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JANE

Aufgelöst stehe ich am nächsten Morgen in meiner Wohnung und betrachte den Batzen Geld in meiner Hand. Ich muss ihn gleich abgeben, und doch fehlen fast tausend Pfund, mit denen ich mein Insulin gekauft habe. Die Angst, was sie tun werden, sobald sie erfahren das ich ihnen nicht alles wiedergegeben habe, ist groß. Sie wissen mit Sicherheit, wo ich wohne, für Menschen wie sie ist das nicht schwer herauszubekommen. Mit ein bisschen Geld geht alles. Besonders vor dem schweigsamen graut es mir. Er ist stets ein stiller Beobachter, und ich glaube, dass er sich bereits vor Wochen eine Meinung über mich gebildet hat. Gestern war er nicht gerade sanft und hat einige unschöne Flecken auf meiner Haut hinterlassen. Meine Oberarme sind mit seinen groben Griffen regelrecht in bunten Farben bepinselt wurden.
Ich muss mich schrecklich zusammenreißen, das Hotel überhaupt aufzusuchen. Es kostet mich jegliche Überwindung mir meinen dünnen Mantel und die Schuhe überzuziehen, das Geld in meine alte Tasche zu stopfen und meine Wohnung zu verlassen, anstatt mich in meinem kalten Bett zu verkriechen und zu beten, dass sie nie herausfinden werden, wo ich wohne. Denn das werden sie sicher.

Beißend kriecht dir Kälte in die Ärmel meines Mantels und frisst sich bis in meine Knochen. Mein Atem steigt rauchend in die Winterluft auf und lässt kein Zweifel daran, wie kalt es sein muss. In London wird es langsam Winter, die Tage kürzer und Nächte länger. Mein Schädel brummt, wenn ich dran denke, dass ich bald nicht mehr genug Geld für die Miete, geschweige denn meine Medikamente habe. Im Pink Safari habe ich mich noch nicht gemeldet und auch Maura nichts davon erzählt. Seit unserem letzten Treffen am vergangenen Wochenende haben wir nicht mehr viel getextet. Anscheinend ist viel los zurzeit und sie hat kaum Zeit. Ich nehme es ihr nicht übel, schließlich war ich die, die sie dort allein ließ. Was Billy wohl dazu sagen würde, wenn ich wiederkomme? Sicher würde er mich zuerst spüren lassen, was er davon hält das ich einfach so verschwunden bin. Ich will es mir nicht ausmalen.
Mein Herz stolpert nur noch wie das eines Herzkranken, als ich aus der U-Bahn komme und die Treppen ins freie hinaufsteige. Die Rolltreppe kann ich heute nicht nehmen, vermutlich würde ich umkippen und sterben, sollte ich noch eine Sekunde länger auf einem Fleckchen stehen müssen. Meine Nervosität steigt ins Unermessliche und ich habe das Gefühl, meinen Blutzuckerspiegel gerade mächtig in den Keller zu treiben. Gott, hoffentlich bekomme ich nicht den nächsten Schock.
Im Foyer des luxuriösen McLeod Hotels starren mich die Menschen schief an, schon wie ein paar Tage zuvor. Ich falle auf wie ein bunter Hund unter den reichen Gästen. Zwischen Prada, Armani und Gucci sind der Mantel, die alte Tasche, Schuhe und Jeans wie ein Clown im Zirkus. So absurd, dass es nicht in ihre Welt passt, was sie mich mit ihren Blicken spüren lassen.

Räuspernd krame ich am Empfang den weißen zerknitterten Umschlag hervor und schiebe ihn diskret über den polierten Holztresen, noch bevor der Portier seinen Spruch aufsagen kann. »Willkommen im McLeod Hotel, wie darf ich ihnen heute behilflich sein?«
»Würden Sie das an Mr McLeod weiterreichen?«, bitte ich den schlaksigen Angestellten. Auf seinem polierten Namenschildchen steht Daniel geschrieben. Daniel beäugt den Umschlag unter meiner Hand kritisch und mustert mich anschließend mit faltiger Stirn. »Ms Smith«, spricht er schließlich und hebt seine behandschuhte Hand, »Mr McLeod erwartet sie bereits in seinem Büro.«
Meine Augen werden größer.
»Büro? Nein, nein, können sie ihm das einfach geben, ja? Ich muss-«
Ein Räuspern hinter mir lässt mich aufschrecken. Ein blonder Mann mit eisernen Mine steht hinter mir und deutet mit einer Hand auf den Fahrstuhl. Er trägt dasselbe Kostüm wie der Portier, doch an ihm wirkt es mächtiger. Er ist sicher keiner von denen, die hier Koffer trägt oder Zimmer für Gäste bucht. Nein, würde er diesen Anzug nicht tragen, würde ich ihn glatt für einen Türsteher halten.
»Mr McLeod erwartet sie bereits. Ich werde sie nach oben begleiten«, wiederholt er die Worte von Daniel. Schluckend packe ich den Umschlag wieder weg und nicke mit klopfendem Herzen. Je näher wir dem Fahrstuhl kommen, desto enger schnürt sich das imaginäre Seil um meinen Hals zu. Meine Kehle ist staubtrocken so wie die Sahara, mein Herz rast als hätte ich ganz London zu Fuß durchquert. Mir wird schwindelig als der vergoldete Aufzug sich in Bewegung setzt und nach oben rauscht. Gott, bitte hab Erbarmen mit mir...
Ich befürchte das schlimmste.

Kings of London | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt