„Wir reden nicht mehr von Chrissi."

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Ich lege Mai die Hand auf den Kopf und diese zuckt zusammen.

„Das ist alle so doof.", schnieft sie. „Ich will überhaupt nicht so sein. Das passt gar nicht zu mir."

Tatsächlich reagiert Mai selten so heftig auf traurige Momente. Sie redet normalerweise von den Vorteilen eines frühen Grabes und ihrem schönem, schwarzen Samtkleid, in dem ihre Eltern sie beerdigen müssen. Manchmal schwärmt sie davon, wie schick sie als Vampir aussehen würde. Falls sie Glück hat und in irgendeiner Form aufersteht, kommt sie gleich bei mir vorbei, hat sie mir versprochen. Obwohl ich ihr das verboten habe.

Diesmal ist sie einfach traurig. Die Art traurig, in der Fantasie und kreative Ideen hinter einer großen Dunkelheit verschwinden. Im Moment sind wir eher Zwillinge, als ich es mit Lara bin. Wir fühlen vollkommen gleich.

Als ich mich zu ihr hocke, lehnt sich Mai gegen mich.

„Ich sollte dich gar nicht mit sowas belasten.", murmelt sie. „Als ob es dir besser geht."

„Ach. Ich leide gern mit dir zusammen."

Meine Schulter stößt gegen ihre und ihre stößt zurück. Obwohl ich Mai alles Glück der Welt herbeiwünsche, hat es Vorteile gemeinsam zu leiden. Wir können uns verstehen. Können uns zusammen schreckliche Dinge ausmalen. Wir können uns nur nicht aufheitern.

„Häh? Ihr seid schon auf dem Weg zum Parkplatz. Ich war mir sicher, dass wir später auf euch warten müssen. Hab mir schon überlegt Mama vorzuwarnen."

Lara geht vor uns in die Hocke. Hinte ihr steht Marius, der wie ein Packesel seine und ihre Taschen schleppt.

„Kannst ihr ruhig schreiben, dass sie so schnell wie möglich kommen soll."

Die Sorgen machen meine Stimme schwer. Meine Schwester zieht eine Augenbrauen hoch.

„Ehrlich. Hast du mit Chrissi keine gute Lösung finden können?"

Ich ziehe den Rucksack vor mich, um mich dahinter zu verstecken.

„Wir reden nicht mehr von Chrissi.", nuschle ich in den groben Stoff.

„Ehrlich, aber..."

Ein böser Blick lässt Lara schweigen.

„Wie reden nicht mehr von Chrissi.", wiederhole ich und betone jedes Wort besonders sorgfältig.

Sie nickt und springt auf.

„Gut. Dann ruf ich mal schnell Mama an."

Ein grauer Land Rover schiebt sich mit knirschenden Rädern auf den Kiesparkplatz. Kaum entdecke ich den vertrauten Wagen wird mir leichter ums Herz. Das ist mein Fluchtfahrzeug in neutrales Gebiet.

Meine Mama reißt die Tür auf und springt vom Beifahrersitz nach draußen.

„Meine Mädchen.", ruft sie und breitet die Arme aus, als hätte sie uns seit Monaten und nicht nur ein paar Wochen nicht gesehen. Lara stürzt in ihre Arme. So wie ich Laras Baby bin, ist sie Mamas. Kein Wunder, sie gleichen sich aufs Haar. Mama hat nur ein paar mehr Falten und ist ein bisschen kleiner. Ich stelle mich brav hinten an und lasse mich ordentlich drücken als ich an der Reihe bin.

Mama mustert mich scharf, schweigt aber. Obwohl meine rotgeweinten Augen und die dunklen Augenringe einiges an Stoff für unangenehmen Fragen liefern. Bestimmt wurde sie von Lara vorgewarnt.

Anstatt mich mit Fragen zu löchern, knutscht Mama meine Wange und drückt mir eine kleine, grüne Schachtel in die Hand.

„Schau. Die haben wir entdeckt und wussten, die müssen zu dir."

Glühwürmchen (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt