Fremd

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Ich kam jeden Tag ins Krankenhaus. Jeden Tag, um nur im Wartezimmer da zu sitzen und Stunden damit zu verbringen fieberhaft nachzudenken.

An Tag 5 betrat ich das Krankenhaus und lief direkt in die Arme von Stella's Arzt. Er lächelte und reichte mir die Hand.

„ Sie ist wach. Wenn sie möchten können Sie zu ihr. “

Genau davor hatte ich Angst.
Wie sollte ich mich ihr gegenüber verhalten, wenn sie nicht einmal wusste wer ich war? Was sollte ich sagen, wenn sie meine Worte nicht wieder erkannte?
Frustriert fuhr ich mit der Hand durch mein Gesicht - eine Geste die ich besonders in den letzten Tagen häufig verwendet hatte... Um mir einen kurzen Moment Zeit zu nehmen, um die Tränen herunter zu schlucken. Um stark zu sein, selbst wenn es nur für die Außenwelt war.

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Ihr Zimmer war hell und freundlich. All die Blumen die Verado, Männer aus der Familie und ich gekauft hatten verwandelten es in ein Meer aus Rosen und Lilien.
Stella selbst war etwas blass und im Gesicht zeichneten sich bereits heilende blaue Flecken und Blutergüsse ab.
Ich trat langsam ein, war wie gelähmt bei ihrem Anblick.

„ Hi. Sind sie Arzt? “

Innerlich schrie ich. Es tat so weh das sie mich nicht erkannte. Nicht wusste wer ich war. Ich spürte den Schmerz und die Last auf mir, als würden sie mich zu Boden drücken. Trotzdem lächelte ich.

„ Hi. “ flüsterte ich. „ Nein, ich... Ich bin kein Arzt. “

Der Stuhl in der Nähe war mein Ziel. Ich musste mich setzen, hatte ich die vergangenen Tage doch kaum geschlafen - geschweige denn etwas gegessen. Es gab zu viel zutun und ich konnte mir keine Pause gönnen.
Verado organisierte in diesem Moment die Beerdigung von Mum... Er hatte mich regelrecht ins Krankenhaus geschlagen - gleichzeitig versprach er aber auch meine Wünsche für die letzte Ruhestätte zu berücksichtigen.

„ Ich... “

Wie sollte ich es ihr erklären? Wie fing ich an?

„ Stella... Was ist das letzte woran du dich erinnern kannst? “

Das konnte ja nur schief gehen, oder? Aber was für eine Wahl hatte ich? Mit der Tür ins Haus fallen, ihr sagen das ich ihr Mann war?
Ich beobachtete sie, wie sie überlegte. Sie verzog das Gesicht.

„ Naja, also... Ich weiß das ich mit meiner Freundin verabredet war. Und... Das Amy nicht aufgetaucht ist. Ich weiß auch noch, daß ich sie suchen wollte... Aber... “

Es war wie ein Schlag ins Gesicht. Alles was uns betraf, was mich betraf... War restlos verschwunden. Ausgelöscht. Weg.

Ein Blick genügte und ich sah den Ring den sie trug. Den, den ich ihr geschenkt hatte. Die Schlinge um meinen Hals zog sich zu.

„ Tut mir leid... Der Arzt meinte das ich mich womöglich nicht mehr an alles erinnern kann. Sind sie ein Freund von Amy oder wissen sie, wo sie ist? “

Ihre großen, schönen Augen starrten mich an. Ich ließ ihr die Zeit, hoffte das sie mein Gesicht erkennen würde... Doch es geschah nichts. Kein kleines Lächeln, nichts.

Ich wusste mir nicht zu helfen, doch dann erinnerte ich mich an etwas das Verado sagte. Er hatte dafür gesorgt das ich etwas bei mir trug um zumindest etwas zu erklären... Wer ich war, besonders für Stella.

Ich griff in die Innenseite meiner Jacke und fischte das Bild hervor. Es zeigte Stella und mich an unserer Hochzeit. Ich atmete tief ein und hielt ihr dann das Bild hin - so, daß sie es selbst nehmen und herum drehen musste um etwas zu erkennen.

Als sie danach griff wurde es gespenstisch still im Raum.

Caspian 2 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt