Chapter 01

89 5 0
                                    

"Mommy, Mommy", rannte Mellie an mir vorbei. "Süße du sollst doch ins Bett gehen", kniete ich mich zu ihr runter, als ich sie eingeholt hatte.

"Aber erzählst du uns noch eine Märchen?", fragte sie mich und schaute mich mit Hundeblick in den Augen an.

"Hast du Zähne geputzt?", fragte ich Simon. "Klar Mama."

"Na dann kommt mal mit ihr beiden," sagte ich. Mellie rannte den Flur zurück und sprang auf ihr Bett. Ich deckte meine Kinder zu und setzte mich auf einen Stuhl, der zwischen ihren beiden Betten stand.

"Was möchtet ihr denn gerne für eine Märchen hören, soll ich euch etwas vorlesen?" fragte ich beide.

"Nein, wir kennen doch schon alle Märchen. Denk dir was aus", flehte mich Simon an. Ich überlegte kurz bevor ich anfing.


Es war einmal ein Mädchen, das lebte mit seiner Stiefmutter, deren Sohn, deren Tochter und seinem Vater in einem sehr großen Haus. Doch obwohl in diesem Haus noch so viel Platz ungenutzt war, musste das Mädchen im Gartenhaus schlafen. Dort war es sehr gemütlich zwischen den ganzen Gartengeräten...


"Wirklich? Nein Mommy, du darfst nicht lügen, davon bekommt man eine lange Nase", wies mich Mellie zurecht. Ich musste lächeln.


...Okay, es war nicht gemütlich. Es war zugig und kalt und es gab nicht viele Möbel. Die Stiefmutter wollte das Mädchen am liebsten schnell loswerden, aber da hatte der Vater, auch wenn ihm seine Tochter nach der Hochzeit mit der Stiefmutter mehr oder weniger egal war, etwas dagegen. Leider war der Vater oft nicht zu Hause und so meinte die Stiefmutter, das Mädchen müsse sich sein Taschengeld erst mit Hausarbeit verdienen....


"Aber wir müssen das nicht, oder Mommy?", fragte Simon. Es war klar, er mochte die Hausarbeit gar nicht und das konnte ich ihm nicht verübeln.

"Natürlich nicht mein Schatz, aber wenn ich das Märchen erzählen soll, dann dürft ihr mich nicht die ganze Zeit unterbrechen", sagte ich und die beiden nickten.


...Also war Anna, so hieß das Mädchen, gerade dabei, das Zimmer ihrer Stiefschwester Hattie aufzuräumen, als die Stiefmutter rief: "Anna, komm sofort her, wo bleibt mein eisgekühltes Wasser?"

"Ich komme schon, Mercedes, einen Moment bitte noch" rief Anna zurück. Sie stand aus einem Haufen aus Müll und Klamotten auf. Ihre Stiefschwester war ein sehr unordentlicher Mensch. Anna lief die Treppen nach unten in die Küche. Doch als sie den Kühlschrank aufmachte, war kein eisgekühltes Wasser mehr drin. "Mist, ich hab vergessen den Kühlschrank auf zu füllen", fluchte sie leise. Was sollte sie jetzt machen, sie wusste, wenn sie ihrer Stiefmutter kein eisgekühltes Wasser bringen würde, würde das Taschengeld ausbleiben. Was sollte sie nun machen. Sie schaute sich in der Küche um und schnappte sich ein Glas und füllte es mit Wasser. Notdürftig warf sie ein paar Eiswürfel ins Glas und lief nach draußen auf die Terrasse, wo ihre Stiefmutter am Pool saß. "Da bist du ja endlich, wurde aber auch Zeit", sagte sie und nippte an ihrem Glas. "Das ist Sprudelwasser, ich wollte stilles Wasser. Kannst du überhaupt etwas." Anna hasste ihre Stiefmutter. Nie würde sie mehr Abscheu für ihre Stiefmutter empfinden. Ohne ein Wort zu sagen lief sie wieder ins Haus um das Zimmer von Hattie sauber zu machen. Diese kam gerade ins Haus. Anna beachtete Hattie gar nicht, so wie sie es immer tat, und lief einfach wieder zu ihrem momentanen Arbeitsplatz. Zu gerne hätte Anna Musik gehört, so dass ihr die Arbeit leichter fallen würde, aber dies war ihr auch nicht gestattet. Also summte sie vor sich hin und sortierte Klamotten, Essensreste, Schminke und Müll.

"Anna," brüllte Hattie von unten. Genervt atmete Anna ein. "Was gibt es denn?", fragte sie aber höflich. Sie durfte es sich mit keinem verscherzen, sonst bekäme sie kein Geld. Doch dieses Geld war für sie wichtig, weil sie dringend neue Schuhe brauchte. "Der Hund hat auf den Perserteppich gekotzt," verkündete Hattie. Anna war sofort klar um welchen Hund es sich handelte. Nicht etwa um Filou, ihren treuen Begleiter und besten Freund, sondern um Cocacolina, den kleinen Handtaschen-Chihuahua an dem Mercedes einen Narren gefressen hatte. Dieser Hund hatte sogar ein eigenes Zimmer und einen Kleiderschrank, in dem mehr Klamotten waren, als Anna je besessen hatte. Hattie hatte ihn heute sogar in den Hundesalon gebracht, was vergleichbar ist mit einem Spa. "Reiche Leute mit Chihuahua haben immer einen Knall", dachte sich Anna jedes Mal wenn sich die Welt um diesen Hund drehte.

Sie erhob sich also wieder und widmete sich dem nächsten Problem im Haus. Wie sollte sie Hundekotze aus dem Teppich bekommen, ohne dass die Sauerei noch größer wurde?

"Da bist du ja, was hat so lang gedauert? Ach ist ja auch egal. Hast du mein Zimmer aufgeräumt?", wurde sie mit einem Redeschwall von Hattie begrüßt. "Ich war gerade dabei, als du mich gerufen hast, den Teppich sauber zu machen", sagte sie und fügte in Gedanken noch ein "Weil ihr so unfähig seit, dem Hund normales Hundefutter zu geben." Mit Lappen, Sprühflasche und Wasser kniete sie über dem Fleckt und versuchte das Desaster zu beseitigen. "Da ist auch noch Dreck", sagte Joffrey und trat einmal mit dem Fuß auf den weißen Teppich, was einen schönen Schlammfleck hinterließ.

"Danke schön, ich habe ja noch nicht genug Arbeit", sagte Anna.

"Wenn das so ist", sagte er und lachte dreckig. "Ich bin vorher mit meinem Skateboard durch die Eingangshalle gefahren. Ich glaub an den Rollen war auch Dreck, weil nun überall Streifen sind." Innerlich kochte Anna schon. Sie fühlte sich wie Cinderella nur das es bei ihr keine Hoffnung auf einen Prinzen gab, der auf einem weißen Pferd angeritten kommen würde, um sie zu erlösen. Für sie war klar, dass ein Märchen nie wahr werden würde.

"Mom, bitte hilf mir das zu überstehen", flehte sie den Himmel an und putze weiter, wie jeden anderen Tag auch.

Am Abend war sie so müde, dass es ihr schwer viel, die Augen offen zu behalten. Aber an ausruhen war nicht zu denken. Jetzt musste sie mit Filou Gassi gehen und dann für die Schule lernen. Meistens kam sie vor ein Uhr morgens nicht ins Bett. Sie lief also in ihr Gartenhaus um die Hundeleine zu holen. Mit Filou machte sie sich auf den Weg zum Strand. Es war die üblich Route, die sie jeden Tag mehrmals nahm. Das Spazieren am Meer war für sie der Urlaub, den sie nie bekommen würde. Sie schnappte sich den Stock, den sie hinter dem Busch versteckt hatte und öffnete das Gartentor.

"Komm Filou, bringen wir für eine Weile so viele Meter wie möglich zwischen uns und dieses Haus", sagte sie zu ihm, der treu neben ihr her trottete. Von dem luxuriösen Anwesen bis zum Strand war es zu Fuß eine viertel Stunde. Jedes Mal wenn sie dann am Strand war, steckte sie ihre Kopfhörer von dem Mp3 Player, der schon fast auseinander fiel, in die Ohren und schloss die Augen. An diesem Abend, setzte sie sich einfach in den Sand und warf für Filou ein paar mal das Stöckchen ins Wasser, der es jedes Mal fleißig holte. Es war nicht mehr viel los am Strand. Eine Familie, die Drachensteigen lies, ein Surfer, der die hohen Wellen ausnutze, eine Gruppe von Jugendlichen die Volleyball spielten. Der Kioskverkäufer schloss gerade seinen Laden und die Sonne versank langsam am Horizont und tauchte, das Meer in ein warmes Gelb. Dieser Ort um diese Zeit war für sie der schönste Platz auf Erden und kostete sie keinen Cent.


"Ich glaube, das reicht für heute, deine Äugelein fallen ja schon gleich zu", sagte ich.

"Aber Mommy, das Märchen ist doch noch gar nicht zu Ende", moserte Mellie.

"Ja mein Schatz, aber Morgen ist auch noch ein Tag und dann kann ich es euch doch weiter erzählen." Einverstanden nickten beide. Ich drückte noch jedem einen Kuss auf die Stirn und schaltete dann das Licht aus. Beim Verlassen des Zimmers achtete ich darauf, dass die Tür einen Spalt offen war.

"Schlafen sie?", fragte mich James, mein Mann, wenig später.

"Ja wie zwei kleine Engel", sagte ich. Mit einem kurzen Blick auf den Balkon, sah ich, wie die Sonne am untergehen war und sie erinnerte mich an die Geschichte. Er umarmte mich von hinten.

"Bist du glücklich?" fragte er.

"Ich war nie glücklicher, ich hab alles was ich mir immer gewünscht habe", sagte ich und zusammen genossen wir den Sonnenuntergang.

Prince Charming isn't real, is he?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt