14

3.5K 206 15
                                    

JANE

Rayna reicht mir einige Stunden später ein Glas Schnaps, bevor ich protestieren kann. »Nur zu, Trink schon«, fordert sie mich auf und hebt ihres lächelnd in die Luft. Skeptisch daran schnuppernd muss ich feststellen, dass es ein Martini ist. Ich weiß nicht...
Jetzt an den Spind zu gehen, um meinen Zucker zu messen wäre auffällig, und ich möchte nicht, dass mich jemand darauf anspricht, weil es immer aufs selbe hinausläuft. Jeder der davon weiß, begrenzt mich auf diese Krankheit. Danach sind die Menschen anders zu mir als sie es davor wahren. So ist es schon im Pink Palace gewesen. Die Frauen dort mochten mich danach noch weniger, und Maura war auch nur besorgt. Ich will nicht, dass sie in mir etwas sehen, was ich nicht bin. Ich bin nicht todkrank, sondern lebe also trinke ich einen großen Schluck des Martinis, bevor ich länger darüber nachdenken kann. Er schmeckt merkwürdigerweise besser als erwartet. »Nicht schlecht«, gebe ich zu und betrachte die kleine Weintraube darin. Wieso ist die so bitter?
»Willst du deine Olive nicht?«, fragt Rayna plötzlich nach und lässt mich die Augenbrauen heben.
O- was?
Kopfschüttelnd strecke ich ihr mein Glas entgegen und sehe zu, wie genüsslich sie sie verspeist. »Das Beste am Martini«, nuschelt sie seufzend mit vollem Mund und wirft den Zahnstocher zurück ins kegelförmige Glas. »Möchtest du noch einen?«
»Nein danke«, lehne ich ab, bevor sie das selbst in die Hand nimmt und zwei bestellt, »ich denke mir reicht es erstmal.« Ich spüre bereits, wie der Alkohol sich entfaltet und meinen Magen wärmt. Es ist ein schönes Gefühl, aber ich sollte besser vernünftig bleiben und nichts mehr trinken. Das Insulin war teuer und ich darf es nicht verschwenden, nur weil ich leichtsinnig war.
»Also«, meint die schwarzhaarige nach kurzer Zeit und nimmt mir mein Glas ab, stellt es auf meinen Tisch und fährt sich lässig durch die Haare. »Ich muss gleich auftreten, misch dich doch einfach unter die Gäste und bezirze sie ein bisschen. Du musst ja nicht gleich auf ihre Spielchen eingehen, ja? Ein zwei Lapdances und sie sind glücklich«, schlägt Rayna mir vor und zupft an meinem BH. Nickend folgen meine Augen ihren Fingern. Sie rückt den wenigen schwarzen Stoff zurecht und lächelt mir aufmunternd zu.

Unsere Wege trennen sich als sie auf die Bühne abbiegt und ich mich unter die Menschen mische. Die meisten Gäste sind große tätowierte Männer, denen man nicht allein auf der Straße begegnen sollte. Einige im Gesicht, die sie aussehen lassen wie Auftragsmörder. Hier unten passen sie in die Masse. Sogar einige der Frauen, die im Kingsley arbeiten, sind tätowiert. Sogar bei Rayna habe ich eines gesehen.
»Hey süße«, spricht mich einer der Männer plötzlich an. Es ist ein dunkelhaariger, der in einer der Loungen sitzt und es sich dort mit einigen Männern gemütlich gemacht hat. Sie trinken, auf dem Tisch stehen mehrere Flaschen teuren Alkohols, ein Kübel Eis und unzählige Gläser. Zwischen den Männern einige der Frauen, die hier arbeiten. Der, der mich angesprochen hat, hebt seine Hand und deutet mir näher zu kommen. Ich setze ein Lächeln auf, als ich auf ihn zugehe und meine Hände an seine Schultern lege, um mich auf seinen Schoß zu setzen. Das ist genau das, was er will. »Was darf ich für dich tun?«, frage ich und streife meine Nägel seinen Hemdkragen entlang. Ein düsteres Grinsen erscheint auf seinen schmalen Lippen, dass ihn um einiges unscheinbarer ausschauen lässt. »Du bist doch die, die auf der Bühne war, oder?«
Ich nicke.
»Das war heiß«, gesteht er und lehnt sich gegen die Polster. Der Mann neben ihm stimmt ihm zu. Schmunzelnd beginne ich, mich im Takt der Musik auf seinem Schoß zu bewegen und führe seine Hände an meine Seiten. Die gierigen Blicke, die er mir zuwirft, überspiele ich gekonnt. Er ist nicht der erste, der mehr will und wird auch sicher nicht der letzte sein. Taktvoll kreise ich meine Hüften, räkele mich auf seinem Schoß, rücke verdächtig nah mit meinem Busen an sein Gesicht, bevor ich mich zurückfallen lasse und mich von ihm schwinge. Ohne zu zögern, umtanze ich den Kerl neben ihm, richte meine Augen auf den dunkelhaarigen und packe ihn an der Krawatte. Wieso er die hier trägt, ist mir ein Rätsel. Ich weiß genau, was sie anturnt, was sie wollen und wie weit ich gehen darf. Wenn ich tanze, bin ich anders als im wahren Leben. Ich bin nicht so zurückhaltend und weiß, wie ich mich geben muss. Wieso ich es im Leben nicht schaffe so zu sein, weiß ich nicht. Es ist, als würde eine andere Person über meinen Körper herrschen, wenn ich arbeite. Ich bin frei, fühle mich von meinen Sorgen und Problemen ausgeklinkt, auch wenn es manchmal anstrengend ist. Ich liebe es, zu tanzen, am liebsten die ganze Nacht lang.

Die Zeit vergeht und ich verliere jegliches Zeitgefühl hier unten. Das Kingsley fällt aus jeglicher Zeitrechnung hinaus, Stunden verfliegen in Sekunden. Alkohol fließt in Massen, es wird gelacht und getanzt. Die Frauen sind so nett wie ich es noch nie zuvor erlebt habe. Es gibt keine Anfeindungen, keinen Streit. Wir teilen uns sogar den Schoß eines Mannes, als dieser zwei zu sich ruft. Mir werden Gläser gereicht, von denen ich nur ab und zu einen winzigen Schluck nehme. Rayna und ich tanzen für sie, bis uns die Füße wund sind. Die Party ist ausgelassen.
Das Kingsley ist ein magischer Ort. Es fühlt sich nicht mehr nach Arbeit an, sondern nach Spaß, was ich selbst nie gedacht hätte. Mir ist klar geworden, dass ich unter keinen Umständen zurück ins Pink Palace gehen kann. Hier, dieser Ort, diese Menschen, die ich erst seit einer knappen Woche kenne, ich habe sie so unglaublich ins Herz geschlossen. Egal was ich tun muss, um hier weiter arbeiten zu dürfen, ich würde es tun, egal was es kosten würde.
Kehlig lachend lehnt sich der Gast zurück, dem ich gerade einen Lapdance gebe. Ich habe Rayna abgelöst, die sich seinem Freund widmet, den er mitgebracht hat, während ich einstig auf ihn fokussiert bleibe. Meine Hüften kreisen, den Po stecke ich heraus, so wie den Busen. Ich räkele mich über seinen Schoß, packe ihn am Schlafittchen, um sein Gesicht in Richtung meiner Brüste zu ziehen. Begeistert packt der Kerl mich und zieht mich enger. Ich spüre die Beule in seiner feinen Anzughose deutlich an meinem Bein reiben, doch lasse mich von ihr nicht irritieren. Es ist nicht das erste Mal, das einer dabei hart wird. Unangenehm ist es dennoch.
Lächelnd rutsche ich auf den schwarzen Marmorboden und folge dem Takt der Musik. Die Stimmen in meinem Kopf zerren sich wie Kaugummi und die schönen Klänge des Liedes werden kratziger. Blinzelnd schwinge ich meine Haare umher und schwinge meine Hüften so gut es geht. Ich raffe mich auf, fühle mein Herz kräftig schlagen, als wäre ich von einem Blitz getroffen wurden.
Woher kommt das denn so plötzlich?

Mit meiner Tanzeinlage versuche ich das beklemmte Gefühl in meinem inneren zu verdrängen. Mir ist schwitzig, fahrig und trüb vor den Augen. Als ich aufstehen will kippt die Welt plötzlich zur Seite und Sterne tanzen vor meinem inneren. Jemand fängt mich auf, während alles sich dreht. Ich spüre das Kribbeln in meinen Fingern, welches sich zu einem schrecklichem Zittern erweitert, dass durch meinen Körper fährt. Am Rande bekomme ich mit, wie Rayna mir auf die Wangen klopft und etwas zu den anderen Frauen sagt, die bei uns waren. Die Musik schallt zu laut in meinen Ohren wieder und lässt mich nichts verstehen. Aus meinem Mund dringen zusammenhangslose Wörter, Laute und ein leises Stöhnen. Immer wieder klatscht Rayna ihre flache Hand gegen meine Wangen, während mein Körper sich verkrampft.
»Hat sie was eingeschmissen?«, erklingt eine tiefe verärgerte Stimme, dessen Person sich über mir aufbäumt und einen Schatten auf meinen Körper wirft. Zitternd drehe ich meinen Kopf zur Seite, völlig weggetreten. Derjenige packt mich, hebt mich an und trägt mich fort, bis die Musik leiser wird und die Stimmen weiter weg dringen. Ich werde auf etwas weichen gebettet, in einem Raum der selbst nicht heller als der Saal ist.
»Das haben wir in ihrer Tasche gefunden.« Rayas dünne Stimme ist unverkennbar.
»Was ist das?«
»Insulin. Ist das nicht für Diabetes?«
»Ja... sie hat einen Schock. Wir - da muss noch eine Spritze oder etwas sein. Such weiter! Fuck.«
Die Dunkelheit streckt ihre Klauen nach mir aus und ich bin nicht sicher, wie lang ich noch standhalten kann. Mein Körper bebt vor lauter Zittern und Stöhnen, wie ein Fisch an der Luft. Von weit weg dringen aufgeregte Stimmen in mein Ohr, Reißverschlüsse ratschen und Glas klappert aufeinander. Warme Hände greifen nach meinen kalt schwitzigen Wangen, Daumen reiben über meine Haut, doch das Delirium, in dem ich stecke, übermannt mich und die leuchtenden Sterne weichen der endgültigen Dunkelheit, die mich wie der Teufel in seine Arme zieht, in dem Moment als die Nadel meinen Arm berührt.

Kings of London | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt