╰⊱ vier ⊱╮

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EDEN

Meine zitternden Finger treffen aufs Glas, welches unter meinem Schlag wegsplittert. Zeitgleich verziehe ich das Gesicht, als der Schmerz durch meine Hand zuckt. Zeitgleich, was heißt das jetzt schon? Also presse ich die Lippen aufeinander und ziehe vorsichtig eine kleine Scherbe aus meiner Faust, um dann noch vorsichtiger durch das entstandene Loch zu greifen und die Tür zu öffnen.

Eine Kühle Nachtbrise zerzaust meine Haare, die sich ausnahmsweise nicht unter meiner Kapuze verstecken. Vermutlich, weil mich sowieso niemand sieht. Die Straßen sollten leer sein, weil es dunkel ist. Gerade sind sie es nicht. Während mein Blick über meine Schulter hinweg die Straßen mit Menschen hinabwandert, die einfach in ihrer Bewegung erstarrt sind, vergesse ich dabei die Tatsache, dass ich mich ablenken wollte. Die Panik steigt erneut in mir hoch, von meinem Bauch ausgehend und ich kann nichts dagegen tun. Ich habe es versaut, schon wieder. Und an Elaine will ich gar nicht denken. Scheisse, ich tue es, schon wieder. Ich habe alles zerstört, obwohl ich mir sicher war, die Zeit auf 16.04 eingestellt zu haben...

Ein Mann, links von mir starrt mich an, reglos. Und es ist, als sähe er durch mich hindurch ins Leere, während er nicht einmal blinzelt. Das trübe Grau seiner Augen wird sichtbar, dank der Straßenlaternen. Ich will diese bescheuerten Schuldgefühle abstellen, nichts mehr fühlen. Das wäre so einfach. Noch mehr will ich, dass mich das Wissen verlässt, dass all das meinetwegen passiert ist. Meinetwegen ist die Zeit stehen geblieben und Elaine habe ich mit rein gezogen.

Ich atme tief durch und drücke schließlich die Klinke von innen nach unten. Ich öffne die Tür und ziehe nebenbei meine Hand heraus. Scheinbar hat der schrullige Kiosk-Typ keine Alarmanlage. Hätte mich sowieso gewundert, nach dem dünnen Glas der Eingangstür.

Meine Augen erfassen sofort das, wonach ich gesucht habe; Alkohol.

Bernsteinmädchen, redet sowieso niemals wieder mit mir, denke ich.

„War ja klar, Auburn"

Ich fahre herum und lasse blitzartig die Hand von der Flasche sinken, nach der ich gerade greifen wollte. Ich erstarre in der Bewegung, als würde mich das Anpassen an die gesamte Bevölkerung vor ihr unsichtbar machen. Sie hat geweint, dass sehe ich ihr an und kann es ihr nicht verübeln. Mein Arm sackt nach unten und ich starre auf den Boden, weil mir, ja mir, Eden Auburn, tatsächlich die Worte fehlen. Ihr scheint es ähnlich zu gehen, da sie es mir gleichtut, im nicht bewegen. Als lieferten wir uns ein Duell; Wer sich zuerst bewegt verliert und wir sind umgeben von Gewinnern. Schließlich seufzt sie laut und reibt sich die Augen, ehe sie zu dem Regal läuft, vor dem ich stehe. Erstaunt beobachte ich sie dabei, wie sie sich streckt, um den Rotwein, eine Etage zu hoch für sie, zu greifen. Aber sie schafft es und mustert mich dabei von der Seite. Verachtung liegt in ihrem Blick. Ihr blumiger Geruch ist deswegen nicht weniger leicht und perfekt, als sonst. Es kostet mich jegliche Überwindung etwas zu sagen, doch als ich es dann versuche, tritt nichts über die Schwelle meiner Lippen. Elaine kramt in ihrer Tasche und legt drei Pound auf die Verkaufstheke, wobei sie mich nicht aus den Augen lässt.

„Ich schätze du wolltest natürlich auch bezahlen. Genauso, wie du wie ein normaler Mensch in den Kiosk gehst und zur richtigen Zeit auftauchst", ihr bitteres Lächeln nicht zu vergessen.

Ich schlucke und drehe mich um. Es gibt nichts, was ich sagen könnte, um die Situation weniger krank oder surreal zu machen.

Sie geht und ich halte sie nicht auf, sehe ihr nach. Ich beiße mir auf die Unterlippe und drücke die Augenlider aufeinander, nachdem sie im Mondschein außerhalb der Schaufenster mein Blickfeld verlassen hat. Lasse ich sie jetzt wirklich alleine? Sie, ihre Verzweiflung, die ich deutlich gespürt habe, vorhin und jetzt und eine Flasche Rotwein? Außerdem hat sie nicht gerade auf mich gewirkt, als vertrüge sie besonders viel davon. Vielleicht bin ich ein Arschloch, vielleicht auch ohne das „Vielleicht", aber es ist heute schon genug passiert. So gehe ich ihr nach und ich muss mich beeilen, weil ich für diese Entscheidung beinahe fünf Minuten gebraucht habe.

Hastig kämpfe ich mich an bewegungslosen Menschenmassen, starrer als der Beton unter meinen rennenden Füßen, vorbei, auf der Suche nach ihrem honigblonden Haarschopf in nächtlicher Atmosphäre. Die Luft riecht, dafür, dass es London ist, ungewohnt klar. Dann sehe ich sie und beschleunige meine Schritte, sodass ich irgendwann anfange zu rennen.

Endlich scheint auch sie keinen Grund mehr darin zu sehen, weiterzulaufen. Wobei ich mich sowieso gefragt habe, wohin sie überhaupt geht. Sie scheint es selbst nicht recht zu wissen, bis sie sich auf einer Bank mit Blick auf die Themse niederlässt.

Zögerlich hole ich die letzten Abstände zwischen uns auf und setze mich wortlos neben sie. Wir schweigen. Ich frage mich, was ihr gerade so durch den Kopf geht, obwohl ich es ein bisschen zu wissen glaube. Die Umgebung schweigt auch und ich sehe sie an. Mir fällt auf, wie perfekt ihre kleine Stupsnase ist und danach gleitet mein Blick zu der Weinflasche, die sie fest umklammert, während sie in die Ferne starrt und so tut, als sehe sie mich nicht.

„Kannst du eigentlich noch sprechen?", fragt sie. Ihr Blick ruht noch immer auf dem stillen Wasser, auf dessen Oberfläche sich der Mondschein wiederspiegelt.

Ich nicke nur.

„Warum tust du es nicht?", fragt sie, ihre Augen blinzeln den Anflug von Tränen weg.

„Weil ich mich nur entschuldigen könnte, was nichts bringt und außerdem passt es nicht zu meinem Image", antworte ich, meine Augen können sich nicht von ihr lösen. Schon gar nicht, als sie mich schließlich ansieht.

„Was, wenn die Zeit jetzt für immer stillsteht?", fragt sie.

Ich habe keine Antwort. „Dann sitzen wir hier wohl für immer alleine fest", zumindest keine, die sie hören will.

„Was denkst du gerade?", fragt sie.

„Was denkst du gerade?", frage ich.

„Ich denke, dass du der letzte Mensch bist, mit dem ich hier wohl für immer alleine festsitzen möchte", sie zerrt gewaltsam den Korken von der Weinflasche und trinkt.

„Ich denke, dass es einfach Zeit braucht, bis wir uns daran gewöhnt haben"

„Blöd gelaufen", brummt sie emotionslos, „Es gibt keine Zeit mehr"

Und ich nehme ihr schweigend die Flasche aus der Hand und nippe daran. Schlucke und schlucke, damit die Chance ein wenig sinkt, dass sie sich heute Nacht komplett betrinkt. Ihr blumiger Geruch mischt sich mit dem, des Flusses und ich wende den Blick von ihr. Seufzend. „Schade, dass der letzte Mensch, mit dem du hier wohl für immer alleine festsitzt, der einzige ist, mit dem du den letzten Monat Zeit verbracht hast", sie blinzelt wieder und ich fahre fort, „Ich weiß, dass ich ein Arschloch bin. Mindestens, weil es mir ein bisschen egal ist, dass du scheinbar keine Freunde oder Familie hast. Aber es tut mir wirklich leid, dass wir hier festsitzen."

„Du kannst mich mal, Eden Auburn", zischt Elaine und versucht mir die Flasche wegzunehmen. „Komm, geh doch den nächsten Kiosk stürmen, geh eine Rauchen oder betrink dich so richtig. Wie du festgestellt hast bin ich sehr gerne alleine", ihre Augen blitzen gefährlich. „Und wie ich festgestellt habe, hast auch du keine Freunde", fügt sie leiser hinzu. „Gartenzwerg ist fertig mit Strommast, Over"

Ich stehe auf.

Ich gehe.

Ich lasse Elaine alleine, obwohl ich mir dieses Mal nicht die Frage hätte stellen müssen, was sie denkt. Sie hat gelogen. Und um das Arschloch-Image so richtig zu unterstützen, lasse ich sie dennoch alleine.

Der Schlüssel klickt ins Schloss und dann bin ich wieder in dieser dämlichen Suite, umgeben von Kälte. Kälte im übertragenen Sinne, da ich höchstens fünf Schritte gehen müsste, um die Heizung zu betätigen. Stattdessen gehe ich zu meiner Couch in mitten des großen Wohnbereichs und schnappe mir auf dem Weg meine Gitarre.

Den Blick aus dem Fenster schweifend gleiten Meine Finger über die Saiten, doch es ist, als hörte ich die Musik nicht. Alles drängt sich in den Hintergrund, als ihre Stimme durch meinen Kopf hallt; Es gibt keine Zeit mehr. 

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Ich wünsche euch noch einen wundervollen Tag und vielen Dank für den Support, ahh<3 

Out of TimeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt