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SAWYER

Der Alkohol in meinem Blut sollte ursprünglich meine Nerven beruhigen. Leider führte es nur dazu, dass ich an Dinge denke, an die ich nicht denken will. Die ich schon längst verdrängt hatte und die sich nun wieder vor meinem inneren Auge abspielen als wäre es gerade erst passiert. Ich fühle die Fäuste, die mein Gesicht treffen, die Wucht mit der mein kleiner Körper damals die spitze Ecke der Kommode getroffen hatte. Der Schmerz der folgte. Ich sehe sie vor mir, wie sie damals im Flur saß und weinte, wie zusammengekauert und verletzt sie war. Wie sie in meinem Pullover auf dem Sofa lag und der Schmerz so präsent auf ihrem Gesicht war. Wie ihre Augen...
Keuchend stütze ich mich mit nassen Händen am Waschbecken ab und lasse die Schultern hängen. Mir ist so unglaublich heiß und gleichzeitig so kalt wie nie zuvor. Wasser tropft von meinen Haaren und das Handtuch um meine Hüften lockert sich allmählich. Nicht mal die Dusche hat geholfen mich auf andere Gedanken zu bringen. Ich muss pausenlos an Sie denken.

Vorhin als sie im Boxclub plötzlich vor mir stand, sind mir die Sicherungen durchgebrannt. Ich habe Dinge gesagt, die sie verletzt haben. Dieser Blick, der in ihren Augen aufkeimte, er war derselbe den sie auch damals hatte, als sie mir gegenüber am Esstisch saß. Ich wusste nicht weiter. Sie sollte doch nur in der Kabine warten, während ich mir den Fight ansah. Ich hätte nicht ahnen können, dass die Russen wissen, wer sie ist. Nun bringen mich die Schuldgefühle fast um.
Ich will das nicht. Ich will nicht an sie denken und sie in mein Herz lassen, sondern sie von mir stoßen. Aber mein dummes Herz lässt nicht zu, sie zu hassen. Nicht mal verdrängen kann ich es noch.
Damals, als ich sie das erste Mal im Stripclub sah, wusste ich nicht, wer sie ist. Ich wusste es nicht als sie den Vertrag fürs Kingsley unterschrieb, erst als ich sie genauer betrachtete, fiel mir die Ähnlichkeit auf. Ich glaube nicht, dass sie sich noch daran erinnert. Nein, tut sie ganz sicher nicht. Sonst hätte sie etwas gesagt. Es ist schon Jahre her, dass wir Nachbarn waren. Nachdem ich James kennengelernt hatte und in Mykels Club Ausstieg, zog ich um. Das ist jetzt schon zirka zehn Jahre her. Die Zeit verfliegt wie im Flug. Wie alt sie damals war? Auf dem Vertrag, den wir mit ihr abschlossen, stand ihr Geburtsdatum. Jetzt ist sie Mitte zwanzig, also war sie damals kaum sechzehn. Ich würde zu gern wissen, was aus ihrer Crackmutter geworden ist. Vermutlich nichts.

Gott, all die Zeit über habe ich versucht sie von mir zu stoßen, ihr zu zeigen -oder sie zumindest glauben zu lassen- dass ich sie hasse, weil ich es nicht ertrug, sie anzusehen. Weil sie mich an meine Vergangenheit erinnert. An das, was ich nur vergessen will. Die Dinge, die mich zu dem gemacht haben, der ich nun bin. Ich ertrage es nicht dies nochmal durchzumachen. Nicht mal James wird es dieses Mal schaffen mich aus dem Loch voller Wut und Zorn herauszuziehen, was sich früher oder später auftuen wird. Er ist so überzeugt davon sie zu finden, dass er gerade mit Philipp und einigen der anderen spricht. Dabei ist es mitten in der Nacht. Müde trockne ich mich ab, ziehe mir frische Sachen an und verlasse das Badezimmer. Oberkörperfrei schmeiße ich mich in das überdimensionierte Bett, verschränke die Arme hinter dem Kopf und starre an die kahle Decke. Mondlicht scheint wegen des grauen Himmels kaum ins Zimmer. Schlafen kann ich sicher nicht. Dafür kreisen viel zu viele Gedanken in meinem Kopf herum.
Der Schmerz meines Kiefers lenkt mich ein bisschen ab, aber nur, weil ich merke, wie die Wirkung des Alkohols langsam nachlässt. Nachdenklich wende ich mein Gesicht dem nassen Fenster zu und beobachte, wie Blitze sich durch den Himmel ziehen. Es kracht laut, blitzt und stürmt, was nur mein Inneres widerspiegelt. Ich will mir nicht vorstellen, was die Russen mit Jane anstellen werden. Wie konnten sie überhaupt wissen, wer sie ist? Das alles ist ein verdammtes Rätsel, dass ich schleunigst klären muss.
James hat recht - Ja wir müssen sie wiederholen - aber nicht in einem Selbstmordkommando.
Wir arbeiten schon Wochen lang an einem Plan. Das darf uns nicht mal sie kaputt machen. Das Sergio nun wieder auf freiem Fuß ist mischt die Karten allerdings neu. Von Fergus haben wir erfahren das er sich bereits auf dem Weg nach London befindet und in den nächsten Stunden hier eintreffen wird. Ich weiß sicher, dass er nicht nur still rumsitzen wird, sondern etwas unternimmt. Wir müssen bereit sein uns zu verteidigen, wenn es so weit ist. Das wird es definitiv.

Kings of London | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt