Der Funken Wahrheit in jeder Lüge

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Kapitel 31 Der Funken Wahrheit in jeder Lüge

Ich lasse das Handy sinken, ohne den Anruf des alten Detectives zu beenden und behalte es in der Hand, sodass das Display nach hinten zeigt. Ich hoffe inständig, dass Moore dranbleibt und den Wink versteht.

„Steven", bemerke ich absichtlich laut, schaffe es aber nicht, den aufgeregten Hüpfer aus meiner Stimme zu verbannen. Auch nicht, das eruptive Beben meiner Hände zu unterdrücken. Als er die letzten Schritte tilgt, verbraucht es auch den übrigen Rest meiner Fassung und ich bleibe nur stehen, weil mich die Angst lähmt.

„Ellen... Elien... Eileen... oh warte, Lee oder? So war es doch, nicht wahr? Ich bin neugierig. Ist dieser Richard der Einzige, der dich so nennt? Geht dir dabei einer ab?", faselt Steven freimütig vor sich hin, beugt sich leicht vor und ich rieche dieses penetrante Eau de Toilette an ihm, welches einem nachts Albträume beschert. Jeder Muskel in meinem Körper reagiert darauf, spannt sich an, zuckt und schreit. Ich frage nicht, woher er es weiß, antworte auf keine seiner Fragen, sondern beobachte ihn mit Obacht. Jedes Wort ruft ein Beben der furchterfüllten Abscheu hervor. „Hat's dir die Sprache verschlagen? Wie schade, aber was solls, wir haben gleich genug Zeit zum Plaudern. Aber es gibt noch eine kleine Planänderung." Steven zieht einen Schlüsselbund hervor und lässt diesen klimpern. Ich erkenne ein paar der Schlüssel wieder.

„Wurdest du jetzt zum Lieferjungen degradiert?", spotte ich vollkommen deplatziert, „Ach nein, was sag ich, das Botenäffchen warst du ja schon vorher."

„Fuck you, de Faro!", bricht es in einem kurzen Anflug von Wut aus ihm heraus, die jedoch sogleich wieder abflaut und als ein Grinsen im schmalen Gesicht des anderen Mannes verbleibt. Er erinnert mich an einen Geier, der sich euphorisch auf das vor ihm liegende Aas stürzt. Nun fügt sich auch der unangenehme Gestank an ihm ins Bild ein.

„Dann war die Nachricht von dir? Du hast mich zum Dark Orange gelockt? Jaron hat rausbekommen, dass ich mich hier schon mal mit Richard getroffen habe und er hat's dir erzählt?", frage ich laut und öffentlich deutlich, sodass Moore es mitbekommt. Steven grinst und wiegt seinen Kopf hin und her, ohne eindeutig zu antworten.

„Kannst du dir vorstellen, Jaron denkt wirklich, ich habe geplaudert. Ich! Weißt du, nach all den Gefallen, die ich ihm getan habe, sollte er es doch besser wissen." Gefallen. Er nennt es Gefallen. Das Eindringen in meine Privatsphäre. Die Torturen. Die Angst.

„Na na na, du bist nicht der verfickte Moralapostel, der du vorgibst zu sein. Du hast es verdient, das wissen wir beide."

„Und warum hast du es getan? Hat es dir nicht gereicht, mich auf Arbeit zu nerven? Was bringt es dir? Geld? Das kann nicht alles sein.", frage ich zögerlich und doch mit nervenzerrender Neugier, denn genau das verstehe ich nicht. Das Warum. Die Motive. Strenggenommen gilt es für beide, Jaron und Steven.

„Würde es dich verwundern, wenn es nur das Geld ist? Nichts weiter?" Ich glaube ihm nicht. „Genug geplauscht. Lauf schon los, sonst kommen wir zu spät zu unserem Dreier", verlangt er mit wachsender Ungeduld und weicht so meinen Fragen aus.

„Nein", sage ich ruhig. Im Inneren schreie ich es laut aus und balle als einzigen Hinweis meine freie Hand zu einer Faust. Ich will nicht mit ihm gehen, will keine Sekunde länger mit ihm allein sein. Alles in mir weigert sich. Die gestaltlose Vorahnung voller Dunkelheit ist wie ein unangenehmes Beben auf meiner Haut. Das Wanken einzelner Härchen, welches zum tobenden Kaventsmann wird, je länger meine Vorstellung arbeitet.

„Nein? Du wirst", mahnt er an und kein Körnchen Scherz bleibt zurück. Seine Stimme gleicht einer Lawine, deren Druck meinen Schädel spaltetet.

„Sag mir erst, wohin es geht." Als er erneut anfängt, mischt sich gespielte Ruhe in seinen Tonfall. Das alarmiert mich nur noch mehr. „Eine Bar ist doch kein Ort, um sich in Ruhe zu unterhalten, findest du nicht auch? Zu viele Leute. Zu Laut. Vorwärts!" Er stößt mich nach vorn und ich stolpere ein paar Schritte voran. Daraufhin bleibe ich stehen, spüre ihn noch im selben Moment dicht am Rücken und wie er meinen Arm packt. Es zwiebelt bis in meine Fingerspitzen und vorsichtig schiebe ich mein Handy in die Jackentasche. „Denk nicht mal daran, irgendeinen Scheiß zu machen. Du weißt, dass nicht lange diskutiert wird bei Verstößen gegen die Bewährungsauflagen. Eins, zwei und du bist wieder im Knast und diesmal wirst du gefickt, dafür würde ich sorgen", droht er ruhig, „Weißt du, das Witzige ist, in unseren Personalakten stehen auch die Namen unserer Bewährungshelfer. Glaub es oder nicht, aber ich war überrascht als ich feststellte, dass wir auch das gemeinsam haben. Ich könnte überaus interessante Bilder mit ihm teilen. Gleich hier und jetzt. Also, ein letztes Mal. Geh! Sonst werde ich ungemütlich." Die Bilder beweisen, dass ich mehrfach grob gegen die Auflagen verstoßen habe. Richard zu sehen, ist ein schwerwiegender Verstoß, der einen Widerruf der Bewährung zur Folge hätte. Für die vier ausgesetzten Jahre müsste ich dann zurück ins Gefängnis. Es fühlt sich langsam wie ein unausweichliches Schicksal an. Nichtsdestotrotz gehorche ich, laufe los und bin erleichtert, als ich zwischen mir und Steven mehr Entfernung bringen kann. Allein seine Nähe ist ein Hagelschauer an Bitternis und Angstgefühl. Abwechselnd und gleichzeitig. Immerwährend.

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