Kapitel 1 - Ein Mörder in Hawkins

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Prolog

21.09.1987 - 23:37 Uhr

*Chrissy*

Flirrende Schwärze.
Klumpig. Dickflüssig. Erdrückend.
Schmerz explodiert in meinem Kopf und vergiftet meine Nervenbahnen.
Ich hebe eine Hand an die Stelle meines Kopfes, die sich so taub und gleichzeitig so stechend schmerzhaft anfühlt.
Spüre etwas warmes an meinen Fingern, betrachte sie.
Dickflüssiges, klumpiges Blut.
Mein Blut?
Kalt.
Mir ist so kalt.
Wie spät ist es?
Ich muss nach Hause.
Ich versuche aufzustehen, doch meine Beine wollen mir nicht gehorchen.
Es fühlt sich an, als würden sie nicht zu mir gehören.
Ein Geräusch dringt dumpf an meine Ohren.
Bilde ich mir das nur ein?
Ich höre das Blut in meinen Ohren rauschen, es überdeckt alle anderen Geräusche. Wie ein schwerer Vorhang.
„Hilfe",presse ich hervor.
Meine Stimme klingt mir fremd.
Ich blinzle.
Drehe mich auf den Rücken.
Die Finger meiner Hände graben sich in das nasse Laub.
„Hilfe",wiederhole ich verzweifelt.
Ich höre Schritte neben mir im Laub.
Ich drehe unter größter Anstrengung meinen Kopf, in die Richtung aus der ich die Schritte glaube gehört zu haben.
Schwarze Stiefel.
Ich strecke einen Arm aus, bekomme ein Schuhband zu packen, ziehe daran.
„Hilf mir, bitte",flehe ich und huste.
Sofort explodiert neuer Schmerz in meinem Kopf.
Ich stöhne auf.
Ein Schemen lehnt sich über mich.
Ich hebe meine Arme.
„Hilf mir doch..."
Der Schemen hebt mich hoch und ich schreie vor Schmerz auf.
Wohin bringt er mich?
In ein Krankenhaus?
Schwarze Flecken flimmern vor meinen Augen.
Vereinen sich nach und nach zu einem dicken schwarzen Klumpen.
Knarzen.
Dumpfe Schritte.
Holz?
„Was machst du?"
Meine Stimme bricht.
Ich versuche angestrengt gegen die bleierne Müdigkeit anzukämpfen.
Ich möchte gerne schlafen.
„Ich will nach Hause"
Tränen laufen über meine Wangen.
Der Schemen bleibt stehen.
Was ist das für ein Geruch?
Blut und... Algen?
Ich drehe langsam meinen Kopf.
Ignoriere den höllischen, pochenden Schmerz hinter meinen Schläfen.
Mondlicht spiegelt sich.
Auf der Wasseroberfläche.
Der See.
Nein.
Bitte nein!
Ich schreie.
Winde mich.
Mein Körper gehorcht mir nicht, krümmt sich unnatürlich, krampft.
Und dann kalte, schwere, tiefschwarze Dunkelheit.
Ich versuche Luft zu holen.
Seewasser flutet meine Lungen.
Ich will mit den Armen rudern, mich an die Oberfläche kämpfen.
Sie gehorchen mir nicht.
Ich schwebe.
Schwerelos.
Hilflos.
Die Erkenntnis trifft mich wie ein Hammerschlag.
Ich werde hier und heute sterben.
Das wars.
Das ist mein Ende.

~Liv~

Schnellen Schrittes und mit gesenktem Kopf betrete ich die Hawkins Highschool und bahne mir einen Weg durch die überfüllten Gänge.
Ich spüre die Blicke meiner Mitschüler auf mir.
Ich hebe nicht den Blick, ehe ich an meinem Spint angekommen bin
Schnell gebe ich die Kombination ein und reiße die Tür auf.
Ich greife mein Geschichtsbuch und knalle die Tür achtlos zu.
Ich schließe einen Moment die Augen und wappne mich für das, was gleich passieren wird.
So wie es jeden Morgen passiert, seit sie fort ist.
Ich muss an ihrem Spint vorbei.
Der nun, da sie so grausam uns Leben gekommen ist, eher einem Schrein gleicht, als dem Spint einer Cheerleaderin.
Die Menschen tun so, als hätte ihnen etwas an ihr gelegen. Als hätten sie sie gekannt.
Als hätten sie nicht hinter ihrem Rücken über sie geredet, sich die Mäuler über ihre Essstörung zerrissen.
Und nun schienen alle nur noch zu weinen.
Um sie.
Die sie nicht einmal kannten.
Niemand kannte sie so wie ich.
Sie war meine beste Freundin und ich habe sie geliebt.
Und jeden verdammten Tag werde ich an dieser verfickten Highschool daran erinnert, das sie nicht mehr da ist!
"Hey Liv."
Ich höre eine mir vertraute Stimme in meinem Rücken.
Jason.
Das hat mir gerade noch gefehlt.
Ich hasse diesen Typen.
Mir war es immer ein Rätsel gewesen, wie sie ihn hatte lieben können.
Er ist ein Wichser.
"Hey Carver",erwidere ich und wende mich zum Gehen.
Mein Blick bleibt an Chrissys Spint hängen.
All die Kerzen und Blumen, die Fotos und Trauerkarten.
Mir schnürrt sich die Kehle zu.
"Ich kann es auch nicht mehr sehen. Das macht mich verrückt",sagt Jason, der meinem Blick gefolgt ist.
Ich presse meine Lippen aufeinander, schweige.
Jason seufzt und schüttelt den Kopf, so als würde er sich aus dunklen Gedanken holen.
Vermutlich versuchte er den Schein zu wahren, er würde tatsächlich um sie trauern.
Verdammter Heuchler.
Jason steht auf meiner Liste der Verdächtigen an erster Stelle.
Und auf Platz zwei Edward Munson.
Er war der letzte gewesen, der Chrissy lebend gesehen hatte.
Die Polizei hatte ihn entlastet.
Er habe ein Alibi, sagte man mir.
Ich bin mir nicht sicher, ob Eddie sie getötet hat, aber seine Aussage bei der Polizei macht mich stutzig.
Chrissy soll Drogen von ihm gekauft haben.
Chrissy hatte, seit ich sie kenne, was quasi ihr ganzes Leben war, nicht einmal an einem Joint gezogen, geschweige denn würde sie sich Drogen vom stadtbekannten Dealer besorgen.
Das ist vollkommen absurd.
Und genau deshalb traue ich Munson nicht.
Er verbirgt etwas.
Das kann ich sehen.
Seit ihrem Tod bin ich ihm einige Male über den Weg gelaufen.
Er hat es nicht gerade leicht im Moment.
Eddie ist ohnehin als der Freak der Hawkins High bekannt, was ich, zugegebenermaßen, nie wirklich verstanden habe.
Doch nun ist er der, der Chrissy zuletzt lebend gesehen hat.
Und alle beschuldigen ihn, sie getötet zu haben.
Es wirkt immer so, als ließe ihn das völlig kalt. Doch wenn unsere Blicke sich treffen, kann ich jedesmal sehen, das er darunter leidet.
Doch was mich an ihm zweifeln lässt ist, das ich auch immer Schuld in seinen Augen lese.
Und das lässt mich einfach nicht los.

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