eine gute Freundin, aber..." Ihre Stimme verklang, und ich spürte das Gewicht ihrer Enttäuschung. Es war schwer, jemanden so nahe zu fühlen und doch so viel über ihn nicht zu wissen. Ich konnte verstehen, wie sie sich fühlen musste. Doch das Thema Yağmur war für uns beide zu schwer, und ich entschied, es zu wechseln. „Wie läuft es denn mit dir und Burak?" fragte ich mit einem aufmunternden Lächeln. Fulya errötete leicht, etwas, das sie selten tat. „Ich habe gemerkt, dass ich Burak immer noch liebe, genau wie damals. Meine Gefühle haben sich nicht verändert." Ich freute mich für sie. „Und was sagt Burak dazu?" Fulya zuckte mit den Schultern. „Ich habe nicht wirklich mit ihm darüber gesprochen." „Vielleicht solltest du das tun," schlug ich vor, „es könnte der Anfang von etwas Schönem sein." Doch Fulya blieb unsicher, und das Thema verlief sich im Laufe des Gesprächs. Am nächsten Tag half ich meiner Schwester im Salon, wie ich es oft tat, wenn ich Zeit hatte. Es war eine willkommene Ablenkung von all dem anderen Stress in meinem Leben. Der Salon war an diesem Tag relativ leer, nur ein paar Stammkundinnen hatten sich eingefunden, um ihre Haare machen zu lassen. Während ich in einer Ecke den Boden sauber machte, kam Ciğdem, Esers Mutter, herein. Sie wollte sich ihre Haare färben lassen und plauderte nebenbei mit Fulya, die sich um sie kümmerte. „Fulya," begann Ciğdem unvermittelt, „wie findest du eigentlich meinen Sohn Burak?" Fulya erstarrte für einen Moment, und ich konnte sehen, wie ihre Wangen rot wurden. „Ähm... warum fragst du?" stotterte sie, sichtlich verunsichert. Ciğdem lächelte verständnisvoll. „Er hat mir gestanden, dass er dich schon seit Jahren kennt, aber dass ihr leider den Kontakt verloren habt. Ist das richtig?" Fulya nickte zögernd. „Ja, das stimmt. Wir haben uns damals durch gemeinsame Freunde kennengelernt, aber irgendwann hat sich unser Weg getrennt." Ciğdems Blick wurde ernst, als sie fragte: „Gibt es da etwas zwischen euch?" Das Gespräch war so leise geführt, dass es niemand anderes im Laden hörte – außer mir. Ich hielt inne und lauschte gespannt. Fulya seufzte tief und entschied sich dann für die Wahrheit. „Ja, ich habe Gefühle für Burak. Schon seit damals. Aber ich weiß nicht, ob das auf Gegenseitigkeit beruht." Ciğdems Gesicht hellte sich auf. „Das freut mich sehr, Fulya. Ich habe auch bemerkt, wie Burak strahlt, wenn er dich sieht. Ich habe ihm dieselbe Frage  gestellt, die ich dir gerade gestellt habe." Fulya blickte sie mit geweiteten Augen an. „Was bedeutet das?"Ciğdem legte eine Hand auf Fulyas Schulter und sagte sanft: „Das bedeutet, dass wir das mit deinen Eltern besprechen sollten. Wenn alles gut geht, könnte das der Anfang von etwas sehr Schönem sein." Ich konnte sehen, wie Fulya innerlich kämpfte. Sie war überwältigt von dem Gedanken, dass Burak vielleicht wirklich dasselbe für sie empfand. Ich war so stolz auf meine Schwester, die immer so stark und unabhängig war, und doch war sie in diesem Moment so verletzlich und offen. Nach dem Gespräch mit Ciğdem machte ich mich wieder an die Arbeit, aber meine Gedanken kreisten unaufhörlich um das, was ich gerade gehört hatte. Es schien, als würde sich das Leben meiner Schwester auf eine Weise entwickeln, die sie selbst nie für möglich gehalten hatte. Ich hoffte nur, dass Burak genauso empfand wie sie, und dass sie beide ihr Glück finden würden.Die restliche Zeit im Salon verging wie im Flug, und als wir schließlich Feierabend machten, konnten weder Fulya noch ich das Lächeln von unseren Gesichtern wischen. Auch wenn meine eigene Gefühlswelt ein einziges Durcheinander war, so freute ich mich doch für meine Schwester und das, was die Zukunft für sie bereithalten könnte. Ich wusste, dass ich noch viel mit Eser klären musste, aber für einen Moment erlaubte ich mir, einfach nur froh zu sein – für Fulya, für die Hoffnung, dass aus ihrer langjährigen Liebe zu Burak vielleicht etwas Wunderschönes werden könnte.

Braune Augen [Irem ♥ Eser] *NEUE VERSION*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt