Reden ist Silber und Schweigen bleibt....falsch

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Kapitel 11 Reden ist Silber und Schweigen bleibt....falsch

Ich werfe einen letzten Blick auf das Handydisplay. Seit acht Minuten habe ich offiziell Feierabend und ziehe zum ersten Mal in Betracht einfach hier stehen zu bleiben. Niemand würde es auf fallen. Keinen würde es stören. Nur mich selbst, da ich es schon bevorzuge in meinem eigenen Bett zu nächtigen. Ich fühle mich eigenartig ruhelos und selben Moment seltsam träge. Seufzend schaue ich erneut auf die Uhr, streiche mir durch die Haare und schalte das Arbeitsgerät ab. Also doch Feierabend.

Statt alles ruhen zu lassen, taste ich nach meinem eigenen Telefon, ziehe es, aber nicht aus der Hosentasche. Unweigerlich wandern meine Gedanken zu Richard. Was er wohl denkt? Erst wähle ich seine Nummer und dann ignoriere ich ihn. Zwischendurch war ich kurz davor eine Nachricht zu schreiben, aber solche Sache kann man viel leichter zurückverfolgen. Allerdings hat er mir versichert, dass niemand diese Nummer kennt. Trotzdem macht sich das schlechte Gewissen in mir breit. Dennoch ich bin mir sicher, dass es die richtige Entscheidung war. Hätte ich auch nur eine Sekunde seine Stimme gehört, dann wäre ich vor Sehnsucht zergangen und womöglich nie wieder aus den Tiefen meiner Wünsche zurückgekehrt.

Meine Finger streichen über das lautlos geschaltete Gerät und ich spüre ein feines, aber deutliches Kribbeln, welches sich meine Fingerspitzen schreien lässt. Nach einem letzten Moment der Rastlosigkeit verlasse ich den neuen Bürokomplex genauso unbemerkt, wie ich ihn betreten habe.

Auf dem Vorplatz des Gebäudes bleibe ich stehen. Ich bin in mitten des  Geschäftsviertels der Stadt. Hochhaus reiht sich an Hochhaus. Verglaste Giganten, die sich gemäß ihrer Erbauer größenwahnsinnig in den Himmel strecken, wechseln sich mit Betonwürfel in mannigfaltigen Formationen ab. Ich blicke die Fassade des Nachbargebäudes entlang bis ich bei einem trostlosen Alibidachgarten angelange. Ein Bäumchen mit kränklichem Aussehen und eine Hecke an der deutlich zu erkennen ist, dass das Gärtchen niemand pflegt. Ich schließe meine Lider. Die kühle Luft bläst mir meinen Kopf frei und ich atme tief ein. Als ich die Augen aufschlage, sehe ich mich um. Ein paar Geschäftsleute eilen zu einem Taxistand. Eine junge Frau, die mit allerhand Akten beladen ist, kommt an mir vorbei und beginnt zu schimpfen. Ich sehe auf den Schlüssel, der neben ihr am Rinnstein liegt. Ich bücke mich automatisch, klaube ihn auf und reiche ihn ihr. Sie scheint mir ein verlegenes Lächeln. Ich nicke freundlich und wende mich ab.

Vor der Treppe zur U-Bahn bleibe ich erneut stehen. Irgendetwas hält mich zurück. Das laute Signal einer Alarmanlage lenkt mich ab und doch bemerke ich eine Gestalt auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Zigarettenrauch, der sich langsam verflüchtigt und in feinen Schäden über den Autodächern tanzt. Die Person ist nicht mehr zu sehen. Wieder durchfährt mich ein intensives Erzittern und meine Gedanken beginnen zu rasen.

Unbewusst ziehe ich meine Schultern nach oben umso die Jacke dichter an meinem Gesicht zu platzieren. In den letzten Tagen ist die Temperatur schnell gefallen. Ich nehme mir vor meine Winterklamotten heraus zu kramen und erschrecke bei dem schlechten Gefühl, welches sich bei dem Gedanken an meine Wohnung in mir ausbreitet. Ich sehe, wie eine Masse von Menschen aus dem U-Bahntunneln kommt und bin für einen kurzen Moment hin und her gerissen. Ich will noch nicht zurück in meine Wohnung. Doch ich kenne niemanden in dieser Stadt, zu dem ich gehen könnte. Ich sehe, wie die leeren Gesichter der Menschen näherkommen. Wie sich einige Augen auf mich richten. Fragend. Wundernd. Verstört. Kurz bevor sie bei mir ankommen, wende ich mich um und schiebe meine Hände in die engen Taschen meiner Jacke. Ich gehe einfach weiter, steige in den nächsten Bus ein und an der nächstgelegenen Haltestelle meiner Wohnung wieder aus. Die Fahrt hat viel länger gedauert, führte vorbei an etlichen Läden und Geschäften und tief hinein in die verschiedensten Wohnviertel. Ein Einblick in die Variabilität einer Stadt und in mancher Hinsicht ein wahrhaftiges Armutszeugnis.

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