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NAMJOON

„Was hab ich nur getan?" Jin zog mich an sich und strich langsam durch meine Haare. Mir traten wieder Tränen in die Augen und ich nahm seine Hand weg. „Nicht. Das hat Kai immer gemacht." Jin nickte und ließ es bleiben. „Du hast das Richtige getan, Namjoon. Mach dich bitte nicht für Dinge fertig, die nicht deine Schuld sind." Ich schüttelte den Kopf. „Wegen mir ist er gegangen. Weil ich wieder nur an unsere Karriere gedacht hab und nebenbei bemerkt noch ein Eifersüchtiger Idiot bin. Ich hätte ihm mehr Zeit lassen sollen." Verzweifelt vergrub ich den Kopf in den Händen. „Ach Blödsinn. Er ist ganz bestimmt nicht wegen dir gegangen. Euer Streit war nur der letzte Funken, der zur Explosion gefehlt hat. Er weiß genau so gut – nein eigentlich noch besser, als wir alle hier, in was für einer scheiß Situation du steckst. Er liebt dich Namjoon. Deshalb hat er dich verlassen. Er wollte dich beschützen." Ich presste mir beiden Hände auf die Ohren und unterdrückte die wieder aufsteigenden Tränen. „Hör auf. Ich will das nicht hören. Er ist ganz bestimmt nicht gegangen, weil er mich liebt. Das wäre unlogisch." Ich schluckte und sah auf, als Jin mir sanft die Hände von den Ohren nahm. „WWH Kaffee?" Auf seinen Lippen lag ein warmes Lächeln. Verwirrt nickte ich. Er wusste immer wie er mich auf andere Gedanken bringen konnte. Deshalb war er mein bester Freund.

JIN

Als Namjoon seinen Kaffee hatte, kam Tae wieder. „Ich hab mit Kai telefoniert. Es geht ihm gut." Namjoon verschluckte sich bei Kais Namen und fing an zu husten. „Weißt – du- weißt du wo er ist?", stieß er keuchend hervor. Tae sah kurz zu mir, dann schüttelte er den Kopf. „Nein. Tut mir leid. Er hat es mir nicht gesagt." Namjoon akzeptierte diese Antwort offensichtlich, doch ich sah Tae an, dass er log. Kai hatte ihm verboten, es uns Anderen zu erzählen. Als Namjoon wieder Luft bekam, stellte er seinen Tasse weg und stand auf. „In dem Umschlag war der Liedtext, hab ich Recht?" Jimin nickte überrascht. „Woher -?" Namjoon wandte den Blick ab. „Ich hab mal vor ner halben Ewigkeit ein Instrumental geschrieben und ihn gebeten, de Lyrics zu schreiben. Wie sind sie?" Allgemein positives Feedback. Namjoon sah mich an. „In Ordnung. In 20 Minuten machen wir los zum Tonstudio." Ich stand auf und ging auf ihn zu. „Bist du dir sicher, dass du das willst?", fragte ich, doch er nickte. „Wir werden Yuna ihren Wunsch erfüllen und Kais Song zu einem Hit machen." Dann ging er ins Bad. Verwundert sah ich zu Jimin, der nur mit den Schultern zuckte und Namjoons Worte wiederholte. „Wir machen Kais Song zu einem Hit."

Als wir im Tonstudio ankamen, nickten das Team und wir uns nur kurz, gegenseitig zu, dann gingen wir weiter. Von weitem sah ich schon Sejin auf uns warten, der sofort zu einer Standpauke ansetzte. „Nur eine ganz kleine Frage. Wo ist Jungkook?" Er ließ Namjoon nicht aus den Augen, der uns vorbei winkte, doch ich wartete bei ihm. „Jungkook geht es momentan nicht wirklich gut. Er wird die nächste Zeit ausfallen." Als Sejin nickte und uns durchließ sah ich, wie Namjoon erleichtert aufatmete. Wir nahmen uns jeder ein Mikro und versuchten, den Song gemeinsam zu singen. Kai hatte die Stellen für jeden von uns angestrichen, sodass wir uns nicht drum kümmern mussten. Das Team startete den Song und wir versuchten unser Glück. Da niemand wirklich abschätzen konnte, wann sein Part begann bzw endete klang es ziemlich wirr. Als wir durch waren, schwiegen wir eine Weile, um den Text zu dem Instrumental auf uns wirken zu lassen. Es klang unglaublich. „Klang doch ganz annehmbar", unterbrach Hoseok die Stille. Namjoon wollte etwas sagen, doch die sich öffnende Tür unterbrach ihn. Kai trat ein und sah uns ein wenig belustigt an. „Ich dachte, ihr könntet Hilfe gebrauchen." Dann nahm er sich ebenfalls ein Mikro und wies die Soudleute an, den Song zu starten. „Ihr wisst eure Einsätze nicht, oder? Ich zeig sie euch." Er sang den ganzen Song allein und wies jeweils auf den Member, der an dieser Stelle dran wäre. Er selbst „spielte" Jungkook. Als er durch war sah er zu Yoongi, der ihm zunickte. „Got it?" Wir nickten, außer Namjoon, der fieberhaft versuchte, Kai nicht anzusehen. „Okay, dann versuchen wir es nochmal zusammen und gehen dann in die Einzelaufnahmen." Der Song startete von neuem und wir zogen durch. Kai half uns jedes Mal, wenn wir nicht weiter wussten, was mich irgendwie verwunderte. Er verließ uns und kam am selben Tag noch zu uns ins Tonstudio, um uns zu helfen. Warum tat er das? Hatte er ein schlechtes Gewissen? Ich verstand ihn nicht. Bei den Einzeltakes blühte er komplett auf. Er korrigierte uns, zeigte uns die Stellen, wie er sie sich vorstellte und, und, und. Tae beobachtete ihn lächelnd. Er freute sich, dass er hier war. Das sagte er auch, als wir uns ein paar Stunden später verabschiedeten. Die beiden Brüder umarmten sich lange und Tae flüsterte Kai etwas ins Ohr, dann drängte uns Namjoon zum Aufbrechen und wir gingen.

Im Auto setzte ich mich neben ihn und er lehnte sich an mich. „War das geplant?" Namjoon klang erschöpft. „Das er da war? Nein das wusste keiner." Er schloss die Augen. „Warum? Warum tut er das?" Ich sah verwirrt zu ihm hinunter. „Was meinst du?" Er holte zitternd Luft. „Warum tut er uns das an? Er weiß genau, was er ausgelöst hat, als er über Nacht einfach abgehauen ist. Dass es ihm damit nicht gut geht, wissen wir alle. Warum kommt er dann trotzdem und nimmt den Song mit uns auf? Ich verstehs nicht." Ich lächelte. „Ich denke mal, dass er uns nicht enttäuschen wollte. Vielleicht wollte er sich entschuldigen. Ich glaube, ihm tut es leid, dass er gegangen ist. Er hat nur keinen anderen Ausweg gesehen." Namjoon nickte und griff in seine Tasche. Dann stöhnte er auf. „Ich hab mein Handy im Studio vergessen. Halten sie bitte an!" Die letzten Worte wandte er an den Fahrer, der anhielt. Namjoon sprang aus dem Wagen, drehte sich um, sagte „Wartet mit dem Essen nicht auf mich. Ich komm später." Dann stieß er die Tür zu und ging in die Dunkelheit davon.

NAMJOON

Während ich durch die dunkle Nacht lief, ging mir Kai nicht mehr aus dem Kopf. Der Part, den er allein gesungen hatte – unbeschreiblich. Aber dass er mich die ganze Zeit ignoriert hatte verletzte mich. Aber ich hatte es verdient. Die Korridore des Entertainments waren dunkel, doch unter der Tür unseres Studios drang Licht und leise Musik hervor. Ich öffnete die Tür und sah, dass Kai allein an einem der festen Mikros stand. Er hatte Kopfhörer auf und sang einen, mir völlig unbekannten Song. „Save me, save me. I need your love before I fall, fall." Als er die Augen öffnete, und mich sah, veränderte sich sein Gesichtsausdruck und sang viel wütender weiter, als vorher. Ich wollte umdrehen und draußen warten, doch er hielt mich mit einer Handbewegung zurück. Ich sah wieder zu ihm und bekam Gänsehaut. Er hielt meinen Blick fest und nahm, als er fertig war, die Kopfhörer ab, ohne den Blick von mir zu lösen. „Was war das?" Langsam ging ich auf ihn zu und blieb mit einigem Abstand zu ihm stehen. Er sah zu Boden. „Save me." So kannte ich ihn gar nicht. Ich wollte zu ihm und ihm über seine Wange streichen. Ihm sagen, wie perfekt dieser Song war. Und wie sehr ich ihn wegen solcher Sachen liebte. Ich tat nichts davon. „Willst du versuchen?" Er nahm ein zweites Paar Kopfhörer und hielt es mir, mit einem vorsichtigen Lächeln, hin. Kurz wollte ich annehmen, doch dann siegte der Schmerz über die Liebe und ich lehnte ab. „Ich will dich nicht weiter stören. Ich wollte nur kurz mein Handy holen." Kai nickte und senkte den Blick auf die Kopfhörer in seiner Hand. Dann trat er einen Schritt zur Seite, so dass ich an den Produzenten Tisch kam, wo tatsächlich mein Handy lag. Als ich an der Tür war, drehte ich mich nochmal um und sah ihn an. „Der Song ist wunderschön. Veröffentliche ihn. Bitte." Dann ging ich. Den ganzen Weg bis nach Draußen biss ich mich auf die Lippen, um nicht zu weinen, doch als die kalte Nachtluft mich empfing gab ich auf und ließ stumm die Tränen laufen.


BLACK SWANWo Geschichten leben. Entdecke jetzt