Kapitel 5.1

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~Liv~

Ich kritzle geistesabwesend auf meinem Block herum und erschrecke, als die Schulglocke schellt.
Müde reibe ich mir meine brennenden Augen und stopfe mein Zeug achtlos in meinen Rucksack.
Gerade als ich mich vom Stuhl erhebe, ertönt die Stimme des Direktors aus dem Lautsprecher in einer Ecken
des Klassenraums.

"Außerordentliche Versammlung! Ich bitte alle Schüler augenblicklich in die Turnhalle!"

Nicht schon wieder!
Ich verdrehe genervt meine Augen.
Was ist es wohl diesmal?
Liegt es Sheila besonders am Herzen, das auch alle brav für das Ballkönigspaar wählen, zu Ehren von Chrissy?!
Ich schultere mühsam meinen Rucksack und setze mich langsam in Bewegung.
Jeder Schritt fällt mir schwer.
Ich habe seit Tagen kaum geschlafen.
Wenn ich meine Augen schließe, sehe ich ihn vor mir.
Wie er Jason tötet.
Wie er meine Haarsträhne zwirbelt.
Mir wird schlecht bei dem Gedanken an den bevorstehenden Winterball und den Tanz, den ich diesem Wahnsinnigen zugestanden habe.

Mein Vater ist so krank vor Sorge um mich, das er seine Geschäftsreise verschoben hat und somit eine weitere Woche zu Hause sein wird.
Er wolle mich nicht allein lassen, hatte er gesagt.
Ich habe mich nicht dagegen gesträubt.
Im Gegenteil.
Ich bin dankbar dafür.
Nicht allein im Haus zu sein gibt mir zumindest ein winziges bisschen Sicherheit.
Auch, wenn ich weiß, dass sie nur ein Trugschluss ist.
Die Angst ist zu meinem ständigen Begleiter geworden und sie sitzt mir im Nacken wie der Atem des Teufels.

Die Turnhalle ist bereits voll mit plappernden Schülern und ich suche mir einen Platz weit hinten in einer Ecke der Tribüne.
Auf dem Weg dort hin vermeide ich es strikt, mich umzusehen.
Auch wenn der Drang groß ist.
Ich habe Eddie, seit er bei mir aufgetaucht und mir den Revolver abgenommen hat, nicht mehr gesprochen.
Gesehen hingegen habe ich ihn.
Auf dem Flur.
In der Cafeteria.
Auf dem Schulhof.
Und es hat mir jedesmal aufs Neue das Herz gebrochen.
Ihn zu sehen aber weder sprechen noch berühren zu können, treibt mich in den Wahnsinn.
Es schmerzt so sehr, das ich manchmal glaube, daran zu ersticken.
Ich weiß, das er genauso darunter leidet wie ich.
Ich sehe es in seinen Augen, jedesmal wenn sie flüchtig die meinen suchen.
Und doch begegnen wir uns wie Fremde und das zerreißt mich innerlich.

Das Mikrofon pfiept unangenehm und ich verziehe das Gesicht, hebe gequält meinen Blick.
Der Direktor hat sich davor positioniert.
Hinter ihm steht unser Vertrauenslehrer, neben ihm Sheriff Hopper und ein junger Deputy.
Ich erstarre.
Was macht der Sheriff hier?!
Jetzt schaue ich mich doch um.
Ängstlich, nervös, suche ich die Tribüne nach Eddie ab.
Dabei fällt mir auf, das auch neben und auf der Tribüne Deputys stehen.
Mit, auf den Rücken verschränkten Armen, lassen sie ihre Blicke über die Köpfe der Schüler schweifen.
Als würden sie Jemanden suchen.
Oh nein...
Ich entdecke Eddie nicht.
Wo steckt er nur?!
Mein Blick bleibt an Sheila hängen, die eine Reihe vor mir am anderen Ende der Tribüne sitzt.
Sie sieht ziemlich mitgenommen aus.
Als hätte sie geweint. Viel geweint.
Der Direktor räuspert sich und die Schülerschaft stellt augenblicklich das Gemurmel ein.
Ich drehe langsam meinen Kopf und höre bereits das Blut in meinen Ohren rauschen.

"Werte Schülerschaft, ich hab Ihnen traurige Nachrichten zu überbringen",sagt der Direktor und räuspert sich erneut, ehe er weiterspricht.
"Die Leiche Ihres Mitschülers Jason Carver wurde heute morgen aus dem Lovers Lake geborgen. Die Polizei geht von einem Gewaltverbrechen aus."
Ein Raunen geht durch die Menge und mir weicht sämtliche Farbe aus dem Gesicht.
"Sheriff Hopper und seine Deputys sind heute hier, um Sie um etwas zu bitten."
Er tritt vom Mikrofon beiseite und macht eine ausladende Handbewegung in Richtigen Sheriff Hopper.
Dieser stellt sich vor das Mikrofon und richtet seinen Hut.
"Solltet ihr irgendwelche Informationen zu Jasons Verbleib in der Nacht von Halloween haben, dann wendet euch bitte an mich oder meine Deputys! Jede noch so unwichtig erscheinende Information könnte diesen Fall lösen, also bitte, zögert nicht, uns anzusprechen! Desweiteren",er räuspert sich, während ich versuche, die aufkommende Galle herunterzuschlucken.
"Verhänge ich hiermit eine Ausgangssperre!"
Die Schülerschaft beginnt aufgeregt durcheinander zu reden.
"Ruhe!",donnert Hopper und wieder erstirbt das Stimmengewirr.
"Solange der Täter noch frei herumläuft, möchte ich kein Risiko eingehen! Ab 22 Uhr herrscht somit ab jetzt, bis auf Weiteres, strikte Ausgangssperre!"
Sheriff Hopper übergibt dem Direktor wieder das Wort.
"Für Alle, die über dieses tragische Ereignis sprechen wollen, steht Ihnen unser Vertrauenslehrer Mr. Delfino zur Verfügung! Zögern Sie bitte nicht, ihn aufzusuchen! Desweiteren wird heute Nachmittag ab 17 Uhr eine Mahnwache auf dem Sportplatz stattfinden!"
Er fährt sich über sein Toupet und räuspert sich.
"Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Bitte verlassen Sie die Turnhalle ruhig und  geordnet!"
Für einen kurzen Moment rührt sich Niemand.
Dann bricht die Hölle los.

Ich renne den Schulflur entlang, drängle mich an den Schülern vorbei, stolpere, remple, werde angerempelt, werde jedoch nicht langsamer.
Der Atem des Teufels ist dem alles überschattenden Gefühl der aufkommenden Panik gewichen und ich habe nur noch einen Gedanken in meinem Kopf.
Eddie!
Ich muss ihn finden!
Ich stemme die Flügeltüren zum Schulhof auf und zwänge mich hindurch.
Mein Herz hämmert gegen meinen Brustkorb und ich atme viel zu flach.
"Liv!",höre ich eine Stimme hinter mir, doch ich bleibe nicht stehen.
Eine Hand schließt sich um meinen Oberarm und zwingt mich, stehenzubleiben.
"Liv, warte! Ich muss mit dir reden!",flüstert Gareth und schaut sich nervös um.
"Komm mit!",fordert er mich auf und ich setze mich wie ferngesteuert in Bewegung.
Gareth biegt um eine Ecke und schaut sich verstohlen um, ehe er sich mir zuwendet.
"Eddie ist in Schwierigkeiten."
Seine Worte brennen sich in meinen Gehörgang.
"Wo ist er?!",presse ich hervor und meine Hand schnellt vor, packt Gareth unsanft am Kragen.
Er weicht nicht zurück, schüttelt mich nicht ab.
"Ich bringe dich zu ihm",sagt er stattdessen beschwichtigend und ich lasse langsam meine zitternden Hände sinken.

*Wordcount: 980

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