Mit dem Geruch von Gras und Staub

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Kapitel 24 Mit dem Geruch von Gras und Staub

Richard rührt sich nicht. Selbst, als ich vor ihm stehen bleibe, sehe ich nur, wie sich sein Körper im ruhigen Takt seiner Atmung sanft auf und ab bewegt. Er schläft. Hier, mitten im Hausflur und in meiner Brust explodiert ein kleiner, aber intensiver Sternenschauer, der jede noch so entlegene Stelle meiner Glieder erreicht und die feinen Härchen meines Körpers sich verneigen lässt.

So sehr ich mir auch gewünscht habe, dass er sich an meine Bitte hält, so sehr ersehnte mein Inneres, dass er sein Versprechen bricht. Meine Hand greift das Geländer der Treppe noch etwas fester. In diesem Moment bin ich voller Verzweiflung, Scham und Liebe. Sieben Jahre und doch ist er in meinem Herzen so präsent, wie am ersten Tag. Und mit jeder vergehenden Sekunde liebe ich ihn mehr. Es ist hoffnungslos zu glaube, dass ich ihn je vergessen kann. Wir zwei sind hoffnungslos, weil wir trotz aller Widerstände aneinander festhalten.

Ich überwinde die letzten Stufen zu meiner Wohnetage. Lautlos hocke ich mich vor ihn, sehe in sein ruhendes Gesicht, welches unbequem auf seinem rechten Arm abgelegt ist. Eine Strähne seines braunen Haares schwebt kurz über seiner Nasenspitze und ich kann mir das Bedürfnis, ihn zu necken, nicht verkneifen. Vorsichtig stupse ich die Strähne an, sodass die weichen Haaren über seine Nase streicheln. Die Reaktion, die ich daraufhin bekomme, ist so unglaublich erfüllend, dass ich das Gefühl habe mein Herz zerspringt vor Glück. Ich wiederhole es, schaue erneut dabei zu, wie sich kleine Runzeln auf seinem Nasenrücken bilden und die Spitze zweimal hin und her wackelt. Ein leises Murren. Ich schmunzele. Rick erwacht, blinzelt benommen und hebt seinen Kopf. Das warme Braun seiner Augen sieht mir verschlafen entgegen. Er braucht einen Moment, um die Situation zu verstehen und sitzt, als er begreift, kerzengerade.

„Lee..." Das Flüstern meines Namens jagt Schauer durch meinen Leib. Heiße. Vertraute.

„Hey", flüstere ich erwidernd. Richard streckt seine Hand nach mir aus, stoppt auf der Höhe meiner Wange. Sein Blick trübt sich, so, als würde ihm erst jetzt das Ende unseres letzten Treffens wieder bewusst werden und die Hand sinkt zurück auf sein Knie.

„Ich hab auf dich gewartet...", sagt er, um die Stille zu füllen und ich komme nicht umher zu schmunzeln, als er den Versuch, zu erklären, fast beschämt wieder abbricht. Er ist nervös. Unruhig. Ich merke es am Tempo seines Gesprochenen. An seinen Händen, die immer wieder etwas suchen und doch nicht finden. Diese Nervosität zeigt er nur mir. Rick streicht sich zum wiederholten Male über das Kinn, reibt dabei über auffälliges Barthaar. Er sieht müde aus. Diesmal bin ich es, der die Hand nach ihm ausstreckt und ihm eine wilde Strähne davon streicht. Es ist nur ein Hauch, doch ich spüre, wie sich Richard unwillkürlich in meine Berührung lehnt.

„Du solltest nicht hier sein", sage ich den Satz, der seit unserem Wiedertreffen wie ein schallendes Mahnen über uns schwebt. Unser ganz persönliches Damoklesschwert. Ricks Augen schließen sich für diesen Moment. Er atmet tief ein, während mein Daumen über seine Wange streicht. Über kratzende Bartstoppeln. Über warme Haut. Über vertraute Glückseligkeit. Am Übergang zu den Ohren färbt sich sein Bart rötlich und das trotz seiner dunklen Haare. Das sehe ich zum ersten Mal und es lässt mich lächeln. Draußen ertönt die Alarmanlage eines Autos und wir schrecken beide zusammen. Rick sieht zu dem schmalen Fenster oberhalb der Treppe, lauscht und greift unwillkürlich an meinen Arm. Seine Unruhe verstärkt sich.

„Moore, ist er noch hier?", erfragt Rick hastig. Ich schüttele den Kopf.

„Ich habe ihn gebeten nach Hause zu fahren", sage ich ruhig und fixiere erneut, die feinen roten Härchen an seiner Wange.

„Du hast ihn gebeten", wiederholt er leise und ihm entfährt ein seltsam amüsiertes Schnaufen, „Das schaffst auch nur du..." Er streicht meinen Arm entlang und greift nach der Hand, die noch immer an seiner Wange ruht. Richard lächelt. Erst sanft. Dann betrübt.

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