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Felicia:
„Geht es dir gut?" frage ich zögerlich und schaue zu Leander rauf. Je näher wir dem Haus seiner Eltern kommen, desto angespannter wirkt er.
„Ja, alles gut!" lügt er.
„Sicher?"
„Mhm..."
„Du bist blass und wenn du deine Fäuste noch länger so zusammen presst, gucken gleich die Knochen raus." ich tippe gegen seine verkrampfen Finger.
„Es ist okay nervös zu sein."
„Bist du etwa nervös?" fragt er.
„Ehm... ja! Und das solltest du auch sein."
„Ich bin scheiße nervös!" platzt es plötzlich aus ihm heraus und für einen kurzen Moment bröckelt seine harte Fassade. Unter ihr steckt ein Leander, den ich nicht oft zu Gesicht bekomme. Ich merke ihm seine Anspannung an und die Angst vor dem was gleich passieren wird.
„Ich bin da. Direkt neben dir!" flüstere ich kurz bevor er seinen Schlüssel im Schloss umdreht.
„Michael?" ruft die Direktorin und schaut aus der Küche heraus.
„Was?" schnappt Leander erschrocken.
„Dad kommt? Wirklich jetzt? Ich dachte du willst uns zuhören?"
„Hallo ihr beiden!" Leanders Mutter kommt auf uns zu.
„Du hast es ihm erzählt... natürlich." pure Enttäuschung liegt in Leanders Stimme.
„Nein habe ich nicht! Er hat mir vor zwei Stunden geschrieben das er heute vorbei kommt. Ich konnte ihm ja nicht sagen, dass er nicht kommen soll, weil sein Sohn mit seiner..." sie sucht nach der richtigen Bezeichnung für mich, doch Leander springt schnell ein.
„Freundin!"
„Dass ihr beide hier seid."
„Können wir das hier dann schnell hinter uns bringen, ich möchte ihn nicht sehen." Leander zieht mich an der Hand hinter ihm her in das Wohnzimmer und setzt sich auf das Sofa.
„Leander das hier mache ich dir zuliebe. Ich versuche es zu verstehen, um dich nicht für vollkommen verrückt abzustempeln. Ich weiß das du ein schlauer Junge bist, und du dir scheinbar wirklich was dabei gedacht hast." sie macht merkwürdige Handbewegungen in unsere Richtung.
„Also los gehts." erwartungsvoll sieht sie ihren Sohn an.
„Ich habe so ein Gespräch tatsächlich noch nie geführt. Ich weiß nicht wie ich anfangen soll." presst er angespannt hervor.
„Falls du es dir nicht denken kannst, ich habe das hier auch noch nicht machen müssen. Erzähl bitte einfach irgendwas, was mich dich verstehen lässt. Du riskierst alles, deinen Posten, deine Karriere, deine Familie und dein Wohlbefinden. Du kannst alles verlieren und riskierst es trotzdem."
„Ich... ich habe..." stottert er vor sich hin.
„Ach keine Ahnung! Mir ist der Posten und die Karriere die ihr für mich seht egal, solange ich mit ihr zusammen sein kann. Ich kann nicht ohne sie. Ich habe wochenlang versucht Abstand zu halten und die bescheuerten Regeln einzuhalten. Ich hab's aber nicht auf die Reihe bekommen. Wir tuen niemandem damit weh. Es wird niemand verletzt oder in Gefahr gebracht, nur weil wir zusammen sind."
„Nur ihr selbst!" sagt sie deutlich.
„Nein!" widerspricht Leander seiner Mutter mit einem noch deutlicheren Ton.
„Keine Ahnung welcher Idiot den scheiß behauptet hat, und wieso sich das immer noch in den Köpfen hält, aber das ist Schwachsinn. Ja am Anfang kam es zu Kontrollverlüsten, mit denen wir uns weh getan haben, aber mittlerweile ist das kein Thema mehr."
„Ihr tut euch nicht weh? Eure Elemente spielen nicht verrückt?"
„Wenn sie doch mal ausbrechen, verbinden sie sich nur. Es passiert niemanden dabei was." versichert er ihr.
„Mum, diese Regel ist bescheuert. Es ist Schwachsinn Wächter auszuschließen nur weil sie sich verlieben. Wir kämpfen alle Seite an Seite, wieso ist es dann ein Problem, wenn man sich in ein anderes Element verliebt. Zudem gibt es diese Regeln offiziell nicht einmal. Der Kram wurde irgendwann gesagt, und seitdem werden gute Wächter ausgeschlossen, ohne richtigen Grund! Der Scheiß muss wirklich aufhören. Und wenn du nicht auf unserer Seite bist, werden Dad und alle anderen es auch nicht sein."
Sie atmet tief durch. Ich beobachte wie sie zwischen uns hin und her blickt. Ich habe bisher kein Wort gesagt. Sowie Leander mich mit meinen Eltern machen lässt, lasse ich ihn machen. Er weiß genau was er sagen kann und was nicht. Und ich kann es seiner Mutter ansehen, das er die richtigen Worte gewählt hat. Ihre Mundwinkel heben sich minimal, bevor sie ruckartig aufsteht und Leander in ihre Arme zieht. Sie nuschelt irgendetwas unverständliches in sein Ohr und er schließt seine Arme um sie.
„Ich werde euch nicht verraten. Und wenn es soweit ist, werde ich euch unterstützen. Und ich werde morgen alles tun, damit du auf unserer Schule bleiben kannst. Was würde ich nicht alles tun, um die Zeit zurück zudrehen, damit ich dass auch schon bei deiner Mutter hätte tun können. Vielleicht könnte sie es mir hiermit zumindest ansatzweise verzeihen, dass ich es damals nicht konnte."
Ich lächle sie an. Bevor ich ihr irgendetwas sagen kann, höre ich eine sich öffnende Tür.
„Charlotte, ich bin daheim." brummt eine tiefe Stimme.
„Und ich habe wen auf dem Weg gefunden!" Leanders Bruder und Vater betreten hintereinander den Raum und schauen uns überrascht an.
„Hi." begrüßt Leander die beiden unbegeistert.
„Guten Abend." sage ich höflich.
„Was macht ihr beide denn hier?" fragt Großmeister Buchner uns und Leanders Mutter antwortet sofort.
„Ich habe sie zum Essen eingeladen."
„Und du?" knurrt Leander neben mir.
„Ich bin morgen bei der Sitzung dabei."
„Hast du eine Stimme bei der Abstimmung oder was?"
„Nein. Ich werde aber alle unsichereren Wächter davon überzeugen, dass Felicia keine Gefahr darstellt. Wir Großmeister haben uns schließlich schon einmal dafür entschieden, sie hier zulassen. Und diese Entscheidung haben wir bisher auch nicht bereut."
Leander schnaubt neben mir.
„Was hast du Leander?"
„Sie hier zulassen. Als wäre Felicia irgendein Paket was ihr hin und her schicken könnt. Sobald das Paket unhandlich wird, könnt ihr es weiter geben oder wegschmeißen. Felicia ist aber kein scheiß Paket! Sonder ein Mensch, der hier sein Zuhause hat. Und jetzt dürfen irgendwelche Menschen über sie entscheiden, ob sie in ihrem Zuhause bleiben darf oder sich schon wider ein neues suchen darf. Super!"
„Leander es reicht!" sagt sein Vater laut.
„Ich weiß das es für euch alle nicht leicht ist. Und es ist verständlich, dass wenn Felicia gehen sollte, ihr alle um eure Freundin trauert. Ihr könnt daran aber nichts ändern. So sind unsere Regeln und Gesetze."
„Was sind das für Regeln und Gesetze. Eine Gruppe Menschen kann sich dafür entscheiden ein Mädchen rauszuschmeißen ohne Grund?" Leander springt empört auf und ist jetzt auf Augenhöhe mit seinem Vater. Unauffällig trete ich ein paar Schritte zur Seite und stehe neben Leanders Mutter, die das Geschehen sowie ich still beobachtet.
„Es gibt einen Grund, weswegen diese Entscheidung gerechtfertigt wäre."
„Was für einen? Was ist an Felicia anders als an mir oder allen anderen hier? Und sag jetzt nicht ihre Eltern! Man kann sich leider nicht aussuchen wer seine Eltern sind! Zudem haben Felicias Eltern nichts falsch gemacht!"
„Leander du wirst es verstehen müssen! Irgendwann wirst du an meiner Stelle stehen und als Großmeister über andere Wächter entscheiden. Und dann kannst du meinen Standpunkt verstehen!"
„Einen scheiß werde ich!" Leanders Stimme brodelt vor Wut.
„Ich werde niemals diesen Schwachsinn unterstützen. Menschen zu verurteilen, weil sie sich verliebt haben. Irgendwelche Regeln befolgen, die offiziell nicht einmal existieren!"
„Du wirst es als Großmeister verstehen." sagt sein Vater ganz ruhig.
„Ich werde niemals als Großmeister in deine Fußstapfen treten. Auf den scheiß habe ich keinen Bock. Mich irgendwelche wirren Gesetzen zu unterwerfen, die keinen Sinn ergeben."
„Wir wissen doch noch nicht einmal ob Felicia gehen muss." ertönt Direktorin Buchners sanfte Stimme.
„Und wenn doch... könnt ihr diese Treffen vergessen, denn ich bin dann auch weg!"
„Was heißt das?" schnaubt sein Vater. Oh Gott die beiden sind so sauer und aufgeladen. Ich sehe Leanders Fäuste, welche vor Kraft zittern. Er kämpft so hart gegen sein Element.
„Wenn Felicia geht, gehe ich auch!"
Sein Vater steht wie angewurzelt da. Irgendwas ist da in seinem Gesicht, was ich nicht deuten kann. Er schüttelt langsam mit seinem Kopf. Die Bewegung wird immer stärker und stärker.
„Das hast du nicht getan... Leander! Sag mir bitte...du hast nicht..."
Leander schaut mich an. Ein kurzer Augenblick, indem er sicher geht, dass ich noch heil und sicher neben ihm stehe.
„Leander du..." fassungslos starrt sein Vater ihn an.
„Ich liebe sie!" sagt Leander plötzlich ganz ruhig. Er sagt es einfach. Ohne zu wissen, was das für Konsequenzen hat.
„Raus!" brüllt sein Vater öffnet mit einer Handbewegung die meterweit entfernte Haustür und schleudert uns beide mit einer weiteren Bewegung durch das Haus. Wir fliegen durch die Tür und landen im Vorgarten des Nachbarhauses. Hinter uns knallt die Tür zu und es ist still. Einen kurzen Moment höre ich nichts als meinen aufgeregten Herzschlag. Plötzlich springt Leander hoch, zieht mich auf meine Beine, legt einen Arm um meine Taille und rennt los. Innerhalb von Sekunden stehen wir vor der großen Eingangstür zum Wohngebäude. Er stößt sie auf und uns schauen ein paar Schüler an, welche im Wohnbereichen herumlungern. Während Leander mich zur Treppe leitet, springen neben uns von einem Sofa Kester und Bene auf.
„Da seid ihr ja endlich!"
„Wie war es?" fragt Bene und Leander deutet nach oben.
„Nicht hier!"
Ohne mich umzudrehen haste ich die Treppen hoch und laufe Richtung Leanders Zimmer. Als wir vier in Leanders Zimmer angekommen sind, schlägt jemand die Tür zu und ich habe das Gefühl, das erste mal seit Stunden wieder richtig Luft holen zu können.
„Meine Mutter versteht es und mein Vater weiß es." stöhnt Leander verzweifelt.
„Was?" platzt es gleichzeitig aus Kester und Benes Mund.
„Mein Vater hat uns gerade durch die Haustür nach draußen geschmettert."
„Er versteht euch also nicht?" fragt Kester besorgt.
„Nein..." knurrt Leander.
„Er hatte auch keine richtige Chance. Wir haben uns nur angebrüllt und gestritten und dann habe ich es einfach gesagt und keine 5 Sekunden Später lagen wir im Vorgarten der Nachbarn. Der schmeißt uns raus... der wird aufgrund seiner verdammten Gesetze seinen eigenen Sohn ausschließen. Hast du dir eigentlich weh getan?" Leander ist total ruhelos und checkt nervös meinen Körper nach Verletzungen ab.
„Alles gut. Komm du bitte erstmal runter."
„Jungs?" brüllt plötzlich eine Stimme aus dem Flur.
„Wir haben ein riesiges Problem." die Stimme klingt nach Elana. Meine Vermutung bestätigt sich, als Kester die Zimmertür öffnet und sie vor uns steht.
„Was?" fragt Leander verzweifelt.
„Was ist hier los?" fragt Elana alarmiert und beobachtet Leander welcher auf der Bettkante sitzt und sein Gesicht in den Händen vergräbt.
„Seine Mutter versteht uns und sein Vater leider nicht." erkläre ich kurz.
„Und was hast du?" nuschelt Leander in seine Hände.
„Leilani erzählt von irgendwelchen Bildern und die Gerüchte über euch beide werden immer lauter." sagt sie.
„Gerüchte über uns?" fragt Leander verzweifelt.
„Nachdem das mit dem Namen herausgekommen ist, und Felicia immer nur mit dir gesehen wurde, aus deinem Zimmer kam und ihr dann auch noch beide von der Bildfläche verschwunden seid, haben eben manche logische Schlüsse gezogen. Und jetzt hat Leilani wohl irgendwelche Beweise gezeigt, damit es jetzt allen klar wird."
„Fuck." flüstert Kester leise.
Leander sitzt regungsloser seiner Bettkante und sagt gar nichts mehr.
„Ich glaube wir lassen euch kurz allein..." Bene öffnet langsam die Tür und verlässt mit den andern beiden das Zimmer. Als die Tür ins Schloss fällt, Hocke ich mich vor Leander und versuche ein Blick in sein Gesicht zu erhaschen. Seine Haare verdecken leider die Sicht in seine Augen, aber seine Körperhaltung sagt eigentlich schon alles. Völlig kraftlos und müde. So habe ich ihn noch nie gesehen. Ich lege mich auf sein Bett und ziehe ihn zu mir. Er hat seinen Kopf auf meiner Brust gebettet und umklammert mich mit seinen Armen.
„Wie gehts dir?" frage ich leise und streiche vorsichtig die Haare aus seinem Gesicht.
„Nicht gut." antwortet er ehrlich.
„Ich kann nicht mehr. Ich dachte wir können uns das alles gut überlegen, wie wir es meinem Vater sagen, und wie wir es allen anderen erzählen. Ich dachte wir können das alles ganz in Ruhe planen, ohne gleich das Risiko einzugehen alles zu verlieren. Ich hätte mich in dieses Gespräch nicht so reinsteigern dürfen... dann wäre es garnicht erst soweit gekommen."
„Ändern können wir es sowieso nicht mehr. Wir warten die Entscheidung morgen ab. Danach können wir den Rest planen." sage ich.
„Es war irgendwie aber schon klar, dass ich es ihm nicht ruhig sagen kann. Es eskaliert schließlich fast immer zwischen uns, wenn wir uns sehen. Irgendwie wäre ich fast froh wenn sie uns morgen einfach rausschmeißen."
„Was?" frage ich erschrocken.
„Ich müsste nie wieder mit meinem Vater sprechen. Ich bin diesem verdammten Druck nicht mehr ausgesetzt."
„Druck?"
„Seit ich denken kann, drängt mich mein Vater in die Richtung des Großmeisters. Es ist Tradition, das der erstgeborene Buchner den Posten übernimmt. Ich hätte es sein sollen, der diesen Posten bekommt. Ich wollte ihn aber noch nie wirklich. Ich habe kein Bock über andere zu sprechen, die Gesetze zu studieren und irgendein Kram zu regeln. Wofür bin ich ein Wächter, ohne mein Element zu benutzen. Ich bin nicht für irgendwelche Seminarräume und Sitzungen gemacht."
„Ich weiß..." sage ich leise.
„Ich schnapp mir jetzt Leilani!" er drückt sich plötzlich hoch.
„Was?"
„Leilani hat die Bilder von uns gemacht! Und darauf werde ich sie jetzt mal ansprechen."

Wächter der ElementeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt