Klassentreffen

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TW: Mentioning Drogen, Sv Beschreibung Essstörung, häusliche Gewalt

Ich fuhr von der Autobahn, wusste noch, wo unser ehemaliger Klassenlehrer wohnt. Vor 12 Jahren war ich einmal bei ihm. Justus war nicht da gewesen. Auf ihm freue ich mich am meisten.

Wir waren 6 Jahre in einer Klasse, hatten nie geredet, nicht wirklich. In der 11. saß ich mal neben ihm, für zwei Wochen. Da haben wir ab und an geredet. Aber nie wirklich. In der 12. war er nicht da.

Er hatte Probleme, das sah ich ihm an, weil ich ähnliche hatte. Er hatte eine Essstörung, habe ich damals vermutet. Ich habe mitbekommen, wie er Probleme mit seinen Eltern hatte, irgendwann in die Drogen abgerutscht ist. Er saß immer wieder in der letzten Reihe, bekam aber nichts mit. Die Lehrer bemerkten nichts. Ich weiß nicht, was passiert ist, dass er in der Klinik gelandet ist. Ich habe nur mitbekommen, dass andere Klassenkameraden das wussten.

Ich hoffte wirklich, er ist heute da. Er ist der einzige Grund, weshalb ich von Kiel hierher gekommen bin. Ich wusste, dass einige alte Freunde von mir hier sind, aber die sehe ich auch sonst mal.

Ich biege auf die Einfahrt ab. Einige Autos stehen hier schon. Ich gehe, genau wie damals, an der Garage vorbei in den langgezogenen Garten. Die Sitzecke ist fertig, ein paar Büsche sind neu, blühen. Ich erkenne alte Gesichter, scanne jedoch alle nach Justus ab. Ich kann ihn nicht finden. Finnja kommt auf mich zu. Sie weiß von meinen Gedanken um ihn, auch wenn sie es nicht wirklich versteht. Sie sieht mich bemitleidend an und murmelt: "Vielleicht kommt er ja noch"

Tatsächlich kommen noch weitere Mitschüler in den Garten. Unser Lehrer hat mich mittlerweile auch begrüßt, mir gesagt, dass ich glücklich aussehe. Ich bin glücklich in Kiel. Hatte vor 4 Jahren meine Mastektomie. Bin weg von meinen Eltern, bin geoutet, kann ich sein, kann Lars sein ohne mich rechtfertigen zu müssen. Ich bin glücklich, wenn ich nicht gerade an Justus denke.

Doch da kommt er. 18:22. 22 Minuten Verspätung. Bis zur 10. Klasse hätten sich alle darüber gewundert. Heute nicht mehr. Die 11. Klasse lag dazwischen. Und weitere 13 Jahre.

Nichts erinnerte mehr an seine blühende Art, er wirkte in sich zusammen gefallen. Vor 14 Jahren hätte er von allen die Aufmerksamkeit bekommen. Jetzt drehten sich alle nach einem kurzen Blick wieder weg. Ich sah weiter zu ihm. Er sah mich an und unsere Blicke trafen sich.

Ich hatte mich verändert in den letzten Jahren. Hatte begonnen, Testo zu nehmen, war aktuell gut in Form. Auch meine Haare hatte ich nicht mehr gefärbt.

Nachdem unser Lehrer uns mitteilte, dass wir uns was vom Buffet nehmen durften, legte meine Aufmerksamkeit sich erneut auf Justus. Was würde er wohl tun. Bisher hatte er mit niemandem geredet, sich zu niemandem dazu gestellt. Er lief zum Ende des Gartens in Richtung das Baches, hatte nur ein Glas Wasser in der Hand. Er wollte nichts essen. Ich auch nicht. Ich nahm meine Cola Zero, welche ich mir eingeschenkt hatte, und ging ihm hinterher. Es war ruhig hier. Ich stellte mich neben ihn. Er sah mich still an.

"Lars ist ein schöner Name" begann er schließlich zu reden. Seine Stimme hatte sich nicht verändert. Er hatte immernoch die selbe Art zu reden. "Woher weißt du das?" - "Insta" antwortete er nur. Ich war überrascht, dass er mich gefunden hatte, ich folge eigentlich nur meinen Freunden in Kiel. "War stressig dich zu finden" - "Warum hast du dir die Mühe gemacht?" Er lächelte leicht. "Ich wollte den Kontakt zu dir nicht verlieren. Den Kontakt den wir nie hatten. Ich vermisse dich" Wow. Mit solchen Worten hatte ich nicht gerechnet. "Du weißt glaube ich gar nicht, wie sehr ich gehofft habe, dass du kommst. Ich will nicht noch länger neben dir her leben. Ich weiß nichts über dich aber irgendwie bist du mir wichtig" erwiederte ich schließlich.

Er blickte mich lange an, seinen Ausdruck dabei konnte ich nicht deuten. Trauer? "Eigentlich ist es doch auch scheiß egal..." murmelte er leise. Worauf war das bezogen? Schließlich begann er zu reden. "Ich habe niemanden. Bin mit 17 in die Klapse gekommen, danach ausgezogen, war aber immer wieder drinnen. Ich bekomme nichts auf die Reihe. Ich bin wirklich enttäuscht." Er wollte früher Archäologie studieren, die Welt bereisen, sein Wissen teilen. Er hat Judo gemacht. "Komm mit nach Kiel. Du kannst da neu anfangen, habe ich auch gemacht. Ohne deine Vergangenheit. Ich mache gerade eine Ausbildung, hab eine tolle Trainingsgruppe, bin weg von meinen Eltern, habe meine Probleme überwunden. Kann ich sein."
Er ist still, sieht mich nur an. "Das muss schön sein" - "Was hält dich auf? Es ist wirklich toll da. Und wir könnten mal was zusammen machen. Ich will dich endlich kennen lernen" - "Ich kann meine Wohnung hier nichtmal bezahlen, ich habe nichts" - "Dann zieh bei mir ein. Du suchst dir einen Job, in aller Ruhe, solange wohnst du bei mir." - "Einfach so?" - "So einfach" Er versuchte sich an einem Lächeln. "Du hast ein zu großes Herz, das kannst du nicht machen"

BoyxBoy Oneshots Trans* representationWo Geschichten leben. Entdecke jetzt