Der Moment und die Stille

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Kapitel 10 Der Moment und die Stille

„...und ich werde dafür sorgen, dass euer falsches Spiel endlich endet." Plötzlich spüre ich Detective Moores Hand an meinem Arm und wie sich seine Finger in meinen stoffbedeckten Arm krallen. Ich habe nicht einmal gemerkt, dass er mir nah gekommen ist. Seine Stimme ist so ruhig, dass es mir Angst macht. Ich wende mich nicht zu ihm um. Auch nicht als er den Griff löst. Nur das leise, raschelende Geräusch seines Trenchcoats sagt mir, dass er sich von mir wegbewegt. Ich blicke in mein verschwommenes Spiegelbild, welches sich in dem schmalen Fenster der Tür abbildet. Eine unbestimmbare Fratze, die sich langsam entzerrt. Das Bild von Richards Vater erscheint. Seine kühlen, klaren Augen, die mit einem Mal matt und leer schienen. Unbewusst schließe ich die Lider, doch das verstärkt nur das Bild in meinem Kopf. Seine toten, stumpfen Augen haben sich in meine Erinnerung gebrannt. Ich drehe den Schlüssel im Schloss, öffne die Tür und verschwinde in den Treppenflur. Dort bleibe ich stehen, höre wie die Tür hinter mir ins Schloss fällt und spüre sofort die Tränen, die warm und feucht über meine Wangen rinnen. Still und brennend. Ich wusste, dass es uns früher oder spät einholen wird, aber trotzdem trifft es mich mit der vollen Wucht.

Haltsuchend fasse ich nach einem der Briefkästen und doch zwingt mich der Schwindel auf die Knie. Meine Hand rutscht über das kalte Metall und ich ziehe sie in den Schoss. Für einen Moment habe ich das Gefühl, nicht mehr atmen zu können, obwohl mein Brustkorb im Takt meines rasenden Herzens Luft hinein pumpt. Die Bilder dieses gewissen Abends prasseln auf mich ein und die Erinnerung ist so klar als wäre es erst gestern geschehen.

Die erregten Stimmen ertönen in meinem Kopf. Vor allem Richards und die seines Vaters. Drohungen fallen. Pure Wut erfüllte den Raum. Wir haben so hässliche Dinge zueinander gesagt. Er war außer sich. Beide waren es. Er war gegen mich. Schon immer. Das Geräusch des hinabfallenden Körpers folgt als nächstes. Das Brechen von Knochen. Ein erstickter Laut. Ein entsetztes Stöhnen und dann die alles verändernde Stille. Nur dieser eine Moment und allein das heftige Keuchen unseres Atems war zu hören. Mein Griff an Richards Arm war fest. Doch mein gesamter Körper zitterte.

Ich drücke mir beide Hände gegen die Brust, in der Annahmen des ich so mein heftige pulsierendes Herz beruhigen kann. Doch ich spüre nur, wie das Beben doppelt durch meinen Körper hallt. Ich richte mich nur schwerfällig auf, höre meine Knochen knacken und doch nehme ich es kaum wahr. Mein Blick wendet sich in den dunklen Flur. Nur schemenhaft erkenne ich die Stufen der Treppe. Das abgewetzte Holz. Den abgesplitterten Lack am unteren Treppenlauf, den ich jeden Morgen von neuem bemerke.

Moores Wort hallen durch meinem Kopf. Wieder und wieder und sie scheinen jedes Mal lauter zu werden, bis sie förmlich schreien. Ich quäle mich mit tauben Gliedern die Treppe hinauf und gehe im Flur meiner Wohnung erneut zu Boden. Meine Knie prallen hart auf dem Holzboden auf. Lass es nicht wahr sein. Wieso ausgerechnet jetzt? Wieso kann er es nicht ruhen lassen? Es hat jemand für den Tod von Renard Paddock gebüßt und in gewisser Weise wir sühnen dafür noch immer.

Etliche verschwommene Minuten sitze ich am Boden, lehne mich gegen die geschlossene Wohnungstür und betrachte die groben Holzstrukturen meines Parkettbodens. In meinem Kopf wechseln sich Erinnerung mit grenzenloser Leere ab. Richards erinnerte Stimme jagt kleine Schauer durch meinen Leib. Ich sehne mich danach, sie wirklich zu hören. Heilende Worte zu gewispert zu bekommen, die sich wie Balsam über meine Wunden legen. Ich will den sanften Ausdruck sehen, den seine Augen bekommen, wenn er mich zu trösten begann. Die Zärtlichkeit. Die Liebe. Meine Sehnsucht ist ungestillt. Sie wird niemals vergehen. Unbewusst ziehe ich mein Handy aus der Tasche. Noch ist das Display schwarz. Mein Gesicht spiegelt sich darin, doch ich nehme es nicht als mein eigenes wahr. Seit diesem einen Tag habe ich das öfter. Ich sehe in den Spiegel und erkenne mich selbst nicht. Und manchmal macht sich das Gefühl in mit breit, dass mein Leben einfach nicht fortgelaufen ist, sondern still steht. Als ich das Telefon anschalte, ist mein Spiegelbild verschwunden. Ich suche nach Ricks Nummer und für einen Augenblick ist das Verlangen in mir so überwältigend, dass mein Daumen den grünen Hörer bestätigt. Ich will doch nur seine Stimme hören. Ich will hören, dass weder ihm noch mir etwas passiert.

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