Glühwürmchen (girlxgirl)

„Hast du Angst, hier allein im Dunkeln?"

Endlich ist es dunkel. In der milden Nacht zirpen die Grillen und der Essenssaal summt von den Gesprächen der Jugendlichen. Dazwischen rufen die Jugendleiter ihre Gruppen zusammen. Chrissi sitzt auf einem Tisch ganz hinten im Raum. Sie redet mit zwei dunkelhaarigen Mädchen, die ich nur vom Sehen kenne. Marius und Lara kuscheln auf der Bank, hinter dem Tisch. Meine Schwester ist schon seit dem Ausflug zur Burg verschollen. Sie huscht kurz vor der Schlafenszeit zu uns in die Hütte, um am Morgen gleich wieder zu verschwinden. Vielleicht wäre sie besser mit Marius daheim geblieben.

Chrissi bemerkt uns erst, als wir an den Tisch herantreten. Ihre Blick wischt über uns, bleibt an mir hängen und beginnt zu strahlen. In meiner Brust wird es warm und ich strahle zurück.

„Ah. Da seid ihr ja. Ihr könnt eure Armbänder anlegen. Gut, ihr habt lange Hosen angezogen. Braucht ihr Mückenspray? Taschenlampen sind in der Kiste da."

Sie ist ganz im Jugendleiter Modus, reicht das Mückenspray herum, erklärt letzte Regeln und trägt uns auf ihrer Liste ein. Wie immer setzt sie hochzufrieden ihre Haken.

Während Feli Mai das Armband anlegt, kämpfe ich mit meinem eigenen. Kathrin ist heute nicht dabei. Sie fürchtet sich im Dunkeln im Wald. Deshalb kann sie mir nicht helfen Und Lara möchte ich nicht um Unterstützung bitten. Dann müsste ich sie erstmal von Marius loseisen. So viel Zeit habe ich nicht mitgebracht.

Ohne zu Fragen nimmt mir Chrissi das Band ab, befestigt es um mein Handgelenk, streichelt mich mit ihren Fingern. Alles geht schnell genug, dass es unauffällig wirkt. Das Gefühl ihrer Finger auf meiner Haut ist ebenso intensiv, wie bei unserem ersten Zusammentreffen. Aber ich halte es besser aus und will immer mehr davon.

Dann ziehen wir los. Noch erhellen Laternen den Weg. Ein langer Menschenzug schiebt sich durchs Camp zum Hinterausgang, der direkt in den Wald führt. Ab dort ist alles finster und nur die Neonbänder strahlen durch die Nacht. Wir schalten die Taschenlampen an. Viele, kleine Lichtkegel scheinen auf den Erdweg.

Wir bleiben in einer Gruppe, aber mischen uns in dieser wild durcheinander. Ich springe von Mai zu Lara und wechsle mit Beiden ein paar Worte. Schließlich schiebe ich mich ganz nach vorne zu Chrissi, die mit den fremden Mädchen spricht. Chrissi bemerkt nicht, dass ich so nah bei ihr bin. Sie erklärt den Weg und ihre Taschenlampe strahlt weit nach vorne, auf graue Baumstämme und dunkles Gebüsch.

Dann schiebt sich ihre Hand in meine. Ein warmer, fester Griff. Jetzt bin ich gut aufgehoben, denn Chrissi kann mich mit der fiesen Hexe, die in ihrem Innerem lauert, vor jedem Schattenmonster verteidigen. Die Gespräche fließen weiter, ungebrochen, stetig wie das Plätschern eines Baches. Ich bin still, glücklich und halte mich an Chrissis Hand fest.

Die Gruppen verlieren sich in der Nacht. Eben war überall Taschenlampenlicht. Die bunten Lichter der Neonbänder hüpften durch den Wald, als feierten wir eine stumme Party. Jetzt leuchtet nur noch Neongelb in der Nacht. Alles ist eine Art von schwarz. Die Baumstämme sind mächtige, dunkle Schatten. Gekrümmte Äste krallen in unseren Weg hinein

Nur im Lichtkegel der Taschenlampen finden wir Farben

Die Grillen zirpen ihr Liebeskonzert, ein leises Rauschen hängt in den Bäumen. Unter unseren Schritten brechen Zweige. Nur noch Mai und Feli tuscheln, der Rest ist verstummt. Es ist gruselig schön. Jedes Knacken lässt mich aufschrecken.

Der süßlich, frische Duft des Waldes lässt mich tiefer atmen.

Chrissi hält meine Hand noch fester. Sie hat mich nicht einmal losgelassen. Inzwischen ist der Griff heiß und schweißig und ich möchte, dass wir uns nie lösen. Freundschaftshändchenhalten. Liebeshändchenhalten. Ganz egal.

„Hier müsst ihr bitte aufpassen und bleibt rechts. Eigentlich ist der Weg eben, aber an einer Stelle links geht's den Hügel runter. Davon wollen wir wegbleiben. Ist nicht so tief, aber im Dunkeln schwer wieder hochzukommen.", warnt Chrissi und zeigt uns mit dem Taschenlampenlicht eine steile Böschung, die den breiten Weg säumt.