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SAWYER

Meine Fäuste trümmern auf den Boxsack ein wie ein Kugelhagel. Laute Rapmusik dröhnt in meinen Ohren, die dumpfen Geräusche der Schläge noch dazu. Es ist wie ein Rausch, in den ich verfalle, wenn ich vor dem Sack stehe und meine Fäuste sprechen lasse. Es gibt Dinge, die legt man nie ab. Egal wie viel Zeit ich schon im McLeod Hotel verbracht haben mag, Vergangenheit bleibt Vergangenheit und somit ein Teil von mir. Es ist schon Jahre her, seit ich meine Boxerkarriere an den Nagel gehangen habe, und doch fühlt es sich an als wäre es gestern gewesen. Jahrelang befand ich mich an der Spitze der Boxerszene der Stadt. Für sie war ich nur unter dem Namen Shadow bekannt, nur James wusste, wer ich wirklich war. Aber das ist schon lang her und ich bin nicht mehr der, der ich damals war. Zumindest will ich das glauben. Dinge sind passiert, Jahre sind vergangen. Vom Boxen bin ich dennoch nicht ganz weggekommen. Ich brauche es zwar nicht mehr, um zu überleben, aber als Form der Stressbewältigung ist es recht hilfreich. Ich kann abschalten und meinen Körper an seine Grenzen treiben, bis ich meine Probleme vergesse. Ich liebe es.
Keuchend schlage ich auf den schwarzen Boxsack ein, der von der hohen Decke im persönlichen Fitnessraum von James hängt. Er ist mit dem neusten Equipment ausgestattet und wohl alles, was man sich für sein persönliches Fitnessvergnügen wünschen kann. Fünf Laufbänder sind vor dem Panoramafenster aufgereiht und ermöglichen einen fantastischen Ausblick auf die Stadt von hier oben. Dazu drei Boxsäcke in der Raummitte, eine Matte, drei Hantelstangen und eine Menge Geräte und Kleinzeugs. Zwei Wände sind verspiegelt, die Tür ebenfalls. Sie verschwindet völlig und ist fast nicht sichtbar.
Ausatmend ducke ich mich ab und drehe mich, bevor ich erneut zuschlage. Der Schweiß perlt mir bereits von der Stirn, rinnt über meinen angespannten Körper die Tätowierungen hinab. Mit meinen bandagierten Händen hole ich in gleichmäßigen Zügen aus und genieße, wie die laute Musik mir das Gehirn vernebelt. Ich brauche das gerade mehr als alles andere. Mehr als Alkohol oder Sex. Einfach meinem Frust freien Lauf zu lassen und-
Die Musik erstirbt.

Geladen drehe ich mich ruckartig zur Tür um und will gerade denjenigen der meine Musik ausgedreht hat verfluchen, als ich James gelassen auf dem Sofa neben der kleinen Küchenzeile sitzen sehe. Er trägt ein Hemd, welches seinem üblichen James Charakter versprüht, sowie die teure Uhr, Lackschuhe und eine feine Anzughose, in der nicht eine Falte ist. »James«, brumme ich und sehe, wie sein Finger an der teuren Stereoanlage herumspielt, die er erst vor zwei Jahren hat, einbauen lassen. »Ich habe dich gesucht. Angesichts der lauten Musik, die durchs ganze obere Stockwerk geschallt ist, hat es nicht lang gedauert dich zu finden«, erklärt er sein erscheinen.
»Wieso suchst du mich? Ist etwas passiert?«, frage ich allarmierend und mahne mich selbst, tief durchzuatmen. In meinem Kopf machen sich bereits tausende Szenarien breit. Was, wenn wieder jemand ins Hotel einbrechen wollte? Oder jemand einen der Mitarbeiter attackiert hat?
Meine Brust hebt und senkt sich angestrengt von eineinhalb Stunden Boxtraining. Mit den Zähnen löse ich die erste Bandage um meinen Händen und wickle sie mir ab. Die zweite folgt prompt.
»Ich wollte sehen, wo du steckst und was du so treibst. Schon vergessen, dass wir noch etwas vorhaben?«, erinnert mich der Chef des Hotels und folgt meinen Schritten mit seinen Augen.
Also ist nichts passiert, puh.

Ich schnappe mir eine kalte Flasche Wasser aus dem Minikühlschrank und stürze mir die Erfrischung die Kehle hinab, als hätte ich zweimal die Sahara ohne trinken durchquert. »Ich habe es nicht vergessen«, mache ich ihm angestrengt klar und fange das Handtuch auf, dass er mir zuwirft. Dankend wische ich mir übers Gesicht, schlinge es um meinen Nacken und versenke die leere Flasche Wasser im silbernen Mülleimer neben der Tür. »Was ist mit der Kleinen? Ist die noch da?« erkundige ich mich. Nicht weil es mich interessiert, sondern lediglich, weil ich wissen will, ob ich mich noch auf ein Gespräch mit ihr vorbereiten muss. Sie jetzt zu treffen, steht nicht auf meiner Liste der Dinge, die ich gern machen würde. Ich stehe zu meiner Meinung - das graue Mäuschen passt nicht hier rein - und widerlege damit meine anfängliche Meinung von ihr. Ich habe mich damals geirrt, selbst wenn James mir das nicht abkauft. Er kann sich nur nicht eingestehen, dass ich eine wirkliche Abneigung gegen die Brünette habe. Das ich dem Deal zugestimmt habe, liegt einstig daran das ich wollte, dass er endlich seine Klappe hält und mich nicht weiter mit dem Thema nervt. Wenn ihm klar wird, dass er einen Fehler begangen hat, wird er sich früh genug bei mir entschuldigen. Und bis dahin, ist ein bisschen Sex mit ihr nicht verkehrt. Besser als gar keiner.
»Sie ist weg«, bestätigt mein bester Freund sich galant aus dem Polstersofa erhebend, »und kehrt morgen Abend für unser erstes Rendezvous zurück«, fügt er hinzu. Na super...
»Hast du sie heute endgültig mit deinem Gesundheitsgefasel vergraut? Hm?«
Ich stoße die verspiegelte Tür auf und trete in den schummrig ausgeleuchteten Flur des Penthouses. »Witzig Saw«, kommentiert der schwarzhaarige meine Worte und holt mit wenigen Schritten zu mir auf. Ich weiß nicht warum er so versessen darauf ist, ihren Zustand zu verbessern mit diesen Klebe Kanonen Dingern, sie sie sich an den Arm kleben muss, um sich nicht mehr spritzen zu müssen. Sie kommt doch klar mit dem was sie hat, auch wenn sie damit aussieht wie eine Heroin abhängige. Kümmert James sich nur darum, was die anderen Menschen in dem Fall sagen würden, wenn sie uns mit ihr sehen? Oder ist es ihm tatsächlich ein echtes Anliegen, ihre Lebensqualität zu verbessern?
Es ist mir ein verdammtes Rätsel.
»Ich habe ihr einige Dinge für morgen mitgegeben. Sie wird Einundzwanzig Uhr von Philipp abgeholt und-«
»Moment mal. Was ist aus der keine-Huren-in-meinem-Wagen-Regel geworden?«, unterbreche ich ihn, halte inne und drehe mich zu ihm um. James seufzt und schiebt seine Hände in die Hosentaschen. »Das geht einfach schneller, als dass sie mit der U-Bahn fährt und wir ewig warten müssen«, verklickert er mir. Abkaufen tue ich ihm das natürlich nicht. Wen will er hier verarschen? Hat die kleine Tussi sich etwa in seinen Kopf geschlichen, oder spricht da doch nur sein Schwanz nach einer langen Durststrecke? Ich kann meinen besten Freund nicht lesen. Heute ist er kein offenes, sondern ein fest verschlossenes Buch.

Kings of London | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt