Kapitel 8 - Verbündete

80 9 6
                                    

~Robin~

Der Geruch von Staub, Schmutz und modriger Feuchtigkeit kriecht in meine Nase.
Ich rümpfe sie angewidert.
Vorsichtig öffne ich meine Augen und rechne damit, das ich in meinem Zimmer bin.
Umso irritierter bin ich, als ich feststelle, das ich stattdessen an einem, mir unbekannten Ort bin.
Und ich fühle mich seltsam müde und kraftlos.
In meinem Kopf pocht es schmerzhaft.
Vorsichtig versuche ich meine Glieder zu bewegen.
Oh Shit.
Das sieht nicht gut aus für mich.
Ich bin an einen Stuhl gefesselt, mit Kabelbindern, so fühlt es sich jedenfalls an.
Sie schneiden mir schmerzhaft ins Fleisch.
Ich habe keinerlei Erinnerung daran, wie ich hier her gekommen bin.
Ich erinnere mich nur an einen stechenden Schmerz und dann war da Dunkelheit.
Meine Augen gewöhnen sich nach und nach an das schummrige Licht, das meine Umgebung nur notdürftig ausleuchtet.
Ich sitze auf einem Stuhl, der in einem Raum mit riesigen Generatoren steht.
Nur ein schmaler Gang trennt jeweils drei Maschinen gegenüberliegend voneinander.
Ich und mein Stuhl befinden uns am Ende des Raumes. Gegenüber, am anderen Ende, sehe ich eine schwere Stahltür. Sie ist geschlossen.
Und selbst wenn sie sperrangelweit aufgestanden hätte, hätte es mir rein gar nichts genützt.
Denn neben meinen Handgelenken sind auch meine Fußgelenke an den Stuhl gefesselt.
Ganz toll.
Ich sitze hier fest.
Das ist so typisch für mich.
Ständig bringe ich mich selbst in völlig bescheuerte Situationen.
So wie diese.
Nur, das diese weitaus bedrohlicher wirkt, als die bisherigen.
Nicht, das ich schon einmal an einen Stuhl gefesselt gewesen wäre.
Das ist nichts alltägliches für mich.
Angst zu haben allerdings schon.
Eigentlich habe ich immer Angst.
Vor meinen Mitmenschen, vor mir selbst.
Davor, für den Rest meines Lebens allein zu sein, weil ich keine Partnerin finde.
Und das nur, weil mir der Mut fehlt, Frauen anzusprechen.
Eben aus Angst, einen Korb zu bekommen und dann auch noch für meine Sexualität angeprangert zu werden.
So wie damals, in der 8. Klasse, als Lisa May Collins in Gegenwart der halben Schule auf mich gezeigt und mich ausgelacht hat, weil ich sie um ein Date gebeten hatte.
Und wenn ich hier nicht herauskomme, dann werde ich diese Angst auch nie überwinden können.
Langsam, wie ein hungriges Raubtier, schleicht sich Panik in meinen Geist.
Ich muss mich zusammenreißen!
Die erste Frage, die mir in den Sinn kommt lautet: Wo bin ich?!
Ich schaue mich in Raum um.
Die Generatoren sehen alt aus.
Sehr alt.
So als wäre ihr Betrieb bereits vor mindestens einem Jahrzehnt eingestellt worden.
Der Betonboden ist schmutzig, mit Staub bedeckt.
Vereinzelt mache ich blasse Schuhabrücke aus.
Die Luft riecht abgestanden, feucht.
In meinem Geist gehe ich all die Orte in und um Hawkins durch, die zu meiner Umgebung passen könnten.
Eigentlich kommt nur ein Ort in Frage.
Die alte Fabrikanlage außerhalb der Stadt.
Dort bin ich also.
Okay, das ist ein Anfang.
Die nächste Frage zu beantworten, wird deutlich schwieriger sein.
Wie bin ich hier her gekommen?!
Ich war mit Steve vor Livs Haus.
Steve ging, um einen besseren Platz zu suchen.
Und dann explodierte dieser ohnmachtserzeugende Schmerz in meinem Kopf.
Das ist alles, woran ich mich erinnern kann.
Das führt mich zu nächsten Frage:
Wer hat mich hier her gebracht?!
Leider fällt es mir sehr viel leichter, darauf eine Antwort zu finden.
Nur eine Person kommt in Frage, die mich bewusstlos schlagen und an einen abgelegen Ort bringen würde.
Livs Stalker.
Jasons Mörder.
Das macht meine Lage noch viel misslicher.
Und auswegloser.
Die Panik breitet sich immer weiter in meinem Geist aus, infiltriert ihn Stück für Stück.
Es fällt mir zusehends schwerer, einen klaren Gedanken zu fassen.
Wenn ich hier raus will, muss ich aber bei klarem Verstand bleiben.
Die Panik darf nicht die Überhand gewinnen.
Ich schließe meine Augen und konzentriere mich auf meine Atmung.
Sie geht viel zu flach.
Ich zwinge mich, ruhig ein und auszuatmen.
Mein Pulsschlag beruhigt sich nach und nach.
Doch er fährt sofort wieder in schwindelnde Höhen, als ein lautes Quietschen mich erschrocken meine Augen aufschlagen lässt.
Die schwere Stahltür mir gegenüber öffnet sich langsam und schwerfällig.
Ich atme erleichtert aus, als Gareth seinen Kopf durch die Tür steckt.
"Gareth! Oh mein Gott! Ich hab mich noch nie so gefreut, dich zu sehen, wie jetzt!",stoße ich mit einem langgezogenen Seufzer aus.
"Robin! Ach du scheiße! Was machst du denn hier?!"
Gareth schiebt, scheinbar unter großer Anstrengung, die Stahltür weiter auf.
Er sieht sich suchend um und scheint dann fündig zu werden.
Mit seinem Fuß zieht er sich einen Backstein heran und schiebt ihn zwischen Tür und Angel.
Zufrieden nickend lehnt er die Tür dagegen.
Dann dreht er sich zu mir herum und reißt erschrocken die Augen auf.
"Wieso bist du gefesselt?!",entfährt es ihm fassungslos und ich gebe einen spöttischen Laut von mir.
"Das ist in meiner Szene so üblich",sage ich sarkastisch und schnaube dann, "Was denkst du denn, du Genie?!"
"Ist das ein Spiel oder so?"
Ich starre Gareth ungläubig an.
"Ist das dein Ernst?!",erwidere ich empört und Gareth zuckt kaum merklich zusammen.
"Sorry, mein Gehirn versucht eine logische Erklärung hierfür zu finden."
Ich atme hörbar aus.
"Schon gut. Könntest du mich trotzdem losmachen, bitte?"
"Oh, klar! Ehm..."
Gareth lässt erneut suchend seinen Blick streifen, während er mit seinen Händen seine Taschen abtastet.
Dann greift er in seine Jackentasche und zieht ein Taschenmesser heraus.
Er hält es triumphierend in die Höhe und grinst.
Ich ziehe misstrauisch meine Augenbrauen in die Höhe.
"Wieso hast du ein Taschenmesser bei dir?"frage ich und Gareth zuckt mit den Schultern.
"Find's irgendwie cool",sagt er und schaut dabei auf seine Schuhe.
"Oookay...",erwidere ich skeptisch und bedeute ihm dann mit dem Kopf, das zu tun, worum ich ihn gebeten habe.
Mich endlich von meinen Fesseln zu befreien!
"Würdest du dann...?",füge ich hinzu, als ich in Gareth verständnislose Augen blicken.
"Klar, klar !",ruft er und stürzt hektisch auf mich zu.
Seine Hände zittern, als er die Klinge des Taschenmessers unter den Kabelbinder an meinem linken Handgelenk schiebt.
"Schneid mich bitte nicht, wenn's geht",sage ich beinahe ängstlich.
"Mach ich nicht",sagt Gareth selbstsicher und mit einem hörbar nachhallenden Ratschen reißt der erste Kabelbinder. Kurz darauf folgen auch die restlichen und ich bin endlich frei.
Ich reibe mir mit schmerzverzerrtem Gesicht die Handgelenke.
Die Haut ist stellenweise aufgeschürft und brennt wie Feuer.
Ich amte zitternd aus.
"Was machst du eigentlich hier?"frage ich Gareth, der sich gerade aus der Hocke erhebt und das Taschenmesser wieder in seiner Jackentasche verschwinden lässt.
"Ich wollte zu Liv um mit ihr über...",er macht eine kurze Pause, scheint verunsichert, wie viel er mir sagen will.
"Etwas zu reden."fährt er fort und weicht meinem Blick aus.
"Als ich ankam stand Steves Wagen in der Einfahrt und er und Liv verließen gerade das Haus. Er zog sie hinter sich her. Und Liv sah beinahe verängstigt aus. Das kam mir irgendwie komisch vor, also bin ich den beiden hier her zur alten Fabrikanlage gefolgt. Aber in der großen Halle hab ich sie verloren und mich verlaufen. Zu deinem Glück!"
Gareth beendet schüchtern lächelnd seinen Monolog und ich presse meine Lippen aufeinander.
"Steve hat Liv hierher gebracht?!"
Die Worte kommen kaum über meine Lippen, klingen wie ein Flüstern.
Gareth nickt energisch.
"Kommt mir auch komisch vor! Und nach der Sache mit der Trophäe...",er reißt erschrocken seine Augen auf und sieht mich schuldbewusst an.
Ich hebe erstaunt meine Augenbrauen.
"Trophäe?"
Ich erhebe mich vom Stuhl und stehe nun Gareth gegenüber. Uns trennen weniger als zwei Schritte.
Gareth wirkt plötzlich sehr nervös. Er beginnt, von einem Fuß auf den anderen zu treten.
"Ich weiß nicht, ob ich dir davon erzählen soll. Ich habe Liv versprochen, nichts zu sagen."
Ich runzle meine Stirn.
"Weißt du von dem Stalker?",spreche ich aus, was mir in den Sinn kommt.
Gareth wirkt erstaunt.
Dann legt auch seine Stirn sich in Falten.
"Ja, ich weiß mehr, als mir lieb ist."
Ich kann sehen, das ihn das Ganze sehr belastet.
Und ich kann es so gut verstehen.
Wir haben einen Mörder herausgefordert und jetzt sitzen wir in seiner Falle.
Gareth auch noch versehentlich.
"Tja, da haben wir wohl was gemeinsam",erwidere ich tonlos.
"Warst du deswegen hier gefesselt?"fragt Gareth.
Ich hebe vielsagend meine Augenbrauen und ahme mit ausgestrecktem Arm eine Glocke nach.
"Ding, Ding, Ding! Jackpot!"
Er verdreht die Augen, dann weiten sie sich plötzlich.
"Scheiße nochmal, ist der Typ etwa hier?!"
"Ja, Gareth, vermutlich ist er das! Und so, wie es aussieht, kennen wir ihn...",meine Stimme bricht bei den letzten Worten.
Die Erkenntnis hat mich bereits vor Minuten wie ein Schlag getroffen.
Steve hat Liv hierher gebracht.
Es gibt keine andere Erklärung dafür.
"Es ist Steve."
Gareth atmet hörbar aus.
"Und er hat Liv."

*Wordcount: 1453

"Make him pay!"Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt