„Ich muss mich erst im See ertränken."

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Man sollte meinen, es wäre ganz einfach, ein Haargummi zurückzugeben. Immerhin kann man es übergeben, wie bei einem Staffellauf. Hinstrecken, nehmen lassen, sich bedanken, während man wegrennt. Der weinrote Samt des Haargummis ist nicht dreckig geworden, nichts ist eingerissen und ich habe auch alle Haare, die am Stoff hängengeblieben sind, herunter gezupft. Es gibt also nichts weiter zu bereden. Trotzdem geht der Nachmittag gerade dem Ende zu und das Band wartet an meinem Handgelenk ungeduldig darauf, zu seiner Besitzerin zurückzukehren.

Mein erster Versuch scheitert an David, der wie ein Räuber aus den Buschen springt und Chrissi in ein Gespräch hineinzwingt. Ich stocke mitten im Schritt und renne den Weg zurück. David ist unberechenbar, der sagt der Jugendleiterin auch Sachen, die sie nicht wissen soll, nur um mich loszuwerden.

Beim zweiten Versuch verliere ich Chrissi an Andreas. Sie sitzt allein auf einer Bank, ganz vertieft in ihr Telefon und ich mache mich von meinem Beobachtungsposten auf den Weg zu ihr. Eine Sekunde habe ich sie nicht im Blick und schon sitzt Andreas neben ihr und beschießt sie mit seinen Flirtversuchen.

Kurz nach dem Essen kommt endlich meine Chance. Chrissi tritt vor uns aus der Tür und verschwindet hinter dem Gemeinschaftsgebäude. Vollkommen allein, ohne notgeilen Anhang.

„Ich komm gleich wieder.", rufe ich Mai und Lara zu und jage hinter der Jugendleiterin her. Hinter den Büschen am Eingang, läuft eine Wiese direkt an der Wand des Gebäudes entlang. Chrissi biegt an deren Ende geradeben um die Ecke. Sie hält ihr Handy in der Hand. Wahrscheinlich sucht sie einen ruhigen Ort zum Telefonieren. Aber ich störe ja nur eine Sekunde. Wenn sie keine Zeit für mich hat, bin ich sogar erleichtert. Dann kann ich schnell wieder weglaufen und nichts Peinliches wird passieren.

Ich rase um die Ecke und stoße beinah mit Chrissi zusammen, die an der Wand lehnt.

„Du Arschloch. Ich hab dir gesagt, du sollst nicht anrufen. Lass mich in Ruhe. Verstanden.", brüllt sie in ihr Telefon.

Chrissi reißt erschrocken die Augen auf, als sie mich entdeckt. Trotzdem knurrt sie noch:

„Ja. Dann stirb doch. Ist mir vollkommen egal."

Ihre sonst so sanfte Stimme klingt vergiftet. Ihre Finger umklammern das Handy, als wollte sie es zerdrücken. Langsam nimmt sie es herunter und musterte mich mit verkniffenen Mund. Zorn blitzt in ihren Augen.

„Warum läufst du mir hinterher?", faucht sie.

Die Worte hageln wie Schläge auf mich ein.

Ich weiche ein paar Schritte zurück und ziehe das Haarband von meinem Handgelenk, um es ihr hinzustrecken.

„D-da.", stammle ich. Tränen schießen in meine Augen.

Chrissi seufzt und fährt sich durch das Haar.

„Ach. Du wolltest das Haargummi zurückgeben. Warum hast du das nicht vorher gemacht und folgst mir wie so ein Stalker?"

Weil so unendlich viele Leute um sie herumschwirren. Weil ich nicht einfach so zu ihr hingehen kann, ohne mich innerlich darauf vorzubereiten. Weil ich Angst davor habe, dass genau sowas wie jetzt passiert.

In Panik gefangen, kann ich sie nur anstarren. Meine viele Gründe passen nicht in die wenigen Worte, die ich mir jetzt abringen könnte.

Immer wieder mustert Chrissi mich genervt, starrt ins Leere, mustert mich wieder, als wüsste sie nicht recht, was sie mit mir anfangen soll. Aber ich spüre irgendwie, dass ich nicht gehen darf. Also stehe ich und drehe das Zopfgummi in meinen Fingern, schniefe, wische mir Tränen von den Wangen. Ich will nur weg hier.

„Das war kein Stalker Ex-Freund oder so. Nur das du weißt."

Sicher erwartet sie ein Nicken. Ihr Blick wirkt nicht weniger zornig, als ich es ihr gebe.

Glühwürmchen (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt