Wut

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Ich war überall.
Ich hatte die gesamte Stadt auf den Kopf gestellt, war auf ihrer Arbeit, bei ihr Zuhause. Am Ende blieb mir nur der Friedhof. Und da fand ich sie.
Langsam, mit beiden Händen in den Hosentaschen, lief ich auf sie zu. Sie saß am Grab ihrer Eltern.

„ Stella. “
Sie drehte sich nicht zu mir um sondern blickte stur weiter gerade aus. Meine Verzweiflung wuchs. Ich hatte Verständnis für sie und doch machte es mich wahnsinnig wie sie mit mir umging.
„ Rede mit mir. “ versuchte ich es wieder und wieder war sie es die mich mit ihrem Schweigen strafte.

Die gesamte Situation wuchs mir mittlerweile über den Kopf. Ich hatte keine Ideen mehr, keine Ahnung wie ich diese Sache bereinigen konnte. Ich wollte doch bloß ihr bestes, auch wenn es nicht danach aussah.

„ Wieso tust du das? “ platzte es aus mir heraus. „ Denkst du nur du hast es gerade schwer? Nur du leidest? Ich leide auch. Unheimlich. Ich habe nicht nur meine Mutter verloren die ich Jahrzehnte lang nicht mal kannte, ich habe auch fast dich verloren. Hast du dir je Gedanken darüber gemacht wie es mir mit alledem geht? “

Stille. Sie ignorierte mich.

„ Okay, weißt du was... “
Meine Wut übernahm das Steuer. Dank der Ungerechtigkeit die ich erlebte überstieg der Zorn meine Verzweiflung vollends.
„ Du bist verdammt egoistisch. So warst du nie. Du wusstest von all den Dingen. Und du hast mich trotzdem geliebt. Du hast den Mann geliebt der ich wurde - für dich. Ich weiß du hast Probleme. Ich weiß es ist schwer ohne die Erinnerungen... Aber ich weiß auch dass das was hier gerade wieder passiert nicht das ist was passieren sollte. Es gibt so viele Dinge um die es sich zu kämpfen lohnt - für mich warst das immer du. Und bedauerlicherweise kann ich nicht einfach aufstehen und gehen und sagen das all das Zeit Verschwendung war und ich weiter machen muss. Das geht nicht. Und weißt du wieso? Weil ich dich liebe. Ich liebe dich, verdammt nochmal. So wie du warst aber auch so wie du jetzt bist. Es ist mir scheiß egal wenn du mich anschreist und beschimpfst, aber ignorier mich nicht. “

Sie bewegte sich. Ihre Stirn lag in Falten als sie mich ansah. Meine Wut ebbte ab, weil sie so traurig aussah und ich verfluchte mich still selbst, weil ich sie so angeschnauzt hatte.

„ Du hast recht. Ich sollte dich nicht ignorieren. “  flüsterte sie. „ Damit hattest du schon früher ein Problem. “

Ich stimmte zu und erstarrte dann. Hatte ich das was sie sagte gerade richtig verstanden? Mein Mund stand offen als ich sie nur ansah. Ich war nicht mehr fähig irgendeinen klugen Spruch zu sagen.

„ Als ich ging war ich traurig. Ich war traurig über das, was du mir erzählt hattest. Ich wollte es nicht glauben. Im Internet begann ich schließlich zu recherchieren. Natürlich fand ich da weitaus weniger als ich wollte. Aber das was ich fand war ausreichend. Es war ausreichend das mich ein Gefühl beschlich all das schon zu kennen. Meine Furcht darüber war nicht länger präsent. Als hätte ich mich damit abgefunden. “

Sie stand auf, drehte sich nun vollends zu mir. In ihrer Hand hielt sie etwas, aber was es war konnte ich nicht erkennen.

„ Ich erinnere mich, Caspian. Ich erinnere mich an die Angst die ich hatte als Gio dich in der Mangel hatte. Ich erinnere mich daran wie ich verzweifelt auf ein Lebenszeichen von dir gewartet habe. Wie ich da saß und voller Trauer und Zorn fast umgekommen bin. Aber ich erinnere mich auch daran wie unendlich dankbar ich war, als du nach Hause kamst. “

Mit aller Kraft unterdrückte ich einen Schrei. Der Schmerz durchfuhr mich mehrere Male und ich hoffte das ich mir ihre Worte gerade nicht nur eingebildet hatte. Ein dicker Kloß bildete sich in meinem Hals.

„ Ich bin hierher gekommen weil ich nicht weiter wusste. Vor ein paar Tagen bin ich wieder vor dir weggelaufen und jetzt... “
Angestrengt sah sie auf ihre Hand hinab. Sie schüttelte leicht den Kopf als sie sie öffnete. Darin lag ihr Ring.

Obsidian.

„ Ich fühle so viele Dinge wenn ich diesen Ring betrachte. Ich spüre so viel, daß es zu viel wird. Ich kann all die neuen Informationen, die Erinnerungen noch nicht richtig einsortieren. Ich... Ich hatte noch nicht wirklich die Chance sie zu verarbeiten. Es tut mir leid wenn ich dir Sorge bereitet habe. Und es tut mir leid, wenn du wegen mir voller Zorn bist. Aber ich muss dich um Zeit bitten. Ich brauche Zeit um all das irgendwie zu verstehen. “

Völlig machtlos sah ich weg. Ich begann zu seufzen, weil das hier wie ein Abschied klang. Ein Abschied, der womöglich eines Tages damit enden würde, das sie nie mehr nach Hause käme. Das sie sich anders entscheiden und mich für immer verlassen würde. Jetzt bereute ich meinen Ausbruch vorhin noch mehr. Innerlich schrie ich, schrie so laut es irgend möglich war. Doch äußerlich war ich bereits verstummt.

„ Okay. “ sagte ich obwohl ich NEIN meinte. Dann verließ ich den Friedhof. Ohne Stella. Und ohne Gewissheit für die Zukunft.

Caspian 2 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt