„Vielleicht finden wir ja sogar ein paar Geister."

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Obwohl die Stimmung in meiner Freundesgruppe so dick ist, dass man sie schneiden kann, gehe ich mit einigermaßen guter Laune zum Essen. Ich darf gleich Chrissi treffen, da kann ich nicht richtig leiden, auch wenn mein Herz für Mai blutet. Meine beste Freundin hat mir außerdem das Versprechen abgenommen den Abend in vollen Zügen zu genießen. Es ist also meine Aufgabe heute glücklich zu sein.

Feli und Mai schweigen sich an. Schlimmer, sie ignorieren sich. Kein gutes Zeichen. Die Beiden haben es von Anfang an nicht geschafft sich aus dem Weg zu gehen. Diese eisige Stille, in der weder Beschimpfungen noch Grimassen herumfliegen, wirkt wie ein Genrewechsel. Von einer Komödie zu einem Drama. Die Beiden leben in gedämpften Farben, traurigen Klavierklängen und haben sich im Nebel verloren.

Meine Welt ist dagegen unverschämt bunt. Auch wenn David durch sie hindurchmarschiert und mich mit seinem Blick in Stücke schneidet. Und Lara die ganze Zeit von zuhause redet.

Ich stopfe hastig meine Pommes in mich hinein und vergesse den Nachtisch. Während alle noch essen, laufe ich zum Krankenzimmer.

Chrissi hat noch Aufsicht beim Abendessen und ist schon mehrfach zum Saft auffüllen gelaufen. Vor lauter Vorfreude musste ich sie heute besonders anstarren. Auffällig penetrant, bis mir Mai in die Seite boxte. Deshalb warte ich draußen, wo ich alleine aufgeregt sein kann.

Die Hitze steht in der Luft, aber inzwischen ziehen sich die Schatten lang. Das Licht hat diesen tiefen goldenen Schimmer, der sich nur von August bis Oktober zeigt. Dann besitzt die Wirklichkeit einen Hauch Nostalgie, obwohl man nicht in Erinnerungen schwelgt.

Die Bäume sind in der Windstille erstarrt, nur Insekten surren, zirpen, schwirren und blitzen in der Sonne.

Ich vermisse Chrissi, obwohl wir uns gleich sehen können. Das Ende des Ferienlager rast auf mich zu und zersplittert was nur ein Anfang sein sollte. Ich hasse es über unsere Trennung nachzudenken. Und über Fernbeziehung, seltene Treffen. Die Realität, die ich verdränge, hängt als dunkles Unwetter am Horizont. Noch strahlt über mir ein märchenhaft blauer Himmel.

Zur Ablenkung finde ich einen Käferfreund. Einen Marienkäfer, dessen roter Panzer in der Sonne leuchtet. Er verliebt sich in meinen Finger und klettert von den Holzstufen auf meine Haut. Die Füßchen kitzeln, während er auf Erkundungstour geht. Die Fühler wedeln, als versuchte er mit mir zu reden.

Schritte knirschen auf dem Kiesweg. Meine Hand erzittert und der Käfer fliegt davon.

Chrissi zieht ihre Kapuze vom Kopf und lächelt mir entgegen. Die Wärme in ihren Augen strahlt bis in mein Herz. Niemand hat mich je zuvor so angesehen.

„Hey. Wartest du schon lang?"

Sie streicht wie selbstverständlich die Hände auf meine Schultern. Hier ist niemand der uns stören kann.

„Ich hab dich beim Essen weggehen sehen. Hast du überhaupt genug gegessen? Wenn nicht, können wir in die Küche..."

Ich drücke mich an sie, das Gesicht vergraben an ihrem Hals. Ihr Sommerduft ist so beruhigend. So vertraut.

„Hey. Elly. Ist alles in Ordnung?"

Ihre Finger streichen durch mein Haar.

Irgendwie nicht. Vielleicht wegen Mai und Feli. Oder weil ich mich bald von Chrissi trennen muss. Weil es seltsam ist zu lieben und noch seltsamer geliebt zu werden. Und ich so glücklich bin.

„Ich hab nicht lang gewartet."

Mit einem Lächeln hebe ich den Kopf.

„Und ich habe überhaupt keinen Hunger."

Glühwürmchen (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt