Harte Schale, butterweicher Kern - OS zu Folge 302

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Erzählperspektive von Viktoria:

‚Denn Max hat Bauchschmerzen. Die Mama fühlt seine Stirn, nickt mit dem Kopf und sagt: „Wir gehen zu Doktor Tut-nicht-weh! Der macht alle Kinder wieder gesund. Doktor Tut-nicht-weh ist groß, stark und vor allem schlau. Und sobald Max bei ihm rein kommt...', endete die Aufnahme, die ich gestern heimlich auf meinem Telefon abgespeichert hatte und nunmehr Mikko und Emma vorspielte. Der Unglaube über das was dort zu vernehmen war, war den beiden ultimativ im Gesicht abzulesen. Ihre Verwirrtheit über diese weiche und vor allem menschliche Seite unseres Oberarztes, der eigentlich viel zu oft seine harte Schale vorschob, war meiner vorangegangenen gleichzusetzen. Bis gestern war ich noch der größtmöglichen Überzeugung gewesen, dass Moreau gar nicht in der Lage sei überhaupt mit Kindern zu kommunizieren, denn schließlich schaffte er es in den seltensten Momenten mit uns Assistenzärzten auf gleichem Niveau zu sprechen und ebendem nicht von oben herab. Doch als er dann gestern mit Raya und Mira interagierte, da hatte es plötzlich eine ganz anderes Licht auf ihn geworfen und ihn damit auch nahbarer gemacht. 

„Schon krass, wie sehr man sich in anderen Personen irren kann, alleinig weil man ihre Handlungsweisen und deren Auftreten als ihr Dogma interpretiert. Wer hätte sonst gedacht, dass Moreau so nett und kinderlieb sein kann?", schweiften Mikkos Gedanken, während er seinen letzten Satz in der Luft hängen ließ. Während ich ebenfalls noch dem Gedanken über unseren Oberarzt nachhing, war es Emma, die hingegen analytisch, erklärend entgegnete: „Er hat seine Momente. In den ersten Wochen hier im JTK war es mir damals so vorgekommen, als hätte er eine Hybris, die alles überstrahlt und ihn damit unnahbar für alles und jeden macht. Doch derweil würde ich sagen, dass er auch seine freundlichen Momente haben kann, wenn er mit gewissen Umständen oder ebendem Personen umgeben ist. Speziell Doktor Sherbaz. Man sieht ihn fast nie lächeln oder lachen, doch sobald die beiden aufeinandertreffen legt sich eine ganz andere Stimmung in ihm nieder und er wird menschlich! Diese Redewendung, dass diejenigen mit der härtesten Schale am Ende den butterweichsten Kern besitzen, der überhaupt zu finden ist, dies trifft hier wohl oder übel auf Moreau zu. In den letzten Tagen habe ich häufiger gesehen, dass er auf Station bei Zoe Sherbaz zu Besuch war und Zeit bei ihr, sowie den Zwillingen verbracht hat. Zudem telefoniert er regelmäßig mit Doktor Sherbaz, um sie über das wichtigste aus medizinischer Sicht auf dem Laufenden zu halten. Sie sind seine Achillesferse..." 

Noch während Emma ihre Erklärung ausweiten wollte, war es die rumpelige Stimme von unserem Oberarzt, die uns alle drei in unserem Gespräch verweilen ließ. Ausnahmsweise war er jedoch gelassen, während er telefonierte. Was darauf hindeutete, dass er erneut mit unserer Ausbilderin sprach. „Ja, ja, weiß ich doch. Keine Pfirsiche für Mira, denn davon bekommt sie Ausschlag, während Raya sich dafür sicherlich opfern wird und das Obst isst. Ihre Vorliebe für Früchte hat sie gewiss von dir geerbt... Ja, und keine Süßigkeiten, bevor ich die beiden heute Abend wieder bei Ahlbeck abgebe. Auch das habe ich inzwischen verstanden. Wobei es schon lustig war, Sherbaz eins und zwei so hibbelig bei deinem Mann abzusetzen... Nein, nein. Es sind keine großen Abenteuer heute mehr geplant. Die beiden Mädels wollen in den Zoo, auch wenn Opa Ahlbi morgen mit den Zwergen da hin wollte, waren die Mädchen der Meinung, dass doch lieber jemand mit sollte, der etwas agiler auf dem Spielplatz mitturnen kann als der ältere Herr mit der Bohrerverletzung im Fuß. Demnach muss Onkel Momo einspringen...". Und Sekunden später, waren dort ebendem keine Wortfetzen mehr, die zu uns durchdrangen und erneut zeigen würden, wie gelassen und freundlich der Kollege ein weiteres Mal interagierte. 

Ein Gedanke schob sich nunmehr immer präsenter in meine Überlegungen, der bereits seit gestern nicht mehr gehen wollte und den ich nunmehr Mikko und Emma gegenüber in den Raum stellen wollte: „Wissen wir eigentlich, warum Doktor Sherbaz und Doktor Moreau so gut miteinander klar kommen, wenn sonstig alle anderen Personen bei unserem sturköpfigen Kollegen auf Granit beißen?" „Tom und ich habe kurz nachdem wir hier angefangen haben eine oberflächige Informationssuche gestartet, sind dabei jedoch nie zu einem echten Ergebnis gekommen. Vielleicht würden wir etwas rausbekommen, wenn wir drei es noch einmal gemeinsam und vertiefend versuchen würden?", schlug Mikko zur Lösungsfindung vor. 

Durch eine vierte Person wurden wir jedoch sehr schnell von jeglichen weiteren Planungen abgehalten. „Viel Glück damit. Selbst Ben, der eigentlich alles über seine Frau wissen sollte, weiß nicht, wie es dazu gekommen ist, dass Leyla und Doktor Moreau sich so gut verstehen.", kam es erklärend von Frau Berger, die derweil ebenfalls an den Stationscounter getreten war und dabei scheinbar einige Gesprächsteile unsererseits mitangehört hatte. Gott, wie peinlich! Auch wenn es am Ende nur Frau Berger war, so war es dennoch nicht angebracht am Arbeitsplatz über Kollegen zu sinnieren. „Entschuldigen Sie Frau Berger, dass wir derartig über Kollegen geredet haben. Das ist unprofessionell...", versuchte ich möglichst galant mich und die anderen aus der offensichtlichen Situation zu befreien. Doch Frau Berger winkte, glücklicherweise gelassen ab, während sie fortfuhr: „Sicherlich nicht die feinste englische Art dieses Gespräch direkt am Stationscounter zu führen, doch am Ende auch nachvollziehbar! Schließlich verbringen wir alles zusammen einen Großteil ihres Tages hier am Arbeitsplatz. Daher ist es naheliegend, hier Freundschaften zu schließen, Kämpfe zusammen zu schlagen, gemeinsam zu weinen, miteinander zu lachen und ebendem auch zu lästern, respektive zu diskutieren. Das haben wir alle damals in der Assistenzzeit ebenfalls gemacht und auch sie werden durch all diese differenten Lebenslagen mit der Zeit hindurchgehen. Ebendem hat das Diskutieren über Kollegen einen ganz besonderen Stellenwert, da es ultimativ von eigenen Belangen ablenken kann und den Fokus auf andere lenkt. Und wenn wir ganz ehrlich sind, dann ist Doktor Moreau eigentlich auch der Einzige, der ebendem kein offenes Buch ist, sondern vielmehr ein Buch mit sehr vielen verschlossenen Siegeln ist. Wen sollte man also sonst, als offensichtliches Gesprächsobjekt verwenden? Kleiner Tipp an dieser Stelle wäre aber, dass sie es nicht zu offen machen sollten, sodass Doktor Moreau davon Wind bekommen kann, sonst wird ihnen ein noch größeres Maß des Zorns entgegenkommen, als dieses was sie an einigen anderen Tagen verspüren, ein Umstand, von dem ich aus eigener Erfahrung berichten darf... Aber sobald sie doch etwas über den Kollegen herausgefunden haben sollten, dann könnten sie damit gerne auch zu uns kommen, wir ‚alten Assistenzärzte' sind bei Flurfunk ebenfalls sehr gerne an der vordersten Front dabei." 

„Dann werden wir uns noch mehr Mühe geben, um irgendwie etwas herauszufinden. Ich glaube fest dran, dass dort irgendwo eine Erklärung zu finden sein muss.", besiegelte Emma die Planung. Irgendwie musste es doch möglich sein zu erfahren, wie es zu der Freundschaft zwischen Doktor Moreau und Doktor Sherbaz gekommen sein muss.

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