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JANE

»Du erinnerst mich an mein jüngeres ich. Jedes Mal, wenn ich dich sehe, dich rieche, oder auch nur in meiner Nähe spüre, muss ich an damals denken. Wie du im Flur saßt und geweint hast. Daran wie du auf meinem Sofa schliefst, an die blau geschlagenen Augen und die zerrissene alte Kleidung. An den Schmerz in deinen Augen, als ich deine Wunden gesäubert habe. An den Jungen, der sich unter der Treppe versteckt hat, weil sein Vater ihn mit dem Gürtel verprügelt hat, bis er auf einem Auge für Wochen blind war.«
Mein Herz setzt aus, wenn ich an seine letzten Worte denke. Er meint sich. Er ist der kleine Junge unter der Treppe. Er war es. Es war Sawyer.
Er schnauft. »Weißt du wie oft ich ihn angefleht habe aufzuhören? Wie oft ich nach meiner Mutter geschrien habe aber wusste, sie würde nicht kommen, weil er sie davor bewusstlos geschlagen hatte? Weil er sie mit Alkohol und Medikamenten ruhigstellte und sich mitten in der Nacht in das Zimmer seines Sohnes schlich, weil er darauf stand kleine Jungs zu ficken? Wie er mich angefasst hat und-«
Sawyer schnappt nach Luft und kneift die Augen zusammen. Seine Fäusten stehen inzwischen so unter Spannung, dass sich der weiße Verband bereits auf beiden Seiten rötlich färbt, da seine Wunden gerade wieder neu aufplatzen, während er mir erzählt, wie sein Vater sich an ihm verging, als er ein Kind war. Ein kleines unschuldiges Kind.

»Sawyer!«, stoße ich entsetzt hervor und schließe meine Finger schnell um die seine, um sie zu lösen. Er blutet verdammt. »Komm schon, lass locker«, wispere ich überfordert und ziehe sie hinauf zu mir. Kurzerhand schiebe ich mich selbst auf seinen Schoß und schlinge meine Arme so fest ich kann um seinen Hals. Meine eigenen Schmerzen ignoriere ich dabei, obwohl sie mich lähmen. Er atmet schwer, sein Körper angespannt und verkrampft wie nie zuvor. Er hadert mit sich, ich fühle sein trommelndes Herz an meiner Brust. Es rast unaufhörlich als könne es jeden Moment stehenbleiben. Schluchzend schlinge ich meine Arme fester und fester um seinen Nacken und weine leise an seine Halsbeuge. Meine Tränen tränken sein Shirt, aber das könnte mir im Moment nicht egaler sein. Mein Herz ist gebrochen. Es liegt für ihn in Trümmern, ist irreparabel geschädigt. Die Wucht, mit der mich seine Worte getroffen haben, raubt mir fast die Luft zum Atmen.
»Er hat...«, seine Stimme bricht erneut. Kurz glaube ich, dass er mich gleich mit enormer Wucht von sich stößt, aber als seine Arme sich plötzlich kräftig um meinen Rücken schlingen und er sein Gesicht an meine Schultern presst, seinen bebenden Körper an meinem spüre, weiß ich, dass ich seine Mauer gebrochen habe. Er hat mir gerade den echten Sawyer gezeigt. Den verletzlichen, kleinen Sawyer der so viel Leid ertragen musste. Und ich verstehe es. Ich verstehe, wieso er mich ignoriert hat, mir diese Dinge an den Kopf warf und vorgab mich zu hassen. Weil es einfacher war als zu erklären was wirklich in ihm vorging. Weil ich ihn an sich selbst erinnert habe. Eine Version von sich, von der er selbst gewünscht hätte, dass es sie nie gegeben hätte.
Ich fühle seinen Herzschlag, seinen Atem, die Stärke, mit der er mich hält, als wäre ich sein Rettungsanker an den er sich klammert, um nicht in seinen Gefühlen zu ertrinken. Und ich kann nichts tun, als für ihn da zu sein.
Mit geschlossenen Augen lehne ich meinen Kopf gegen seinen und lege meine Hand in seine Haare. »Es tut mir so leid Sawyer, alles davon. Ich wünschte dir wäre das nie passiert«, wispere ich zerbrochen in sein Ohr, »ich wünschte jemand wäre für dich da gewesen.«

Ich gebe ihm alle Zeit der Welt, sitze auf seinem Schoß und halte die Augen geschlossen, bis seine Arme sich nach über einer halben Stunde langsam lockern und er das Gesicht aus meiner Halsbeuge hebt. Die wenigen Tränen, die er vergossen hat, längst getrocknet, seine Mine am Boden zerstört. Die leere in seinen Augen macht mir Angst. Ungefiltert erlaubt er es mir in seine Seele zu blicken, tief in sein Bewusstsein, wie es vermutlich nur eine Handvoll Menschen vor mir durften. Und ich genieße jeden Augenblick davon, ihn zu sehen. Nicht die Mauer die ihn umgibt. Zärtlich streichelt meine Hand seine erhitzte Wange entlang, bis seine Augen zufallen und er tief durchatmend in meine Handfläche sinkt. »Danke«, hauche ich ihm entgegen und komme ihm näher, »das, was dir widerfahren ist, macht dich nicht aus. Du bist viel mehr als das, Saw. So viel mehr. Du hast James, für den du nicht nur sein bester Freund, sondern auch sein Bruder bist. Und du hast ... mich. Jede Faser meines Körpers gehört dir. Ich bin für dich da, James ist das, wir beide sind das«, fahre ich wispernd fort. Ich wünschte nur, er würde dies verstehen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht öffnet er seine Augen und schaut mich dicht vor sich an. Ich spüre seinen heißen Atem auf meinen Lippen, seine glühende Hand an meiner Wange und den Daumen an dem Pflaster an meiner Stirn. So viel Schmerz und Trauer liegt in seinem Ausdruck, und doch ist dort dieses kleine Funkeln, welches er nie verloren hat.
»Alles nur meine Schuld«, kommentiert er meine Wunden. Ich schüttle sofort meinen Kopf und umschließe sein Gesicht mit beiden Händen. »Nein, nein, es ist nicht deine Schuld. Du hast mich gerettet«, lächle ich traurig und schaue ihm tief in die Augen. Er ist so gebrochen und doch so wunderschön. Die Art mit der er mich anschaut, unbeschreiblich. »Du hast mir das Leben gerettet Sawyer und das werde ich nie vergessen«, hauche ich dicht vor seine Lippen. Sein Duft, seine Wärme, seine Präsenz. All das benebelt meine Sinne. Und plötzlich sind da seine Lippen, die auf meine Treffen und ein buntes Feuerwerk in mir explodieren lassen. So warm und weich, dass der lähmende Schmerz in meinem Körper sich verflüchtigt und Glückshormone den Rest übernehmen. Ich fühle mich geheilt, erlöst von all den plagenden schmerzen und sorgen. Gelöst von meinem alten Leben. Ich fühle mich frei, obwohl er mich festhält, als hätte er Angst ich würde mich in Luft auflösen. Es ist nur ein Kuss, aber ich spüre deutlich, wie er jeden Millimeter meines Herzens zusammenflickt.

Ich weiß nicht wie viel Zeit vergangen ist als wir uns voneinander lösen, um nach Luft zu schnappen. Mein Herz rast, Adrenalin strömt durch meine Adern und diesmal bin ich es, die den ersten Schritt wagt und meine Lippen erneut auf die seine presse. Stürmisch, erregt, ohne Zurückhaltung. In meiner Mitte hat sich ein warmes Ziepen breitgemacht, dass droht mich zu übermannen. Ich spüre, wie sein bestes Stück gegen die schwarze Jogginghose gegen meine Mitte drückt, er fühlt es also auch. Die unbändige Hitze in seinem inneren die auch mich erfasst hat. Ihm entflieht ein leises Stöhnen, als ich unbeabsichtigt über seinen Schoß rutsche, um näher an ihm zu sein. Um ihn zu spüren. Ich drehe fast durch. Dieser Kuss... er ... er raubt mir den Verstand. Unser erster Kuss treibt mich in den Wahnsinn und doch fühlt es sich so unglaublich vertraut an. Als wäre da schon immer etwas zwischen uns gewesen.

Stöhnend lege ich den Kopf in den Nacken als seine Lippen beginnen meinen Hals zu liebkosen und seine Hände sich den Weg unter den Saumen meines Kleides wagen. Verdammt...
Ohne viele Worte weiß ich genau, worauf das hinausläuft. Ich schiebe mich von ihm, will mich gerade erheben als er mich verwirrt aufhält und den Kopf schüttelt. »Was tust du?«, will er wissen.
»Dir den Rücken zudrehen, du ...«
»Nein«, erwidert er rau und zieht langt beherzt unter meinen Rock, um mir den Slip auszuziehen, »heute will ich dich anschauen.«
Überrascht über seine Worte lasse ich ihn gewähren und streife ihm seine Hose ab, während er sein Shirt loswird. Er rutscht ein Stück mehr aufs Bett, zieht mich zurück auf seinen Schoß und senkt seine Lippen erneut auf meine. Seine Hände liegen auf meinem Schoß, massieren mein Pobacken. Er presst meine Hüften gegen seine. Ohne groß darüber nachzudenken, greife ich seine Erektion und lasse meine Hand auf und ab gleiten. Immer wieder in gleichmäßigen festen Zügen. Er heißt mir spielerisch auf die Lippe, schiebt den Stoff meines Kleides zur Seite, leckt sanft über meinen Nippel, während er meine Hüften anhebt. Ihn nach all den letzten Wochen erneut in mir zu spüren, katapultiert mich in eine andere Realität. Ich schlinge meine Arme um seine Schultern, beginne meine Hüften sanft zu bewegen. »Sawyer«, keuche ich und schließe die Augen flatternd als er sich erneut meinem Hals widmet. »Sag es nochmal«, nuschelt er kehlig erregt, »meinen Namen.«
»Saw«, hauche ich kopflos, schlinge meine Arme fester um seinen Nacken. Er drückt sein Gesicht in meine Brüste, bewegt meine Hüften weiter mit seinen Händen. Mein Herz überschlägt sich innerlich, mein Kopf dröhnt, meine Lenden zucken glücklich. Der Schmerz in meinen Knochen ist für den Moment verflogen und die Lust überwiegt. Ich gebe mich dem sinnlichen Gefühl hin, welches er in mir auslöst, der prickelnden Lust und wallenden Hitze, die sich ihren Weg bahnt. Seinem Duft, der mir den Verstand raubt. Stockend atme ich in seine weichen Haare und kralle meine Finger in seinen Hinterkopf. Er stöhnt, gefolgt von mir. Unser Atem vermischt sich zwischen unsern Mündern, er küsst mich erneut. So leidenschaftlich und intensiv, dass ich endgültig, wie Butter in seinen Armen zerfließe und im gleichen Augenblick wie er komme. Ich reiße lechzend meine Lippen auf, drücke mein Becken tiefer auf seines, während ich mich dem rosaroten Strudel voller Lust hingebe und seine letzten Züge mich endgültig über die Klippe schmeißen. Gleich danach sacke ich in seinen Armen zusammen, nicht fortgestoßen von ihm. Er hält mich. Sawyer schlingt seine Arme um meinen Rücken und küsst meine Stirn sanft, bis die Wärme seines Körpers mich schläfriger macht und ich realisiere, was gerade geschehen ist. Er konnte mir nie in die Augen schauen, und nun das...
Habe ich es wirklich geschafft, über seine Mauer zu kommen? Tief einatmend sauge ich seinen Duft ein und schmiege mich an seinen schwitzigen Körper. Mein Kopf an seiner Brust drifte ich in einen ruhigen Schlaf ab, überwältigt vom heutigen Tag.

Kings of London | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt