Der Moment der Stille im Angesicht des Donners

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Kapitel 28 Der Moment der Stille im Angesicht des Donners

Das Entsetzen über die Verwendung des Namens hält sich mit einem tiefgehenden Zittern in meinen Knochen. Es vibriert bis ins Mark hinein und ich ringe um Fassung. Wie kann es sein? Woher kennt er meinen Spitznamen. Ist es ein Zufall? Hat er ihn irgendwoher mitbekommen können? Habe ich ihn ausgeplaudert? Vielleicht vor Kaley? Ihr habe ich von Rick erzählt. Doch ich bin mir sicher, dass sie es niemanden gegenüber erwähnt hätte. Wieso auch. Sie hätte keinen Grund. Dennoch werden es nur noch mehr Fragen, die in meinem Kopf entstehen und nach Antworten verlangen.

„Wieder sprachlos? Dabei wollte ich unbedingt mal sehen, wie du ausrastest." Das provozierende Grinsen in Stevens Gesicht weckt viel mehr als Rage und Unmut. Es schürt vor allem Furcht, vor dem, woran er beteiligt sein könnte. Es ist nicht das erste Mal, dass mir der Gedanke kommt, dass er etwas mit den Vorkommnissen zu tun hat. Aber bisher hat es für mich keinen Sinn ergeben. Ja, wir mögen uns nicht. Wir mochten uns von Anfang an nicht, obwohl ich ihm nie Anlass dazu gegeben habe. Ich erinnere mich an das seltsame Gefühl, welches mich bis ins Mark traf, als er mich in der ersten Mittagspause unentwegt anstarrte. Es war nichts, was ich nicht auch aus dem Gefängnis kannte und obwohl zunächst nichts passierte, ließ es Obacht zurück. Es ist wie ein Reflex.

„Warum zur Hölle tust du das? Macht es dir Spaß? Geilt es dich so sehr auf?", frage ich angestachelt. Steven lacht auf.

„Es macht großen Spaß, zu sehen, wie du dich windest, ist unglaublich geil."

„Du bist ekelhaft", zische ich.

„Es macht dich doch genauso an. Steht er dir schon?"

„Das wirst du wohl niemals wissen."

„Du kotzt mich so an, weißt du das? Du machst einen auf unschuldig und bist der größte Lügner von allen." Der abrupte Wechsel der Stimmung ist spürbar und es lässt jeden Muskel in meinem Körper zucken. Unter meiner Zunge beginnt es zu jucken. Ich schlucke schwer.

„Was weißt du schon", bringe ich hervor.

„Mehr als du denkst, denn ich durchschaue dich. Ja, ich sehe all die Abgründe, all die dunklen kleinen Abartigkeiten." Stevens Blick ist starr, ohne Regung, ohne die geringste Emotion.

„Du hast keine Ahnung, wovon du redest. Du bist nur ein krankes Arschloch, was sich daran aufgeilt, anderen nachzusteigen!"

„Ich zeig dir krankes Arschloch...", zischt er mir entgegen und stößt mich mit der flachen Hand zurück, sodass ich gegen die Wand pralle.

„Steven!", ertönt es am anderen Ende des Flurs vom Büro des Vorarbeiters aus. Stevens linkes Auge zuckt noch im gleichen Moment. Er wendet seinen Blick nicht von mir ab, während ich flach atmend auf die pulsierende Vene starre, die sich unter demselben Auge abzeichnet.

„Pfennig, verschwinden Sie endlich! Denken Sie nicht, Sie haben schon genug Ärger! Nehmen Sie ihre Sachen und dann raus. Ich werde es nicht wiederholen", sagt er mit fester Stimme. Nun pressen sich Stevens Zähne aufeinander. Ich erkenne es deutlich an der Spannung in seinem Kiefer und als sich seine Lippen etwas öffnen. Er richtet den Saum meiner Arbeitsjacke, ehe er endlich einen Schritt zurück macht und dabei die Hände abwehrend in die Luft hebt. Steven wirft dem Vorarbeiter einen vielsagenden Blick zu, der in diesem Augenblick bei uns ankommt.

„Miese Drecksfirma", spuckt er, kehrt in den Umkleideraum zurück, aus dem er seinen Rucksack holt. Ein letztes Mal bleibt er auf meiner Höhe stehen und starrt mich an. Ich kenne diesen Blick. Roh. Zornig. Zerstörend.

Ich spüre, wie die Anspannung nachlässt als ich Steven um die Ecke verschwinden sehen.

„Entschuldigt mich. Ich brauche frische Luft.", erkläre ich und die Hand, die eben noch meine Schulter berühren wollte, zieht sich augenblicklich zurück. Der Vorarbeiter nickt und ich laufe in die entgegengesetzte Richtung, in die Steven verschwunden ist. Mir ist warm, obwohl meine Hände eiskalt sind. Mir ist schlecht, obwohl eben noch mein Magen knurrte. Im Grund ist nichts, was ich spüre, klar und deutlich. Nicht in diesem Moment. Ich fühle die Ohnmacht in jedem Winkel meines Körpers und fast so schlimm, wie an diesem einen Tag. Ich muss hier raus. Ich brauche frische Luft. Die immer gleich aussehenden Kellergänge des Gebäudes nehmen die Orientierung. Es dauert etwas, bis ich endlich einen geeigneten Ausgang finde, presse meinen ganzen Körper gegen den Querhebel, der die Feuerschutztür öffnet und trete in den mit Böschungen gesäumten Außenbereich, der oft von den Rauchern genutzt wird.

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