Ein Tag im Leben einer Meeresschildkröte

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Es ist an der Zeit.
Ich spüre es. Wie wir es immer vorwittern können. Jede für sich. Im Inneren und doch ist da auch mehr. Es ist ein Ruf, der von weit weg durch jede Stromschnelle zu mir schallt. Ich werde erwartet.

Magische Wellen.
Es sind nicht die, welche beständig durch mich fließen. Nicht die, gegen die ich öfter ankämpfen muss, um auf meinem Weg zu bleiben oder die, auf denen ich mich gleiten lassen kann. Nein, auch wenn all diese genauso ihren Reiz haben ... Oh ja ... Wie sie mich an diesen funkelnden Schwärmen anderer vorbeiziehen oder die Ungeheuer – zum Glück bisher von weiter weg – betrachten lassen. All jene sind mystisch und fesselnd. Doch diese, die mich heimrufen, sind noch einmal ein Tropfen magischer.

Es wird schwerer.
Noch einmal paddel ich gegen die Wirbel hinauf, bevor ich meine letzte Etappe von etwa siebzig Seemeilen einläuten lassen kann. Nachdem ich die Linie zwischen den Blautönen durchbreche, schnappe ich nach genügend Luft, die mir die nötige Energie in meinen Körper zuströmen lässt. Dann tauche ich wieder hinab und bin bereit. Bereit, mich meinem Ruf zu widmen. Sowie meine Gefährtinnen. Meine Bewegungen der fließenden Welt anpassend bin ich eins mit ihr.

Es ist Zeit.
Jede Bewegung erfordert mehr Konzentration und Achtsamkeit. Zurückkehren. Es ist wie nach Hause kommen. Nach einer langen Zeit. Doch wir wissen immer, wo es hingeht. Wir folgen unserer Route durch die Schluchten des Meeres, vorbei an den leuchtenden Korallen, an denen wir gerne Halt machen. Sie geben uns Sicherheit und Nahrung und wir halten sie rein, indem wir uns an den Schwämmen, die sie zunichtemachen würden, laben. Obwohl ich gerade mein Leibgericht bevorzugen würde ... Mmh ... Ich würde meinen Panzer für die labbrige Speise geben. Andererseits, wenn ich an meine Gefährtin denken muss ... Sie schwamm zu dem durchsichtigen, flackernden Ungetüm an der Oberfläche hin, schnappte zu und ich konnte spüren, dass es anders war. Es war kein Fadenwesen, es war etwas von den Ungeheuern ... Was es auch war ... meine Gefährtin ist nicht mehr an unserer Seite.

Wir ziehen weiter.
Der Ruf wird lauter, durchdringender. Es ist fast geschafft. Das Wasser hüllt mich warm ein, wird mir mehr und mehr vertrauter. Auf eine Art und Weise, dass ich mich geborgen fühle. Gleich bin ich da. Wartend auf das Schwarz von oben steige ich mit der Sicherheit des Dunklen empor und stoppe kurz, damit meine Lungen sich befüllen können. Während ich bedacht den Weg entlang krieche, lasse ich meine Flossen den Sand spüren, um mich erneut an den Grund zu gewöhnen. Sobald ich die erste richtige Stelle gefunden habe, grabe ich schnell ein Loch und lasse meine Kleinen hinab und schütte das Loch wieder zu. Immer wieder schaue ich mich um, ob eine Gefahr irgendwo lauert. An drei anderen Stellen wiederhole ich das.

Als ich mir gewiss bin, dass zumindest für diesen Moment keine Gefahr besteht, wende ich mich und folge meinem neuen Ruf.

Dem Ruf des Meeres.  


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3.Platz beim Animal Short Award von _MaliaFox_

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