Kapitel 4.3

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~Liv~

Kalt.
Mir ist so kalt.
Die Kälte kommt von innen.
Sie frisst sich durch jede Zelle meines Körpers.
Ich zittere.
Ich spüre eine Hand auf meiner.
Sie ist warm.
Und kühl zugleich.
Sie drückt meine Hand sanft.
Ich höre eine Stimme.
Sie klingt weit entfernt.
Und doch nah.
Sie klingt vertraut.
So vertraut.
Wie ein alter Freund, den man lange vermisst hat.
Meine Augen sind geschlossen.
Eine innere Stimme sagt mir, ich soll sie nicht öffnen.
Nie wieder.
Die vertraute, schmerzlich vermisste Stimme wird lauter.
Eindringlicher.
Sie sagt mir:
"Wach auf! Bitte!"
Sie klingt traurig.
Tieftraurig.
Ich will nicht!, will ich antworten.
Doch mein Mund weigert sich, die Worte zu formen.
Ein Bild erscheint vor meinem inneren Auge.
Jason.
Die Trophäe.
Das Blut.
Ich sehe das Leben aus ihm weichen.
In einem Sekundenbruchteil.
Einfach so.
Ich höre ein Schluchzen.
Jemand weint.
Bin ich das?
Die Hand, die meine hält, verstärkt ihren Griff.
Rüttelt an meinem Arm.
"Liv!"
Die vertraute Stimme ruft nach mir, zerrt an meinem Geist. Ich will ihr antworten.
Langsam öffne ich meine Augen.
"Willkommen zurück, Prinzessin",sagt die Stimme und ich drehe meinen Kopf.
Rehbraune Augen suchen sorgenvoll die meinen.
"Eddie...",presse ich hervor.
Er beugt sich über mich, nimmt mein Gesicht in seine Hände, legt seine Stirn an meine.
"Was ist passiert?", frage ich und meine Stimme klingt mir fremd.
"Du warst ohnmächtig",antwortet Eddie. Seine Stimme zittert.
"Jason...",presse ich mit tränenerstickter Stimme hervor, "...er ist tot. Er hat ihn umgebracht!"
Ich will schreien, doch ich kann nicht.
Es fühlt sich an, als würde Jemand seine Hände um meine Kehle legen.
Zudrücken.
Mich ersticken.
Eddie nimmt mich in den Arm.
Wiegt mich sanft.
"Was für ein Monster tut so etwas?", frage ich schluchzend.
"Eines, das keine Grenzen kennt",erwidert Eddie und seine Stimme klingt rau.
"Was sollen wir jetzt machen?!"
Meine Lebensgeister kehren zurück.
Ich richte mich auf, löse mich aus Eddies Umarmung.
"Eddie...",sage ich mit bebenden Lippen, "Wir müssen zur Polizei gehen! Wir zeigen ihnen das Video!"
Ich packe Eddie am Arm, rüttle ihn energisch.
Er legt eine Hand auf meine.
"Das können wir nicht",sagt er ruhig.
"Wieso nicht?",will ich wissen und meine Stimme bricht.
Eddie greift hinter sich und hält mir die Trophäe hin.
Ich will danach greifen, doch er zieht sie zurück.
"Nicht anfassen. Es reicht, wenn meine Fingerabdrücke drauf sind",sagt er.
"Wisch sie ab!",sage ich und klinge beinahe anklagend.
"Wir bringen die Trophäe und das Video zur Polizei!"
"Liv",sagt Eddie einfühlsam, "Auf dem Video ist ein Maskierter zu sehen, der Jason mit dieser Trophäe tötet!"
Er reckt die Trophäe in die Höhe und sieht mich vielsagend an.
Ich erwidere seinen Blick verständnislos.
"Wie sieht es wohl aus, wenn ich damit ins Revier spaziere?"
"Ich kann das machen!"
Eddie seufzt.
"Nein, Liv. Es ist zu riskant. Er wird diese Eventualität bedacht haben! Am Ende landen wir nur beide im Knast! Oder Schlimmeres."
Er senkt den Blick.
Ich betrachte ihn einen Moment.
Nein!
Ich werde nicht einfach tatenlos zusehen, wie Eddie eines Verbrechens beschuldigt wird, das er nicht begangen hat!
Ich kann nicht länger nur zusehen!
Das ist meine Chance, Eddies Namen rein zu waschen!
Ich springe auf.
Eddie zuckt erschrocken zusammen.
Ich nutze den Moment und reiße ihm die Trophäe aus den Händen.
Dann laufe ich schnellen Schrittes ins Wohnzimmer.
Ich höre Eddies Schritte hinter mir.
"Liv! Was soll das?!",ruft er panisch.
Ich hocke bereits vor dem Videorekorder und drücke auf Auswerfen.
Der Videorekorder öffnet klappernd das Fach und ich kneife meine Augen zusammen.
"Gib mir die Kassette, Eddie!",sage ich streng und strecke eine Hand aus.
"Was?"
"Gib sie her!"
"Ich hab sie nicht!"
"Lüg mich nicht an!"
"Aber ich lüge nicht!"
Stille.
Eddie und ich starren uns einen Moment fassungslos an.
Dann beginnen wir beide panisch den Raum zu durchsuchen.
Durchforsten jeden Winkel.
Öffnen Schränke und Schubladen.
Nichts.
Scheiße!
"Er hat sie sich zurück geholt...",spreche ich aus, was wir wohl beide denken.
Eddie nickt nur schweigend.
Sein Blick wird ausdrucklos.
"Er wird es mir anhängen",sagt er tonlos.
Ich schüttle den Kopf, gehe zu Eddie und nehme sein Gesicht in meine Hände.
"Das lasse ich nicht zu!",sage ich mit Nachdruck.
Eddie schließt seine Augen.
Eine Falte bildet sich zwischen seinen Augenbrauen.
"Wir werden ihm geben, was er will",sagt er tonlos.
Ich schlucke.
"Wie meinst du das?"
Eddie holt hörbar Luft.
Dann sieht er mich an.
Er legt eine Hand in meinen Nacken, fährt mit seinem Daumen sanft über meinen Kiefer.
Seine Augen spiegeln die Traurigkeit in meinen wider.
"Ich liebe dich, Liv",sagt er plötzlich und ich erstarre.
Mir stockt der Atem.
Mein Herz schlägt schnell. So schnell, das es beinahe weh tut.
"Und weil ich dich liebe, werde ich dich um jeden Preis schützen. Verstehst du mich?"
Ich nicke und spüre, wie sich Tränen in meinen Augen sammeln.
Ich will etwas erwidern, doch der Kloß in meinem Hals erstickt jedes Wort.
"Das bedeutet, das wir uns eine Weile nicht sehen können."
Meine Augenbrauen zucken verständnislos.
Dann verstehe ich und mir weicht sämtliche Farbe aus dem Gesicht.
Hitze steigt mir zu Kopf.
Mein Herz sticht schmerzhaft.
"Nein...",sage ich flehend und meine Finger krallen sich in den Kragen von Eddies Shirt.
"Tu mir das nicht an",bettle ich und Tränen kullern meine Wangen hinab.
Eddie sieht mich aus tieftraurigen Augen an.
Sie füllen sich mit Tränen.
"Ich wünschte, ich müsste es nicht tun",sagt er heiser und sein Daumen fängt eine Träne von meiner Wange auf.
"Aber er wird nicht aufhören, ehe er  bekommt, was er will."
Schluchzend presse ich mich an Eddie und er legt seine Arme um mich, streicht mir behutsam übers Haar.
"Ich überlebe keinen Tag ohne dich."
Meine Worte werden immer wieder von Schluchzern, die mich schütteln, unterbrochen.
"Ich will nicht ohne dich sein!"
"Ich weiß, Liebes",sagt Eddie und es klingt, als würde er weinen.
"Ich will auch nicht ohne dich sein. Aber wir haben keine Wahl. Wir wissen jetzt, das er nicht einmal vor Mord zurückschreckt. Wir sind an einem Punkt, an dem nur wir einander schützen können. Und das können wir nur, wenn wir uns voneinander fernhalten."
Es fühlt sich an, als würde ich innerlich verbrennen.
Alles tut weh.
Selbst das Atmen.
Kraftlos geben meine Beine unter mir nach und ich sinke zu Boden.
Eddie versucht mich zu stützen, mich auf den Beinen zu halten, ohne Erfolg.
Er hockt sich neben mich, zieht mich in seine Arme.
"Du darfst mich nicht allein lassen!",schluchze ich und versuche verzweifelt Eddie von mir zu drücken.
Er lässt es nicht zu.
"Liv...",fleht er doch ich schüttle den Kopf.
"Nein!",rufe ich,
"Du kannst mich nicht allein lassen!"
Ich balle meine Hände zu Fäusten und schlage kraftlos auf Eddies Brust ein.
Er versucht nicht einmal, mich davon abzuhalten.
Lässt es über sich ergehen.
Als ich meine Fäuste erschöpft sinken lassen will, umschließt er sie mit einer Hand, presst sie an seine Brust.
"Sieh mich an, Liv",sagt er liebevoll und ich heben langsam den Kopf.
Er legt die andere Hand in meinen Nacken und zieht mich daran näher zu sich.
Er fährt mit seiner Nasenspitze über meine Wange und ich kann spüren, das er zittert.
"Ich liebe dich, bitte vergiss das nicht,"flüstert Eddie.
Seine Lippen suchen die meinen und sie treffen aufeinander.
Mir entfährt ein leiser Schluchzer und ich ziehe Eddie näher an mich.
Er legt einen Arm um meine Taille, presst mich an sich.
Der Kuss fühlt sich nach Abschied an.
Er ist leidenschaftlich und fordernd, zärtlich und liebevoll.
Alles zugleich.
Und ich kann fühlen, wie mein Herz in tausend winzige Teile zerbricht.

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