„Ich bin sicher nicht wegen dir zurückgekommen."

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Chrissi untersucht mein Knie noch zwei Mal in den nächsten Tagen, bevor sie mir ein Bündel Pflaster in die Hand drückt, damit ich mich selbst versorgen kann. Die Treffen in Hütte 12 sind seltsam und aufregend. Ich ersehene sie herbei und fürchte mich gleichzeitig, als könnte mich die Begegnung mit der Jugendleiterin tödlich verwunden.

In dem geheimen, ruhigen Krankenzimmer, das ich schon gerne unseren Raum nennen möchte, gibt es nur uns Beide. Chrissi schmunzelt immer wieder, ist nett zu mir, versichert mir, ich kann mit allem zu ihr kommen, und ich starre sie stumm an wie ein Psycho. Trotzdem scheint sie mich ein bisschen zu mögen. Ein Wunder. Oder nur ein Ausdruck dafür, wie wundervoll Chrissi ist.

Zumindest habe ich durch meine Verletzung erste Schritte gemacht. Ich kann mit ihr sprechen und stottere nicht mehr herum. Das ist alles. Immer noch scheint zwischen uns eine ganze Welt zu liegen, ob Chrissi nun auf der anderen Seite des Essensraumes sitzt, oder direkt vor mir steht. Über diese Entfernung hinweg, kann ich sie nicht berühren und meinen spärlichen Worte verklingen auf dem Weg. Trotzdem ist es mehr als jemals zuvor. Und ich erwartete ohnehin nicht viel. Ich weiß, dass die Welt zwischen uns, von vielen bevölkert und von Andreas beherrscht wird. Für mich gibt es nicht einmal eine winzige Ecke, um ein Puppenhaus zu bauen. Das ist in Ordnung. Ich bin genügsam.

„Hey. Kannst du das zur Seite schieben?", fragt Kathrin.

Aufgeschreckt aus Chrissis Welten und Ecken und meinem eigenen Platz darin, schenke ich ihr einen verwirrten Blick.

„Elly? Mach bitte das Wassergefäß da weg."

Kathrins Hände tropfen von grüner Farbe.

Unter dem ungeduldigen Blick des Mädchens ziehe ich hastig einen Eimer mit Pinseln zur Seite.

„Danke."

Mit einem breiten Lächeln drückt sie ihre Handflächen auf das große Papier, das wir als Gruppe bemalen. Neben mir ist Mai ganz vertieft darin, den widerlichsten Totenkopf zu produzieren, den ich je gesehen habe. Ihm hängen abgerissene Ader aus den Augen und blutige Spucke schäumt vor seinem Mund. Mai selbst hat pinke Flecken im Gesicht. Die stammen von einem Tropfenregen aus Felis Pinsel. Dafür wäscht sich diese gerade zwei Handvoll schwarze Farbe aus den Haare. Die Beiden schwanken zwischen Todfeinde und irgendwie Freunde. Um nicht dazwischen zu geraten, halte ich mich vollkommen raus und versuche als stumme Beobachterin herauszufinden, wie sich das Kriegsgebiet entwickeln wird. Mai weigert sich sowieso mir die Details zu verraten, weil da sei ja nichts. Klar. Ich sehe das „Nichts" deutlich vor mir.

Während die Schlacht tobt, male ich Schmetterlinge mit den Fingern. Ein Pfauenaugen mit lila und gelben Augen auf den orangen Flügeln. Einen Zitronenfalter, der schön gelb schimmert und ein Himmelsfalter, der nicht umsonst so heißt. Alle schwirren über einer Blumenwiese, wo auch Mais Totenkopf und Kathrins Handabdrücke schweben. Feli hat mit Wolken angefangen, aber irgendwie ist daraus ein schwebendes Schweinchen geworden, das kleiner ist als meine Schmetterlinge.

Meine offenen Haare rutschen nach vorne, während ich die schwarze Umrandung eines Monarchfalters beginne. Es stört mich schon die ganze Zeit, dass ich vergessen habe sie zusammenzubinden. Jetzt haben alle die Hände voller Farbe und mir bleibt nur, die lästigen Strähnen immer wieder mit dem Handrücken zurückzustreichen.

Chrissi kommt zu uns. Sie hat an einem anderen Tisch mitgemalt und sich gerade den Malerkittel ausgezogen.

„Oh. Das ist aber interessant.", kommentiert sie laut unser Werk. Ja, so kann man es wohl nennen.

„Sehr lebensecht dein Totenkopf. Mai."

Die Jugendleiterin hat ein Talent dafür, irgendeine eine Art von Lob zu finden. Ich hätte Mais Werk eher als extrem scheußlich bezeichnet. So wie Feli es getan hat, bevor die Farbschlacht begann.

Glühwürmchen (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt