Kapitel 4.7

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~Liv~

Tränen ändern nichts. Taten schon.
Ich beobachte Steve, wie er gerade eine vierköpfige Gruppe Barbies bedient. Er gibt sich alle Mühe, seinen Charme spielen zu lassen.
Erfolglos, wie es scheint, denn die Mädels ziehen kichernd von dannen.
Robin, die sich aus dem Hinterzimmer in die Durchreiche lehnt, holt eine Tafel hervor.
Auf der einen Seite steht You rule und auf der anderen You suck.
Sie zückt triumphierend einen Stift und malt einen Strich auf die You suck Seite. Er gesellt sich zu sechs weiteren Strichen.
Ich schmunzle.
Steve beginnt, wild gestikulierend, zu widersprechen.
Ich gehe auf den Tresen zu und lasse meine flache Hand auf die Klingel niedersausen.
Ein glockenheller Ton erklingt und ich erlange die ungeteilte Aufmerksamkeit der beiden Streithähne.
"Liv!",ruft Steve freudig und lehnt sich auf den Tresen, "Freut mich, dich zu sehen! Einmal Gratis Eis, kommt sofort!"
Er wendet sich der Kühlung zu und greift nach einer Eiswaffel.
"Oh nein, danke!",sage ich schnell.
"Ich bin nicht wegen dem Eis hier."
Steve runzelt erstaunt die Stirn und Robin lehnt sich neugierig ein Stück weiter vor.
Die Tafel noch immer in den Händen.
Ich lehne mich ebenfalls etwas vor, lege meine Ellenbogen auf dem Tresen ab.
Steves Gesicht ist nur wenige Zentimeter von meinem entfernt und ich werfe rasch einen prüfenden Blick über meine Schulter.
Das, was ich jetzt sagen werde, ist nicht für fremde Ohren bestimmt.
"Ich brauche eine Waffe",sage ich tonlos und Steve reißt die Augen auf.
"Und da kommst du zu mir?!",fragt er irrtiert.
"Dein Dad hat doch einen Faible für Waffen, oder nicht?",frage ich ungeduldig.
"Ja schon, aber...",stottert Steve und versucht meinem stechenden Blick auszuweichen.
"Kannst du mir eine besorgen oder nicht?!"
"Natürlich nicht! Hast du sie noch alle?! Was willst du überhaupt damit?"
Ich zucke mit den Schultern.
"Auf Dosen schießen. Kleine Auffrischung, sozusagen."
Ich trommle ungeduldig mit den Fingern auf dem Tresen.
"Bitte Steve, es ist wichtig",sage ich mit Nachdruck, doch er schüttelt energisch den Kopf.
"Vergiss es. Was auch immer du vor hast, ich lasse mich da nicht mit reinziehen",sagt er und hebt abwehrend die Hände.
Meine flache Hand knallt auf den Tresen und ich richte mich auf.
Verdammt.
Robin schnalzt mit der Zunge und stellt die Tafel beiseite.
Dann deutet sie mit dem Kopf zur Tür des Hinterzimmers.
Ich werfe Steve einen vielsagenden Blick zu und stehle mich an ihm vorbei zum Hinterzimmer.
"Buckley, ich warne dich! Mach keine Dummheiten!",sagt Steve und wendet sich dann einer Mutter mit Kind zu, die gerade auf die Eisbar zusteuern.
Ich schließe die Tür hinter mir und Robin schiebt die Durchreiche zu.
Sie verschränkt die Arme vor der Brust und beäugt mich besorgt.
"Du siehst ziemlich fertig aus, Stroud. Ist alles in Ordnung?",fragt sie.
"Ja, alles Bestens",sage ich ausdruckslos und deute auf die Tafel.
"Steves beeindruckende Erfolgsbilanz?",frage ich sarkastisch und Robin täschelt die Tafel, als sei sie ihr Heiligstes.
"Jup. Vielleicht öffnet ihm das ja die Augen! Und es macht das Ganze etwas erträglicher. Es ist wirklich nicht sehr schön, Steve dabei zuzusehen, wie er sich einen Korb nach dem Anderen abholt",sagt sie grinsend und balanciert den Stift zwischen ihren Fingern.
"Von dir hat er allerdings noch keinen Korb bekommen. Sieht so aus, als würde er einen Punkt bekommen",sagt sie und zieht einen Strich auf der You rule Seite.
"Kein Interesse",sage ich knapp und lasse mich auf einen der beiden Klappstühle nieder, die an dem mausgrauen Tisch stehen.
"Du weißt nicht zufällig, wo ich eine Waffe herbekomme?", frage ich ohne weitere Umschweife.
Robin zieht die Stirn in Falten und klemmt den Stift in die Halterung an der Tafel, ehe sie sich mir gegenüber auf den Stuhl fallen lässt.
Sie seufzt.
"Wozu brauchst du eine Waffe, Liv?",will sie wissen.
"Ich sagte doch schon, ich..."
"Erzähl keinen Quatsch! Damit kannst du vielleicht Klein-Steve täuschen aber mich sicher nicht. Auf Dosen schießen, na klar! Und ich bin der Papst!"
Mein Kiefer mahlt und ich senke den Blick.
"Schön!",zische ich widerwillig und schnaube.
"Ich muss mich schützen."
"Wovor?"
"Nicht so wichtig."
"Wichtig genug, um deine Freunde ungeniert nach einer Waffe zu fragen."
Ich schaue auf.
Freunde?
Ich habe Robin und Steve bisher unter der Kategorie: Bekannte, die ich gut leiden kann abgespeichert, aber es freut mich, das Robin mich zu ihren Freunden zählt.
"Ich kann es dir nicht sagen",sage ich und Robin lacht auf.
"Wieso? Müsstest du mich dann töten?"
Nein. Aber vielleicht tut er es, denke ich.
"So ungefähr",erwidere ich.
Robin lehnt sich im Stuhl zurück und er knarzt leise unter der Last.
Sie scheint einen Moment zu überlegen, denn auf ihrer Stirn bildet sich eine Falte.
"Sagst du es mir, wenn ich dir verspreche, dir eine Waffe zu besorgen?",fragt sie und ich beiße mir auf die Unterlippe.
Ich sehe sie schweigend an.
"Gut, dann also nicht!",sagt sie und erhebt sich.
Plötzlich hält sie inne und sieht mich an.
"Du hast aber nicht Jason entführt und hast vor ihn zu töten, weil du denkst, er hat Chrissy auf dem Gewissen, oder?!"
Ich starre sie erschrocken an.
Ich kann spüren, wie mir die Farbe aus dem Gesicht weicht.
Robins Gesichtsausdruck verändert sich schlagartig.
"Scheiße...verarschst du mich?!",ruft sie fassungslos und ich schüttle schnell den Kopf.
"Was?? Nein! Ich...wovon redest du überhaupt?!",stolpere ich über meine eigenen Worte.
"Jason ist verschwunden! Seit der Halloweenparty hat ihn Niemand mehr gesehen und dann tauchst du plötzlich bei Scoops Ahoy auf und fragst Steve, und mich, nach einer Waffe! Davon rede ich!",plappert Robin aufgebracht drauf los.
"Ich wusste nicht einmal, das er vermisst wird!",rechtfertige ich mich.
"Ehrlich, Robin! Ich hab nichts damit zu tun!"
Sie anzulügen fällt mir schwer, doch ihr die Wahrheit zu sagen, das Jason längst tot ist, würde mir noch schwerer fallen.
Also entscheide ich mich für die Lüge.
"Dann sag mir jetzt, wofür du die scheiß Waffe brauchst!",fährt sie mich an.
"Ich habe einen Stalker!",platzt es aus mir heraus und Robins Augen weiten sich.
"Ernsthaft?"
Ich nicke.
Sie lässt sich wieder auf den Stuhl fallen.
"So richtig?! Ich meine, verfolgt er dich und so'n Scheiß?"
Ich nicke erneut.
"Okay, das ist krass. Warum gehst du nicht zu Polizei?"
"Die unternehmen sowieso nichts. Nicht ehe etwas Schlimmes passiert ist",sage ich und es entspricht sogar der Wahrheit.
Stalker lassen sich nur schwer belangen, solange sie Niemanden verletzen.
Natürlich muss meiner ein kaltblütiger Mörder sein, der dem einzigen Menschen, der mir alles bedeutet, einen Mord in die Schuhe schieben will.
Was es unmöglich macht, zur Polizei zu gehen.
Nach der Begegnung der letzten Nacht habe ich mich dazu entschieden, nicht länger das Opfer sein zu wollen.
Soll er doch kommen.
Ich werde vorbereitet sein.
Mit oder ohne Robins Hilfe.
"Also schön, ich helfe dir",sagt Robin und ich sehe überrascht von meinen Händen auf.
"Ehrlich?"
"Ja. Aber du musst mir versprechen, keine Dummheiten zu machen, okay?"
"Versprochen",sage ich und schon jetzt macht sich Erleichterung in mir breit.
Ich werde sehr viel ruhiger schlafen mit einer Waffe unter meinem Kopfkissen.
Und vielleicht, mit etwas Glück, bekomme ich sogar die Chance, sie zu benutzen und mich endlich von ihm zu befreien.

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