Onkel Momo Reihe (1)

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Matteos Perspektive:

„Onkel Momo? Warum putzen hier alle ihre Autos so viel? Mama, sagt immer das das keinen großen Spaß macht!", eröffnete mir der kleine Quälgeist, der vergnügt neben mir her hüpfte und mich bereits seitdem wir hier beim Oldtimertreffen angekommen waren, mit jeglichen Fragen löcherte, die ihr in den Sinn kamen. Wie zugleich anstrengend, doch auch wohltuend diese Abwechslung war. Sicherlich würde ich Leyla oder Ahlbeck gegenüber niemals zugeben, dass ich am Ende des Tages durchaus dankbar für die Änderung meiner üblichen Pläne war. Da war schließlich meine Reputation als sturer und starrsinniger Knochen, die ich nicht verlieren wollte. Dennoch wusste ich tief im Innersten, dass ich die positiven Erinnerungen an diesen Tag noch sehr lange mit mir tragen würde. Das hier hätte meine Zukunft mit Mirjam sein können...

Wissend, dass ich, wenn ich nicht baldig auf Rayas Frage reagieren würde, mit zwanzig Neueren konfrontiert werden würde, begann ich daher zu erklären: „Die Menschen, die hier ihre Autos präsentieren, die haben ganz viel Geld in diese gesteckt, sodass die Autos trotz ihres Alters noch immer so makellos und fehlerfrei aussehen, wie sie eben sind. Ähnlich wie meines, mit dem wir hierher gefahren sind. " Zufrieden wie ich Sherbaz 2 diese Ausstellung erklärt hatte, begann ich damit unseren Weg hinüber zu den Oldtimern aus den 70er Jahren zu schlagen. Doch die kleine Tochter von Leyla hatte Augenblicke zuvor die alten Motorräder entdeckt, die linksseitig von uns aufgereiht standen. „Schau mal Onkel Momo, da sind Motorräder! Mein Papa hat auch eins. Und wenn ich größer bin, dann darf ich auch mal mitfahren.", erklärte Raya vergnügt, während sie bereits damit begann an meiner Hand zu zerren, sodass wir hinüber zu den zweirädrigen Ausstellungsstücken gingen. 

Wissend, dass ich eigentlich gar kein Interesse daran hatte, dort weiter umherzuschauen, sondern viel lieber wissen wollte, was heute für Ersatzteile auf der Versteigerung vermittelt wurden, gewann ebendem mein Herz über den Verstand. Ersatzteile für meinen Wagen konnte ich auch zu einem anderen Zeitpunkt kaufen gehen. Die strahlenden Augen von Leylas Tochter, die so fasziniert von den Motorrädern in den Bann gezogen waren, sorgten schließlich dafür, dass wir vorerst in eine komplett andere Richtung abwanderten. 

„Momo, warum gibt es eigentlich Autos UND Motorräder? Eigentlich reicht doch eines, um von A nach B zu kommen.", wollte Raya erfahren, während sie andächtig eine dunkelblaue Triumph aus den 80er Jahren betrachtete. Mit ihren vielfältigen Fragen, die keinem echten Muster folgten, war Raya in einigen Augenblicken den Assistenzzwergen, mit denen ich mich bei der Arbeit umgeben musste äußerst ähnlich. Wobei ich, wenn ich recht überlegte, die unschuldigen und wissenshungrigen Fragen eines Kleinkindes definitiv vorzog, als ebendem die löchernden Fragen, der vermeintlichen Zwerge, die es nach ihrem Studium und ihrer bisherigen Zeit in der klinischen Praxis, vielmehr besser wissen sollten. Zu einer Erklärung ansetzend, um auf die Frage vertiefend einzugehen, wurde ich augenblicklich angehalten, da Raya mit einer erneuten Salve der unterschiedlichsten Fragen fortfuhr. „Warum fahren Autos? Wer hat Motorräder erfunden? Wieso gibt es Ausstellungen, wenn auf den Parkplätzen doch immer genügend Autos stehen?...", wollte Raya unverblümt von mir in Erfahrung bringen. Doch durch die Schnelligkeit der Fragen, die mir entgegengebracht worden waren, wusste ich eigentlich schon gar nicht mehr, welche denn überhaupt die erste gewesen ist. 

Die jüngere Tochter von Leyla hinüber zu der nächstbesten Bank führend, suchte ich das Gespräch mit der Kleinen: „Ich beantworte dir alle deine Fragen. Aber dazu ist es wichtig, dass du mir Zeit lässt, sodass ich auch eine Antwort formulieren kann. Denn wenn du in Schallgeschwindigkeit mit Fragen um dich wirfst, dann weiß ich am Ende doch gar nicht mehr, wo ich überhaupt anfangen soll." Lächelns sah Raya zu mir auf, während sie glücklich mit ihren kurzen Beinen vor uns zurück schwang. „Ich mag dich Onkel Momo! Fast genauso doll, wie Onkel Lias. Können wir beiden auch beste Freunde sein?", wollte Raya von mir in Erfahrung bringen. Eine Fragestellung, die mich unweigerlich ein Stück weit aus der Bahn zu werfen drohte. 

Allein ein Flüstern konnte ich erübrigen, da eine Vielzahl der unterschiedlichsten Emotionen derweil in meinem Kopf zu lodern begannen: „Gerne, Raya. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir beiden Freunde werden." „Ach Onkel Momo, Freunde sind wir doch bereits, von nun an sind wir dann aber BESTE Freunde!", erklärte Raya, ohne jeglichen Zweifel bei mir zu hinterlassen. 

In einem schwungvollen Moment hüpfte die Kleine von der Bank hinunter und blickte mir daraufhin mit einem aufforderndem Blick entgegen, einem den sie definitiv von Ahlbeck geerbt hatte: „Dann gehen wir uns nun weiter umschauen. Du musst mir noch SO viele Fragen beantworten." Bereits während der Erklärung zog Raya an meiner Hand und wir beiden gingen nunmehr zurück zur echten Ausstellungsfläche und verbrachten unseren restlichen Nachmittag zwischen der Vielzahl der Autos und Motorräder. 

Nach einem folgenden, entspannenden Picknick, welches wir beiden in meinem Hinterhof führten, war Raya nach dem bisherigen Tag so mit Eindrücken und Erlebnissen überladen, dass sie beim Lesen des Buches über die Abenteuer des Kleinen Prinzen selig angelehnt an meine Schulter, einschlief. Was für ein erdendes und ausgleichendes Gefühl es doch darstellte, wenn ein Kind einem derartig viel vertrauen entgegenbrachte und gelassen neben einem einschlief. Ohne Sorgen oder Bedenken, was der kommende Tag einem wohlmöglich entgegenbrachte. Was für Erlebnisse ich doch mit meiner Tochter hätte sammeln können, wenn ebendem das Schicksal nicht mit einer derartigen Deutlichkeit und Schwere in mein Leben eingeschlagen hätte. Wäre ich heute da, wo ich nunmehr im Leben stand? Vermutlich nicht. Wahrscheinlich hätte ich gleichwertig wie Leyla einige Zeit gebracht, um zu erkennen, dass Beruf und Familie ebendem nicht auf gleicher Ebene miteinander stehen konnten. Aber daraufhin hätte ich gewiss einen großen Anteil meiner Energie in meine Familie gesteckt und ebendem nicht in die Arbeit. So viel war sicher. Mirjam, was hätte doch aus uns werden können? 

Ein Klopfen der Wohnungstür war es, welches mich schlussendlich aus dem aufbrausenden, negativen Gedankenkarussell riss und mich zurück in die Wirklichkeit führte. Raya vorsichtig ein Sofakissen unter den Kopf schiebend, sodass die Kleine hoffentlich nicht aus dem Schlaf gerissen wurde und vielmehr ungestört weiter schlafen konnte, trat ich einige Augenblicke später an die Haustür, um nachzusehen, wer es war. Auch wenn es grade einmal kurz vor neun war, stand dort auf der anderen Seite der verschlossenen Tür, Leyla, die wohlweislich verfrüht hier war, um ihre Tochter abzuholen. Die Eingangstür aufziehend, sodass sie eintreten konnte, verwies ich mit einem vielsagen Blick auf die Couch, auf der ebendem ihre schlafende Tochter lag, die wir nun nicht unbedingt aus dem Schlaf reißen sollten. „Danke noch einmal Matteo, dass du sie so spontan genommen hast.", erklärte Leyla, während sie damit begann ihre schlafende Tochter, in die Arme zu ziehen und auf ihrer Hüfte balancierend ungestört weiterschlafen zu lassen, „Ben und ich konnten so kurzfristig wirklich niemand anderen aus dem Hut zaubern und dass die Anästhesie so unterbesetzt ist, dass ich nach einer Doppelschicht noch als Notfallbesetzung bleiben muss, hatten wir auch lange nicht mehr am JTK...". 

Ehedem sich meine beste Freundin in einen Redeschwall hineinmanövrieren konnte, aus dem sie in der kommenden Zeit wohl kaum mehr herauskommen würde, hakte ich ein: „Passt schon. Sonstig hätte ich heute Nachmittag den Haushalt machen müssen. Was, wie wir alle wissen, nicht unbedingt die spannendste Aufgabe des Alltags ist. Und vielleicht hat es mir auch ein klein wenig Spaß gemacht, auf die Kleine auszupassen." Auch wenn ich den letzten Teil meiner Erklärung mit einem humoristischen Unterton verpackt hatte, so war deutlich, dass Leyla erkannt hatte, dass es sich dabei definitiv um die Wahrheit handelte und dass ich wirklich gerne diesen Nachmittag derartig verwendet hatte. 

„Dein Geheimnis ist bei mir sicher! Und danke noch einmal, dass du das heute übernommen hast", versicherte mir Leyla zuerst mit einem Augenzwinkern, um daraufhin dann einen ernsteren und wahrhaftigen Tonfall anzuschlagen. Während sie schlussendlich nach Rayas Rucksack griff und sich daraufhin zur Haustür umgewandt hatte, war es Raya, die für einen Augenblick aus ihrem Traumland zurückgekehrt war und mit einem gähnen in der Stimme flüsterte: „Danke Onkel Momo! Schön, dass du mein neuer bester Freund bist!" Bruchteile später war der kleine Lockenkopf bereits erneut eingeschlafen und hatte sich eine noch bequemere Position auf dem Arm ihrer Mama gesucht. Doch die Worte hingen noch immer zwischen uns. 

Mit einem Grinsen auf den Lippen trat Leyla hinaus auf den Hausflur, doch eine tatsächliche hämische Erwiderung, wie ich sie erwartet hätte, kam nie. Vielmehr war es Leylas vielschichtiger Blick, der mir aufzeigte, dass für hier und heute alles notwendige gesagt war. Die Wahrhaftigkeit der Kindesworte hatte hier einfach den finalen Ton getroffen. 

Hoffentlich auf baldige neue Abenteuer mit meiner neuen kleinen, besten Freundin!

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